Islamisierung am Frühstückstisch

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 31. März 2015

Jetzt ist es so weit, dachte ich, als ich schlaftrunken das Radio anstellte und arabische Klänge aus dem Lautsprecher tönten: Die Islamisten haben den Staatssender übernommen. Es war dann zwar doch nur Mani Matters «Sidi Abdel Assar vo El Hama». Und Sven Epiney war auch noch am Mikrofon. Aber es war, als seien mir die Schuppen von den ungläubigen Augen gefallen: Überall sah ich an diesem Morgen die Zeichen der Islamisierung unserer Gesellschaft.

Der Kaffee, der verlockend in meiner Tasse dampfte – ein «Türkentrank», und ein «Muselmann, der ihn nicht lassen kann», so hatten wir es doch vielstimmig im Singunterricht in der Primarschule gelernt. Ich führte mein Gipfeli zum Mund und stutzte: Sah es wirklich nur zufällig aus wie der islamische Halbmond? Oder war es ein terroristischer Schläfer im Backwarenregal: Tausend Bisse gehen runter wie Butter, aber der 1001. bleibt einem im Halse stecken?

Um mich abzulenken, schlug ich die Zeitung auf und landete auf der Börsenseite. Aber was sah ich dort? Endlose Kolonnen von arabischen Ziffern starrten mich an. Schnell blätterte ich eine Seite weiter. Dort rechnete ein Politiker vor, dass die Muslime in 20 Jahren hierzulande in der Mehrheit sein würden. Die Mathematik, derer er sich bediente – Sie ahnen es: Algebra, Algorithmen, die Null; alles von Gelehrten erfunden, die an Allah glaubten. Nur der Rechenfehler in der obigen Gleichung, der ist auf einheimischen Mist gewachsen.

Auch vor unserer Sprache hat die Islamisierung keinen Halt gemacht: Arsenal, Chemie, Havarie, Kadi, Matratze, Rabatt, Sofa, Tarif, Zucker – alles Wörter, die aus dem Arabischen eingewandert und so gut assimiliert sind, dass wir sie gar nicht mehr als fremd wahrnehmen. Alkohol übrigens auch. Schon paradox, oder: Die dürfen keinen trinken, und wir hätten ohne sie keinen Namen für das, was uns besoffen macht.

Unser Essen, unser Denken, unsere Sprache – alles islamisiert, schon seit Jahrhunderten. Na, dann gute Nacht, Abendland, dachte ich mir. Aber andererseits: Von Amerika aus betrachtet ist Europa ja sowieso seit jeher Morgenland.

Es ist eben alles eine Frage der Perspektive.

Schwarze Löcher an der Zimmerdecke

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 21. März 2015
Es ist schon seltsam: Wir sind zum Mond geflogen, unsere Autos parken selber ein und die Telefone sind smarter als die meisten Benutzer – aber wenn es darum geht, Lampen aufzuhängen, leben wir immer noch in der Steinzeit.

Da zieht man in eine neue Wohnung und freut sich aufs Einrichten. Aber in allen Zimmern starren einem aus der Decke schwarze Löcher entgegen, aus denen fies verbogene Drähte herausragen. Und die Freude ist weg. Ausgeknipst. Denn obwohl schon geschätzte sieben Vormieter ihre Lampen aufgehängt haben, gibt es natürlich keine fix montierten Haken, die man benutzen könnte. Und wenn der Vormieter tatsächlich so nachlässig war, seine Bohrlöcher nicht zu verputzen, dann passen sie bestimmt nicht zu den Leuchten, die man aufhängen will.

Also bleibt nur eines: der Griff zum schweren Gerät. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich auf dem Stuhl stehe, den Militärgehörschutz auf dem Kopf, die Schlagbohrmaschine in der Hand, und mit 48 000 Schlägen pro Minute die Decke traktiere, dann scheint in meinem Gehirn immer dasselbe albtraumhafte Bild auf: Ich bohre mitten durch die Stromleitung, glühe für einen Moment auf wie eine flackernde Neonröhre und falle dann tot vom Stuhl, während die Bohrmaschine mit einem leisen Sirren den Geist aufgibt.

Und obwohl ich die Sicherung immer, immer vorher rausdrehe, werde ich diesen Gedanken nicht los. Mit schweissnassen Händen lege ich dann jeweils die Bohrmaschine zur Seite und reibe mir den Bohrstaub aus den Augen.

Aber die wahre Herausforderung kommt erst noch: Mit dem Schraubenzieher im Mund fädle ich die Drähte in die Lüsterklemme ein. Oder versuche es zumindest. Denn leider hat der Designer meiner Lampe die Anschlusskabel so kurz gehalten, dass ich wie eine Fliege an der Decke kleben müsste, um das Ganze auf Augenhöhe erledigen zu können.

Also stochere ich mit dem Schraubenzieher blind über meinem Kopf herum, während meine Frau die Lampe hält und fragt, ob ich die Sicherung auch wirklich rausgedreht habe.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ist die Lampe dann irgendwie an der Decke. Und ich bin ganz schön stinkig. Denn eines verstehe ich nicht: Es ginge doch auch so viel einfacher. Wieso steckt nicht in jeder Decke eine genormte Steck-und-Schraubverbindung? Und jede Lampe hätte das entsprechende Gegenstück. Ein Klick, ein Dreh – und jede Lampe wäre im Handumdrehen montiert.

Das wäre doch mal ein Gebiet, auf dem sich die Brüsseler Normierungswut segensreich auswirken würde. Aber denen ist noch kein Licht aufgegangen.

Krokuspokus

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 23. Februar 2015

Wie legen Sie Ihr Geld an? Ist ja nicht einfach heutzutage: Beim Sparkonto fressen die Spesen die Zinsen auf, Spekulieren an der Börse ist riskant, für Immobilien reicht der Sparbatzen bei den meisten nicht, und unter der Matratze drücken die Geldbündel unangenehm im Kreuz. Ich setze deshalb auf eine bodenständige Form der Investition: Ich verloche mein Geld, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Geld wächst zwar bekanntlich nicht auf den Bäumen, aber wenn man es richtig anstellt, treibt es die schönsten Blüten.

Wie das geht? Ganz einfach, jeden Herbst pflanze ich ein paar Hundert Krokusknollen. Und dann heisst es: warten. Denn beim Krokuspflanzen handelt es sich um eine langfristige Wertanlage. Und ja, auch ein gewisses Risiko ist dabei: Mal ist der Boden zu undurchlässig, der Winter zu frostig oder sind die Wühlmäuse zu gefrässig. Aber meistens trägt das Investment nach ein paar Monaten schöne Zinsen. Vor ein paar Tagen habe ich die ersten blühenden Krokusse entdeckt. Und die Gewinnaussicht, die sie versprechen, lassen mein Investorenherz höher schlagen: Krokuspokus, es wird Frühling.

Grün, lokal, nachhaltig – Krokusse sind eine Wertanlage, bei der man kein schlechtes Gewissen haben muss. Sozial ist mein Investment noch obendrein, da alle davon profitieren. Einen Garten habe ich nämlich nicht. Dafür gibt es in meinem Quartier genügend öde Rasenflächen, verwaiste Pflanzkübel und trostlose Wegränder, die ich heimlich mit den Knollen spicke. Die erstaunten und erfreuten Gesichter der Nachbarn und Hausabwarte, wenn es im Frühling plötzlich spriesst – Gold wert.

Jetzt muss ich nur noch die Steuerbehörde davon überzeugen, dass ich meine botanische Wertanlage von den Steuern abziehen kann – als wohltätige und wohltuende Spende an die Allgemeinheit.

Morgarten, die Suva und historische Wahrheiten

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 7. Februar 2015

Dass Winkelried mit seinem beherzten Sprung in die feindlichen Speere in der Schlacht von Sempach nicht nur den Eidgenossen eine Gasse bahnte, sondern mit seinen berühmten letzten Worten «Sorget für mein Weib und meine Kinder» auch den Weg für die Alters- und Hinterbliebenenversicherung AHV ebnete, ist ja allgemein bekannt. Gänzlich in Vergessenheit geraten hingegen ist, dass bereits 71 Jahre zuvor der ideelle Grundstein für die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva gelegt worden war. Und zwar in der Schlacht bei Morgarten 1315 – von einem Habsburger.

Das kam so: An der Strafexpedition von Herzog Leopold gegen die bäuerlichen Rechtsbrecher aus Schwyz beteiligte sich auch Hiltpold von Hilfikon, ein Aargauer Ritter in habsburgischen Diensten. Was genau an jenem 15. November 1315 am Morgarten geschah, ist bis heute unklar. Auf jeden Fall foutierten sich die Eidgenossen um die ritterlichen Regeln von Fairness und Anstand und hieben die Ritter mit ihren Hellebarden in Stücke. «Da war nicht eine Schlacht, sondern nur ein Schlachten», notierte ein Chronist später lapidar.

Überliefert ist, dass Hiltpold das Gemetzel schwer verletzt überlebte und sich auf seine Burg retten konnte. Auf dem Krankenbett entwickelte er eine visionäre Idee, um das Berufsrisiko als Ritter zumindest teilweise abzuschwächen: eine «gegenseytig hüllfscassa für nothleidend edellüt, die in einer schlacht an leyb und gliedern verletzet wurden». Hiltpolds «hüllfscassa» sah Prämien vor, hälftig bezahlt von den Rittern und ihrem Kriegsherrn. Verletzte und verstümmelte Ritter sollten aus der «Cassa» Geld erhalten, um Pflege und Kur zu berappen. Ja sogar die berufliche Wiedereingliederung hatte Hiltpold angedacht. Bevor er allerdings sein Projekt Herzog Leopold unterbreiten konnte, erstickte Hiltpold jämmerlich an einem Stück Rüeblitorte. Sein letztes Wort macht denn auch nicht viel her: «Mmpff.»

Und was lernen wir daraus? Erstens: In der Schweiz dauert es manchmal sehr lange, bis gute Ideen umgesetzt werden. Die Suva nahm nämlich erst 1918 ihren Betrieb auf. Zweitens: Früher waren die Aargauer keine Schweizer, sondern Ausländer. Das mag vielleicht erklären, wieso die SVP heute im Aargau die stärkste Kraft ist. Ich sage nur: Überkompensation. Und drittens: Glauben Sie nicht alles, was in diesem Jubiläumsjahr über Morgarten verzapft wird. Die Faktenlage ist dünn, umso üppiger wuchern die Legenden und Interpretationen. Die Sache mit der berühmten Warnung «Hütet euch am Morgarten» zum Beispiel ist mit Sicherheit frei erfunden.

Was Marignano uns zu sagen hat

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 2. Februar 2015

Die Schlacht bei Marignano jährt sich diesen September zum 500. Mal – das gehört gefeiert. Denn aus Marignano können wir auch heute noch viel lernen. Allen voran Gottéron: Wenn es den Drachen gelänge, jede ihrer Niederlagen nachträglich so erfolgreich zum Sieg zu verklären, wie das mit Marignano passiert ist, dann würden die Freiburger als ewiger Meister in die Geschichte eingehen.

Aber Spass beiseite. Marignano ist ein Lehrstück über die Chancen und Grenzen kleinstaatlicher Politik: Bilateralismus, übernationale Gerichte, politische Abhängigkeit, wirtschaftliche Verflechtung und Zerstrittenheit über den aussenpolitischen Kurs – alles steckt drin in Marignano.

Sie glauben mir nicht? Bitteschön: Die Eidgenossen waren Anfang des 16. Jahrhunderts ein übermütiges und erfolgsverwöhntes Kriegervolk, das von 1512 bis 1515 die Lombardei samt der Handelsmetropole Mailand beherrschte. Das wurmte den französischen König Franz I. gewaltig. Er rückte auf Mailand vor und gab den Eidgenossen im September 1515 gehörig eins aufs Dach.

Marignano wurde damit zum Wendepunkt der eidgenössischen Geschichte. Denn unsere Vorväter mussten einsehen, dass Heldenmut und Hellebarden gegen Kanonen und Kavallerie nicht viel auszurichten vermochten. Der Traum einer unabhängigen eidgenössischen Grossmacht wurde damit beerdigt. Stattdessen suchten die Eidgenossen ihr Heil pragmatisch in einem bilateralen Staatsvertrag mit Frankreich. Am 29. November 1516 schlossen sie – in Freiburg – einen «Ewigen Frieden» mit dem französischen König; für künftige Konflikte sollte ein Schiedsgericht einberufen werden.

Sich eng an Frankreich anzulehnen, war für die Eidgenossenschaft lukrativ: Sie erhielt eine Kriegsentschädigung und sicherte sich den Zugang zu den blühenden europäischen Märkten. Aus den Kriegen der Grossen hielt sich die Eidgenossenschaft künftig raus – katholische und protestantische Orte waren schlicht zu zerstritten, um sich auf eine gemeinsame Aussenpolitik zu einigen. Ihre jungen Männer hingegen schickte die Eidgenossenschaft weiterhin auf die internationalen Schlachtfelder – als Söldner, was den Soldunternehmern fürstliche Gewinne brachte.

Mit anderen Worten: Weil der Alleingang nicht mehr möglich war, setzten die Eidgenossen pragmatisch auf den bilateralen Weg. Und tauschten politische Unabhängigkeit gegen wirtschaftliche Prosperität. Durchaus interessant. Durchaus erinnerungswürdig. Und irgendwie ziemlich aktuell. Aber wieso ausgerechnet die SVP das 500-Jahr-Jubiläum von Marignano gross feiern will, ist mir ein Rätsel.

PS: Das nächste Mal verrate ich Ihnen, wie ein habsburgischer Ritter 1315 am Morgarten die Suva erfand.

Das letzte Tabu

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 20. Januar 2015

Es gibt drei zuverlässige Methoden, an einer Party in Sekundenschnelle zum sozial Aussätzigen zu werden: Man wirft nonchalant in die angeregte Runde, man halte Roger Federer für einen überbewerteten Langweiler und überhaupt sei Tennis ein Sport für Bekloppte. Man pinkelt vor allen Augen ins Goldfischglas des Gastgebers und greift nachher – ohne die Hände zu waschen – in die Schale mit den Wasabi-Nüsschen. Oder man fragt sein Gegenüber schlicht, wie viel es pro Monat verdiene.

Es ist schon seltsam. Wir leben in schamlosen Zeiten: Je peinlicher, desto berühmter und umgekehrt, und ungeniert breiten wir auf dem digitalen Marktplatz unser Seeleninnerstes aus. Aber die Zahl auf unserem Lohnausweis, die verraten wir nur dem Steueramt. Und das auch nur, weil wir müssen.

Dabei wäre es doch alles viel einfacher, wenn in Sachen Lohn völlige Transparenz herrschen würde. Beim ersten Date zum Beispiel: «Hallo, ich bin die Julia und verdiene 8000 brutto. Und du?» Und schon wäre klar, wer den nächsten Drink spendiert. Und beim Vorstellungsgespräch würde der peinliche Eiertanz um die Lohnfrage wegfallen («Was haben Sie sich denn vorgestellt?» – «Was können Sie denn zahlen?» – «Sie zuerst!» – «Nein, Sie!»).

Denn das Lohn-Tabu ist völlig unbegründet. Es hat ja niemand etwas zu befürchten, wenn alle wissen, wie viel er verdient. Lohn zu bekommen, ist nichts Peinliches oder Unanständiges. Sondern etwas ganz Faires: Man wird für seine Arbeit entlöhnt. Und je schmutziger, anstrengender oder gefährlicher eine Arbeit ist, desto mehr Lohn … Ach, nein, so funktioniert das ja nicht. Aber vielleicht so: Je länger einer die Schulbank drücken musste für einen Job und je mehr Verantwortung er trägt, desto höher sein Gehaltsscheck.

Wobei das ja auch nur bis zu einer bestimmten Gehaltsstufe gilt. Ab dann sind die Löhne reine Fantasie: Der Verwaltungsratspräsident zählt still in 100 000er-Schritten vor sich hin, und der neue CEO sagt möglichst spät «Stopp». Und das ist dann der Jahreslohn. Zum Beispiel 11,9 Millionen Franken. So viel verdient Roche-Chef Severin Schwan. Ein anständiger Zapfen. Oderunanständig viel Geld? Schwan selbersagte dazu unlängst in einem Interview, er würde sich nicht schlechter fühlen, wenn er nur die Hälfte verdienen würde. Verzichtet hat er dann allerdings freilich nicht.

Und nach diesem Plädoyer für Lohntransparenz wollen Sie natürlich jetzt wissen, wie viel ich verdiene. Na gut. Achtung, Trommelwirbel: Deutlich weniger als ein Prozent von Schwans Jahreslohn. Und im Gegensatz zu Schwan würde ich mich ziemlich mies fühlen, wenn ich nur die Hälfte davon bekäme.

Lauter schlechte Vorsätze

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 2. Januar 2015

Das mit den guten Vorsätzen klappt ja sowieso nie. Deshalb habe ich fürs neue Jahr schlechte Vorsätze gefasst, und zwar gleich eine ganze Menge davon: Ich werde weniger Zeit mit meinen Kindern verbringen und dafür mehr arbeiten – auch am Wochenende. Das freut das Portemonnaie und schont die Nerven.

Meine Fingernägel werde ich nicht schneiden, sondern kauen, und die Zehennägel gleich mit – vorausgesetzt, ich kriege die Füsse hoch, was ich bezweifle, denn noch mehr als letztes Jahr werde ich im neuen Jahr keinen Sport treiben. Die Joggingschuhe, die ich letzten Januar gekauft habe und die seither im Keller verstauben, schmeisse ich in die Altkleidertonne. Und für die 500 Meter bis dorthin rufe ich mir ein Taxi. Überhaupt will ich mehr Geld für unnütze Dinge ausgeben. Gerade weil ich mir das eigentlich nicht leisten kann.

Ernähren will ich mich im neuen Jahr, so oft es mir passt, mit fettigen Fertiggerichten aus den Tiefkühlregalen der deutschen Discounter. Je billiger, desto besser. Mir doch egal, ob in der Lasagne für 2.90 Pferd, Känguru oder Sägemehl drin ist. Und ich werde darauf achten, das ganze Jahr über Peperoni zu essen und ganz viele Erdbeeren im Dezember – für etwas gibt es ja in Spanien geheizte Treibhäuser und afrikanische Pflücksklaven.

Viel weniger kluge Bücher will ich lesen, das nehme ich mir fest vor, und dafür schon vormittags deutsches Privatfernsehen gucken und mich nicht schämen dafür. Sondern stolz sein auf meine Ignoranz. Weder Italienisch, noch Arabisch noch Chinesisch werde ich im neuen Jahr lernen; soll doch Deutsch büffeln, wer etwas von mir will. Überhaupt will ich mich weniger interessieren für die Welt und die Politik und wie alles zusammenhängt, mein Bauchnabel ist mir Mysterium genug.

Und ja, dieses Jahr schaffe ich es ganz sicher – und fange mit dem Rauchen an.

Das Gute an diesen schlechten Vorsätzen: Niemand ist mir böse, wenn ich sie nicht in die Tat umsetze. Am allerwenigsten ich selber. Und das ist ungemein befreiend.

Ein gutes neues Jahr!

Und Friede den Menschen auf Erden

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 23. Dezember 2014

«Jesses Maria», entfuhr es mir, als ich in die Waschküche trat. Denn über die Waschmaschine gebeugt stand ein bärtiger Gotteskrieger im langen Gewand. Die Jihadisten basteln aus unserer Waschmaschine eine schmutzige Bombe, zuckte es mir durchs Gehirn. Aber bevor ich NSA auch nur denken konnte, drehte sich der Mann um, und ich erkannte meinen muslimischen Nachbarn. Grüss Gott, sagte er, und das sei ihm jetzt ein bisschen peinlich, aber ob ich wüsste, mit welchem Waschprogramm man Rotweinflecken am besten rauskriege.

«Schalom», sagte ich verdattert, und schämte mich für meinen Reflex, gleich das Schlimmste zu denken. Und aus meiner Zerknirschtheit heraus beschloss ich, dass es an der Zeit wäre, eine neue Religion zu gründen. Eine Religion, deren oberstes und einziges Gebot es wäre, im Gegenüber nicht den Fremden, den Andersgläubigen oder den Falschdenkenden zu sehen, sondern stets nach dem Gemeinsamen zu suchen, das Verbindende zu pflegen und das Mensch- lich-Allzumenschliche zu preisen.

Dazu bräuchte es ausdauernde Geduld, Liebe und Toleranz, bis es wehtut. Aber es würde sich lohnen. Denn statt uns die Köpfe einzuschlagen, weil wir uns uneins sind über die Details des Jenseits, würden wir das Beste aus dem Diesseits zu machen versuchen. Täglich würden wir unsere Gottesdienste der geschwisterlichen Nächstenliebe abhalten in Waschküchen, an Bushaltestellen und in Betriebskantinen. Und zwischendurch hätten wir einen Heidenspass beim Feiern feucht-fröhlicher Feste mit koscherem Schweinebraten, «gefilltem Fisch» nach Franziskanerart und bi-nationalem Couscous-Eintopf. Denn nur zwei Speisevorschriften hätte die neue Religion: Jeder isst, was ihm schmeckt, und niemand, niemand, niemand muss hungern.

Es gäbe keine heiligen Bücher, sondern nur gut oder schlecht erzählte Geschichten. Wir bräuchten keine Propheten und Schriftgelehrten und Heiligen und schon gar keine Märtyrer, denn für unseren Glauben würden wir nicht töten und sterben, sondern leben und lieben. Und die Fehlbarkeit wäre unser Dogma.

Dann erwachte ich aus meinem Traum. Die Kirchenglocken hatten mich geweckt, oder der Gebetsruf des Muezzins, vielleicht auch das heftige Flattern der tibetanischen Gebetsfähnchen auf dem Nachbarbalkon. Mein Radiowecker ging an–und in den Nachrichten: zerbombte Kirchen, Schiiten gegen Sunniten, Mord, Hass, Intoleranz.

Und ich dachte: Sie wäre einen Versuch wert, diese neue Religion.

Brokkoli-Auflauf für «Bruder Wolf»

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 11. Dezember 2014

Kinder brauchen Grenzen. Und Werte. So heisst es. Für uns Erziehungsberechtigte bedeutet das, wir müssen zu allem eine Haltung haben. Das ist einfach, wenn es um Brokkoli geht («Iss das!»), um Schlagen, Beissen und Kratzen («Lass das!») und um Süssigkeiten vor dem Mittagessen («Vergiss es!»).

Schwieriger wird es bei der religiösen Erziehung. Als durchschnittlich kirchenferner Katholik gerate ich regelmässig in Teufels Küche, wenn ich meine eigenen Zweifel mit den katholischen Dogmen und dem kindlichen Vorstellungsvermögen und Wunderglauben unter einen Hut zu bringen versuche.

Heikler ist eigentlich nur noch eine andere Glaubensfrage: der Wolf. Denn das Tier spaltet die Schweiz. Vergessen Sie den Röstigraben, der ist schon fast gegessen. Heute zieht sich die Wolfskluft durch das Land, und auch im Brückenkanton Freiburg ist noch kein Steg darüber geschlagen worden. Unversöhnlich stehen sich Wolfsschützer und Wolfsschützen gegenüber. Und zwischen den Fronten stehe ich und weiss nicht weiter. Als Vater.

Welches Bild vom Wolf soll ich meinen Kindern vermitteln? Darf ich ihnen weiterhin die Geschichte vom Rotkäppchen erzählen, auch wenn darin der Wolf als menschenfressende Bestie porträtiert wird, der man den Garaus machen muss? Als Ausgleich habe ich die Kleinen im WWF-Kinderclub angemeldet und tapeziere das Kinderzimmer mit den herzigen Wolfspostern aus den Pro-Natura-Heftli. Aber werde ich damit den Schafhaltern und ihrer Wut und Trauer über ihre gerissenen Tiere gerecht, die auch kein staatlicher Schadenersatz mildert?

Und ist es pädagogisch noch angebracht, «Chomm, mir wänd go Beeri sueche, s het jo gar kei Wolf im Wald» vorzusingen? Meine Kinder lieben das Lied – und die damit verbundene Angstlust. Sie wissen schon: «Am eis nid, am zwei nid, am drü nid … am zwölfi chonnt de Wolf!» Und dann jage ich die Kleinen zähnefletschend und knurrend durch die Stube. Geht das noch, oder muss sich künftig meine Frau bei diesem Spiel als Herdenschutzhündin vor die Kinder stellen?

Ich glaub, ich hab’s. Ich erzähle meinen Kindern die Geschichte vom heiligen Franziskus. Der zeigte «Bruder Wolf» ja bekanntlich die Grenzen der karnivoren Lebensweise auf, lehrte ihn den Wert des Lebens von «Schwester Schaf» und gewöhnte ihn an Brokkoli-Auflauf. Und wenn Isegrim doch einmal die Fleischeslust überkam, durfte er nur so viele Schafe reissen, wie er auch auf einmal aufessen konnte. Und keine süssen Lämmchen vor dem Mittagessen.

Damit mache ich sicher nichts falsch. Oder?

Steuersünder im Beichstuhl

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 2. Dezember 2014

Das Freiburger Kantonsparlament hat im November eine Amnestie für Steuersünder beschlossen. Daraufhin geht A. bei seinem Pfarrer zur Beichte.

A: Vergebt mir, Hochwürden, ich habe gesündigt.

Pfarrer: Was hast du denn gemacht, mein Sohn?

A: Steueramnesie.

P: Steueramnesie?

A: Ich habe vergessen, das Ausbildungskonto für meine Kinder bei den Steuern anzugeben: 100 000 Franken. Und da sind auch noch ein paar Wertpapiere in meinem Safe, von denen die Steuerbehörde nichts weiss.

P: Du hast also Steuern hinterzogen? Das ist keine Sünde …

A: Da bin ich beruhigt.

P:… sondern eine Straftat gemäss Artikel 175 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer.

A: Eine Straftat? Ist das nicht etwas hart ausgedrückt? Es sprechen doch alle von Steuersündern.

P: Aber niemandem käme es in den Sinn, einen Vergewaltiger «Sexualsünder» zu nennen, einen Dieb als «Eigentumssünder» zu betiteln oder einen Mord als Sünde an Leib und Leben zu bezeichnen. Oder?

A: Und die Temposünder?

P: Parksünder meinetwegen. Aber mit 80 durch ein Dorf zu brettern ist keine Sünde, sondern schlicht kriminell. Da ist es mit ein bisschen Asche aufs Haupt nicht getan.

A: Hoppla, Hochwürden. Müssten Sie nicht für Vergebung sein, immerhin sind sie Christ von Beruf?

P: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Und ausserdem: Ein echter Sünder bereut seine Tat und tut Busse, dann wird ihm vergeben. Bereust du deine Steuerhinterziehung, mein Sohn? Oder bist du einfach froh, dass du bisher nicht aufgeflogen bist?

A: Ähm.

P: Und hast du Busse getan?

A: Ich zahle die Steuern nach.

P: Die du sowieso hättest zahlen müssen. Das ist keine Busse.

A: Aber das ist doch der Clou einer Steueramnestie?

P: Dass der Staat sich kaufen lässt?

A: Wie bitte?

P: Straffreiheit gegen Steuergelder, die dem Staat sonst entgangen wären, das ist der Deal dahinter – das ist doch korrupt. Oder wie würdest du das nennen?

A: Pragmatisch. Der Staat muss an allen Ecken und Enden sparen. Da sind 46 Millionen Franken nicht zu verachten, die so in die Staatskasse fliessen.

P: Stimmt. Unsere Kirche könnte auch Geld brauchen, für die Renovation der Orgel und das Jugendlokal.

A: Dann kriege ich jetzt von Ihnen die Absolution?

P: Nein. Die musst du dir in diesem Fall beim Steueramt holen.