Poesie aus dem Automaten
Dass aus Kaugummiautomaten durchaus auch geistiger Genuss zu ziehen ist, zeigte die spielerische Aktion «Poetomat», die im September und Oktober 2003 in Basel lief: Wer 50 Rappen in den Poetomaten einwarf, erhielt im Gegenzug keinen Kaugummi, sondern eines von 200 taufrischen und preisgekrönten Gedichten. Ordentlich gefaltet und in Plastikkapseln verpackt, kullerte die poetische Zwischenverpflegung aus dem Automaten. Die drei Poetomaten warteten im September und Oktober 2003 im Literaturhaus und in der Buchhandlung Jäggi in Basel auf lyrik-hungrige Menschen.
Eine Wand voll Poesie
Die Gedichte stammten von den 200 Gewinnern des sechsten Gedichtwettbewerbs der Nationalbibliothek des deutschsprachigen Gedichtes. Rund 16 000 Amateur- und Freizeitdichter, als deren Forum sich die Nationalbibliothek des deutschsprachigen Gedichtes versteht, nahmen am Wettbewerb teil. Die 200 Siegergedichte wurden im Rahmen der Ausstellung «Eine Wand voll Poesie» vom 1. September bis 25. Oktober im Literaturhaus Basel gezeigt.
Entwertung oder Umwertung?
Der Poetomat will mehr sein als nur ein Gag. Der Poetomat versteht sich als Experiment, bei dem Ort und Art der herkömmlichen Vermittlung und Konsumation von Lyrik in Frage gestellt werden.
Ist Lyrik auf die Stille, die ehrfürchtige Ruhe der Dichterlesung angewiesen, um ihre Wirkung zu entfalten? Oder besitzt ein Gedicht aus dem Automaten umgekehrt die Kraft, im hektischen Alltag für einen Moment des Innehaltens und der Ruhe zu sorgen?
Wird ein Gedicht entwertet, wenn es nicht im edlen Gedichtband steht, sondern auf einem gefalteten Zettel, der erst noch aus einem Automaten gezogen wird? Oder entsteht gerade dadurch ein alltäglicher und weniger verkrampfter Zugang zur Lyrik?
Der Poetomat testet auch die individuelle Entdeckungslust auf Lyrik. Bin ich bereit, 50 Rappen für ein unbekanntes Gedicht auszugeben, von dem ich nicht weiss, ob es mir gefällt? Lasse ich mich vielleicht sogar zu zwei oder drei Gedichten aufs Mal verleiten (Poesie macht ja nicht dick …)?