«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 23. Dezember 2022
Wunder halten sich nicht an Daten.
Darum geschehen Weihnachtswunder meist auch nicht an Heiligabend; die trunkene Fonduechinoisesösseliseligkeit macht taub für Wunder, die meist auf leisen Sohlen um die Ecke huschen.
Viel eher passieren Wunder zum Beispiel an einem neblig-kalten 21. Januar, wenn man – eine Woche nach dem offiziellen Entsorgungstermin, mit entsprechend schlechtem Gewissen, die Mütze tief ins Gesicht gezogen und im Schutz der Dämmerung – seinen schon arg abgenadelten Christbaumkadaver mit klammen Fingern und ein paar Flüchen («Fondüschinuassösselisiechnomoll») zur Gemeindeentsorgungsstelle schleppt und dort auf einen seelenverwandten Menschen mit einem noch viel erbärmlicheren Festtagsbesen und einem ähnlich schlechten Gewissen trifft, man mit einem Lachen und einem flapsigen Spruch versucht, die Peinlichkeit des Ertapptwerdens zu überspielen, man darüber ins Gespräch kommt, in ein langes und gutes Gespräch, das man zu Hause bei Gifferstee (er schmeckt mit jeder Tasse wunderbarer) fortsetzt und dann aus der Komplizenschaft über das gemeinsame Übertreten des kommunalen Abfallreglements eine Liebe heranwächst, die auch noch Jahre später so frisch duftet und herrlich glänzt wie ein gerade eben gefälltes Rottannli im Lamettakleid.
Das ist dann ein Weihnachtswunder, auch – oder sogar erst recht – wenn es sich erst am 21. Januar zuträgt. Oder sich schon am 19. ereignet.
Denn wie gesagt: Wunder halten sich nicht an Daten. Wunder geschehen unerwartet.
Wer allerdings nur auf Wunder wartet, darf keine Wunder erwarten. Wunder gibt es zwar immer wieder, wie schon die Schlagersängerin Katja Ebstein wusste, aber nur, wenn wir sie geschehen lassen. Oft reicht es schon, wenn wir dem Wunder «leise wie einem Vogel die Hand hinhalten», wie die Dichterin Hilde Domin geschrieben hat.
Wunder halten sich nicht an Daten, Wunder halten sich an Taten. Man kann auf Wunder hoffen, man kann sie aber auch einfach schaffen.
Ich glaube, wir würden uns alle wundern, wie wunderbar leicht es wäre, Wunder zu wirken, wenn wir es nur täten. Egal ob an Weihnachten oder einem der anderen 363 Tage, die uns dafür zur Verfügung stehen.
Wie uns die Weihnachtsgeschichte zeigt, reicht es für den Anfang ja schon, Mensch zu werden.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen wundervolle Weihnachten.
Und einen wundervollen 21. Januar.
Und viel Spass beim Entsorgen Ihres Christbaums.