«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 4. März 2025
Es dauert nicht mehr so lange, wie es schon gedauert hat. Wie oft habe ich diesen Satz als Kind gehört. Er gehörte zu unseren Wanderungen dazu wie die Landjäger und die Sportmint-Bonbons. Und ich mochte ihn genauso wenig wie den lauwarmen Pfefferminztee, der mit jeder Stunde mehr nach Plastikflasche schmeckte.
Unsere Familienferien waren eine endlose Wanderung. So kam es mir als zehnjähriger Knirps jedenfalls vor. Im Frühtau aus den Federn und mit dem ersten Bähnli jeden Tag auf neue Höger hoch. Das Wandern ist des Mosers Lust, das Wa-a-andern! Fand zumindest mein Vater. Mein Bruder und ich sehnten uns meistens eher nach Siestaspass als nach Sustenpass. Wenn wir zu stöhnen begannen, kam von der Spitze der Wanderkolonne der Satz «Es dauert nicht mehr so lange, wie es schon gedauert hat». Und von hinten ein Sportmint.
Das ist Jahrzehnte her. Inzwischen brauche ich den Satz selbst ständig. Denn er ist das Schweizer Sackmesser der deutschen Sprache – multifunktional und in jeder erdenklichen Situation hilfreich. Der Chef drängt auf eine Deadline? Es dauert nicht mehr so lange, wie es gedauert hat. Der Zahnarzt fuhrwerkt schon seit einer Stunde im Mund herum? Es dauert bestimmt nicht mehr so lange, wie es gedauert hat. Müssen wir Trump noch lange als Präsidenten ertragen? Es dauert nicht mehr so lang… Gut, das stimmt nicht. Aber das ist ja das Schöne an diesem Satz. Als Motivations-Sugus hilft er uns, durchzuhalten, weiterzulaufen, nicht aufzugeben – auch wenn «die Strassen ohne Wende, und was wir lieben fern» (Lieder singen war auch so ein Trick meiner Pfadfindereltern).
In den letzten Jahren hat der Satz für mich eine neue Bedeutung bekommen. Rein statistisch gesehen habe ich die Hälfte meines Lebens schon hinter mir. Es dauert nicht mehr so lange, wie es schon gedauert hat. Der Satz ist ein Memento mori, das mich daran erinnert, wie flüchtig das Leben ist und wie prägend Erlebnisse. Denn eigentlich waren unsere Wanderferien toll. Wie weich doch das Bett war damals auf der Schynigenplatte nach der siebenstündigen Wanderung, und wie kühl das «Goggi». Was für ein Abenteuer, beim Planplatten mitten im Sommer ein Schneefeld zu traversieren. Und dieser Adrenalinkick, als wir mit schlotternden Knien den Hang hinab seckelten, um das letzte Postauto ins Tal nicht zu verpassen.
Höchste Zeit, meine Familie im Frühtau aus den Federn zu klopfen. Das erste Bähnli wartet nicht, und es gibt noch so viele Höger zu entdecken. Und wenn meine Kinder nach ein, zwei Stunden zu maulen beginnen, weiss ich zum Glück schon, was ich Ihnen sagen werde.