Neu im Fitness-Angebot: Nordic Talking

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 2. September 2014

Nordic Walking war gestern, der Fitnesstrend von morgen heisst «Nordic Talking». Fit mit Finnisch! Schlank dank Schwedisch! Die fünf Norweger! Sie glauben mir nicht? Ich schenke Ihnen eine Schnupperstunde. Hier und jetzt. Machen Sie mit? Dann los.

Mit ein bisschen Isländisch wärmen wir uns auf. Alle miteinander: Eyjafjallajökull. Und nochmals: Eyjafjallajökull. Und jetzt fünfzig Mal hintereinander. Ein bisschen schneller. Aha, der isländische Vulkan bringt die ersten schon ganz schön ins Schwitzen. Und manche spüren Hirnwindungen, von denen Sie nicht einmal gewusst haben, dass es sie gibt. Sehr gut.

Dann gehts gleich weiter mit der ersten Übung. Wir deklinieren finnische Verben. Heute: Schwitzen. Hikoilla. Und los: Minä hikoilen, sinä hikoilet, hän hikoilee, me hikoilemme, te hikoilette, he hikoilevat. Nicht nachlassen. Und jetzt im Plusquamperfekt. Minä olin hikoillut, sinä olit hikoilutt, hän oli hikoillut, me olimme hikoilleet, te olitte hikoilleet, he olivat hikoilleet. Halten Sie das Tempo. Und zum Schluss noch eine Runde Konditionalis: Minä hikoilisin, sinä hikoilisit, hän hikoilisi, me hikoilisimme, te hikoilisitte, he hikoilisivat. Und durchatmen. Wow, das fährt ganz schön ein, oder? Dagegen ist Zumba Seniorengymnastik.

Die zweite Übung gehen wir etwas ruhiger an. Flirten auf Schwedisch im lockeren Laufschritt. Und eins, und zwei, und drei und … Hey, hur är läget? Vill du dansa med mig? Schön im Takt bleiben. Und eins, und zwei, und drei und … Har du en flickvän? Du är söt. Du har ett vackert leende. Jag tycker om dig. Und immer schön lächeln, auch wenn es wehtut.

Und damit zum Höhepunkt unserer heutigen Schnupperlektion. Eine kurze Einheit Wörterbuch-Rundlauf. Fischstäbchen bis Flaschenöffner auf Norwegisch. Ich will noch einmal vollen Einsatz sehen. Von allen. Entspannen können Sie sich im Yoga.

Und los: Fiskepinne, fisker, fiskestang, fiskesuppe… Den Puls können wir noch höher treiben. Fjellbukse, fjellvolk, fjellstøvel … Und durchziehen bis zum Schluss. Flaske, flaskeåpner, flaskekork. Und Fertig. Tut gut, sich einmal so richtig auszupowern, oder?

Das nächste Mal nehmen wir uns dann Astrid Lindgren im Original vor. Auf dem Laufband. Bis dahin können Sie ja schon mal mit dem Ikea-Katalog trainieren.

Jetzt aber erst einmal ab mit Ihnen unter die Dusche.

Diskriminierte Bratwürste

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 23. August 2014

Kaum ist der Darmlieferengpass bei den Cervelats verdaut, droht den Schweizer Wurstwaren erneut Ungemach: Die Bratwurst-Diskriminierung. Seit Tagen wird von den Plakatwänden herab an mein Gutmenschen-Gewissen appelliert: «Bratwurst-Diskriminierung stoppen!» Zwar habe ich nicht ganz verstanden, wer die Bratwurst benachteiligt: Die Veganer? Die Filet-Esser? Das Bundesamt für Gesundheit? Auch die Motive der Bratwurst-Diskriminierer sind mir schleierhaft. Und ich frage mich: Ist nur die Bratwurst betroffen oder werden auch die Wienerli geschnitten, die Salami herabgewürdigt und die Blutwurst unterdrückt? Ich habe keine Ahnung, aber eine klare Meinung: Es besteht dringender Handlungsbedarf.

Wenn jemand die Bratwurst diskriminiert, dann werde ich zur beleidigten Leberwurst. Denn Fleisch ist mir nicht Wurst und die Wurst punkto Fleisch das höchste der Gefühle. Andere mögen von rosa gebratenem Lammrücken schwärmen oder sich nach einem saftigen Steak sehnen, ich singe das Loblied der Wurst. Nicht nur, weil alles andere nur ein Ende hat, die Wurst aber deren zwei. Nein: Ein Stück rotes Fleisch über dem Feuer zu brutzeln, das machten schon die Neandertaler. Das ist keine Kunst. Aber aus, sagen wir es nett, wenig gefragten Fleischstücken und Gewürzen ein Produkt herzustellen, das schmeckt – das ist eine Kulturleistung, die man nicht hoch genug einschätzen kann. Das Kotelett ist die rohe Natur, die Wurst ist deren Veredelung, ist formgewordener menschlicher Erfindungsgeist. Nicht umsonst heisst es: Wo ein Wille ist, ist auch eine Wurst.

Ja, ich würde sogar so weit gehen, die Wurst als Sinnbild für die Schweiz zu bezeichnen. Unser Land ist ein Gemisch aus vier Sprachen und vielen Kulturen, so wie die Wurst ein Gemenge aus Hack, Speck, Salz und Gewürzen ist. Und was hält sie zusammen? Der Wille die Schweiz, die Hülle die Wurst. Wer deshalb die Bratwurst diskriminiert, der reitet auch einen Angriff auf unsere abendländische Kultur, ja, er rüttelt an den Grundfesten unseres Landes.

Um ein Zeichen gegen die staatsgefährdende Bratwurst-Diskriminierung zu setzen, ging ich deshalb kürzlich zum Metzger meines Vertrauens und erstand eine schöne Bauernbratwurst. Mit vielen Zwiebelringen briet ich sie zu Hause an, löschte mit Weisswein und Bouillon ab und liess die Wurst im Sud köcheln. Dann verzehrte ich sie, ganz diskriminierungsfrei, bis kein Zipfel mehr von ihr übrig war.

Selten hat es so gut getan, meine staatsbürgerliche Pflicht zu erfüllen.

Ein Blackout als Sternstunde

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 19. August 2014

«Weißt du, wieviel’ Sternlein stehen?» gehört bei meinen Kindern zum allabendlichen Einschlafritual dazu. Mitten in der dritten Strophe wollte meine vierjährige Tochter neulich wissen, wie viele Sternlein denn nun eigentlich am Himmel stünden. Ich wusste es nicht. Und weil an ein Einschlafen nicht zu denken war, bevor diese Frage nicht geklärt war, gingen wir auf den Balkon, um nachzuzählen. Wir waren schnell fertig: Wir kamen auf 27, plus einen Planeten und drei blinkende Flugzeuge. Meine Tochter war mit diesem Resultat zufrieden. Ich nicht.

Nachdem sie eingeschlafen war, googelte ich und fand heraus, dass man früher bis zu 6500 Sterne am Himmel ausmachen konnte. Mit blossem Auge. Aber solch pechschwarze Nächte und sternenübersäte Nachthimmel gibt es im lichtverschmutzen Siedlungsbrei des Mittellandes schon längst nicht mehr. Oder wann haben Sie das letzte Mal die Milchstrasse gesehen?

Ernüchtert ging ich wieder auf den Balkon. Es war inzwischen etwas dunkler geworden, und tatsächlich funkelten nun ein paar Sterne mehr am Himmel über Villars-sur-Glâne. Aber die himmlische Lichtshow blieb äusserst mager. In diesem Augenblick verglühte eine Sternschnuppe, und ich wünschte mir, der Freiburger Stromsparminister Beat Vonlanthen würde seine Off-Kampagne weitertreiben und verfügte in einer Anwandlung christdemokratischen Absolutismus einmal pro Woche eine Stunde lang ein totales Lichterlöschen im ganzen Kanton Freiburg.

Die Strassenlampen würden ausgehen, die Einkaufszentren müssten ihren Leuchtreklamen und Schaufenstern die Stecker ziehen. Für Privathäuser gälte die absolute Verdunkelung. Autos, Busse und Züge blieben stehen und schalteten die Scheinwerfer aus. Groupe E würde die Generatoren stoppen und wehe dem, der die Dunkelheit mit seinem Handydisplay erleuchten würde.

Für eine Stunde würde sich Freiburg in ein schwarzes Loch im Lichtermeer zwischen Lausanne und Bern verwandeln. Die Menschen stünden zu Tausenden auf der Strasse, auf den Balkonen oder am Fenster, schauten zum Himmel hoch und würden – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – die Milchstrasse sehen. Und meine Tochter und ich würden beim tausendundersten Stern aufhören zu zählen und einfach nur staunen über das himmlisch schöne Schauspiel.

Zugegeben: Ein solcher von oben herab befohlener Blackout wäre kein demokratischer Glanzmoment. Aber eine Sternstunde. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Foto: © Olli Henze, Milkyway/Harz, CC-Lizenz, Flickr, https://www.flickr.com/photos/gruenewiese/14128224250

Holen wir die WM nach Freiburg

WM-Glosse in den Freiburger Nachrichten vom 5. Juli 2014

Russland ist 2018 dran. 2022 Katar. 2026 darf die WM laut Fifa-Regeln nicht in Europa stattfinden. Aber wir sind ja nicht in Europa. Also sollten wir uns um die Fussballweltmeisterschaft 2026 bewerben, finde ich. Und mit «uns» meine ich nicht die Schweiz, sondern den Kanton Freiburg.

Was Brasilien kann, können wir auch. Denn mal ganz ehrlich: Was unterscheidet Freiburg von Brasilien? Eigentlich nichts Entscheidendes: Sie haben die Copacabana, wir den Sensestrand. Sie die Christusstatue, wir die Loretto-Kapelle. Sie haben indigene Völker, wir die Greyerzer. Und die südamerikanische Lebensfreude toppen wir mit charmanter voralpiner Verknorztheit. Am wichtigsten aber: Freiburg und Brasilien sind beides Schwellenländer auf dem Sprung zur Wirtschaftsmacht. Noch Kuhmist an den Sohlen, machen wir in der blauen Fabrik auf Zukunft und setzen auf Biotech. Genau wie Brasilien. Die Ambitionen gross, die Bevölkerung jung, das Budget knapp. Die Lehrer gehen auf die Strasse, weil ihre Löhne gekürzt werden: Hüben wie drüben dasselbe Lied.

Und darum holen wir die WM jetzt nach Freiburg. Sie wird uns gut tun. Einen Monat lang schaut die Welt auf unseren Kanton: Der Imagegewinn – unbezahlbar. Die Fans aus aller Welt, und danach die Touristen, die Firmen – sie alle bringen Geld. Ein Ruck geht durch den Kanton. Deutsch und Welsch stehen zusammen. Freiburg wird zum Motor der Schweizer Wirtschaft.

Die Stadien fehlen? Ich bitte Sie, das ist doch kein Grund. Der Kanton hat Erfahrung damit, auf die Schnelle grosse Projekte zu realisieren. Dass die am Ende dann teurer werden als geplant, nun ja, das gehört irgendwie zur Natur der Sache. Dafür sind die Bauten spektakulär: Ein schwimmendes Fussballfeld auf dem Murtensee («fifaplage»). Eine Alpenarena in Schwarzsee, bei der das Wolfsgeheul aus den umliegenden Bergen die Pfeife des Schiedsrichters übertönt («Die Voralpenhölle» titeln die ausländischen Medien). Die Verantwortlichen der Jazz Parade übernehmen die Organisation. Hubert Audriaz gestaltet die Eröffnungsfeier als bunten Kindergeburtstag. Gustav singt inbrünstig die von ihm neu getextete und komponierte Schweizer Nationalhymne. Und beim Eröffnungsspiel Schweiz – Deutschland geht im entscheidenden Moment das Licht im Stadion aus, was Beat Vonlanthen entzückt mit «OFF-Side» kommentiert.

Kurz: Es wird ein Debakel. Es wird ein Fussballfest.

Wir brauchen nur noch die Fifa zu überzeugen. Sie wissen ja, wie das geht. Ihre Argumente können Sie mir in unauffälligen Umschlägen zukommen lassen. Bis zur Vergabe der WM 2026 haben wir sicher die nötigen paar Millionen gute Gründe beisammen.

Das 2:5 ist meine Schuld

WM-Glosse in den Freiburger Nachrichten vom 23. Juni 2014

Ich bin schuld daran, dass die Schweiz gegen Frankreich so schmählich verloren hat. Nicht Benaglio. Nicht Lichtsteiner. Nicht Shaqiri. Schon gar nicht Hitzfeld. Ich ganz allein. 

Ich hätte die Fahne aufheben sollen, dann wäre alles anders gekommen. Sie lag mitten auf der Kreuzung. Beauregard-Midi. Ein kleines Schweizer Fähnchen, wie man es in den Tankstellenshops gratis bekommt, wenn man zwei Kästen Bier, einen Sack Holzkohle und 35 Cervelats kauft. Eines jener Fähnchen, die sich Fans an ihr Auto montieren. Nun lag es auf der Strasse, zerknittert, dreckig. Sieben Stunden vor dem Anpfiff. Es musste von einem Schweizer Fan-Mobil abgefallen sein. Vielleicht hatte der Fahrer es nicht fachmännisch montiert, vielleicht war das hehre Tuch billige Chinaware, das dem Fahrtwind nicht standgehalten hatte. Vielleicht hatten sich auch zwei Autos gekreuzt, beide beflaggt, ein Schweizer Fan und ein Anhänger der «Bleus». Sie waren sich gefährlich nahegekommen – und die Trikolore hatte mehr Standfestigkeit bewiesen.

Wie auch immer: Ich sass im Bus, sah aus den Augenwinkeln die geschändete Standarte und wusste instinktiv, was ich tun musste. Oder hätte tun sollen. Denn wenn ich eines gelernt hatte aus den unzähligen Römer-, Ritter- und Kriegsfilmen, die ich gesehen habe, dann dies: Der General mochte taktisch noch so gewieft sein, die Sturmspitze noch so furchtlos – lag die Fahne erst am Boden, dann war die Schlacht vorbei und der Krieg verloren.

Unter lauten «Hopp Schwiiz»-Rufen hätte ich aus dem Bus stürzen sollen. Todesmutig hätte ich durch den dichten Verkehr in die Mitte der Kreuzung hechten und das Fähnlein hochheben sollen, bevor ein Lastwagen voller Gänseleber es überrollen würde. Rings um mich hätten die begeisterten Fans gehupt und Fahnen geschwenkt. Ich wäre der Held gewesen.

Wahrscheinlich wäre ich auf der dicht befahrenen Kreuzung auch einfach unter die Räder gekommen. Und ich hatte keine Lust, einen filmreifen Heldentod zu sterben. (Die über mich gebeugten Sanitäter schütteln traurig den Kopf. Mit einer Träne in den Augen und dem Ausdruck grimmigen Patriotismus–«Sein Tod war nicht umsonst» – nehmen sie die Fahne aus meiner kalten Hand. Zoom auf das wehende Schweizerkreuz. Überblendung zum Schweizer Siegestreffer gegen Frankreich. Ende.) Ich hatte eigentlich überhaupt keine Lust, zu sterben. Und der Bus fuhr weiter. Und ich musste zur Arbeit.

Den Rest kennen Sie ja. Jetzt wissen Sie auch, wer es vermasselt hat.

Exgüsi!

Für immer himmelblau

WM-Glosse in den Freiburger Nachrichten vom 21. Juni 2014

Mein Herz schlägt höher beim Treppensteigen, nicht beim Fussballgucken. Aber als Luis Suárez Uruguay zum 2:1-Sieg gegen England schoss, da hüpfte mein Herz für einen kurzen Moment wie der Brazuca auf dem brasilianischen Rasen. Ich bin kein Fan, aber der uruguayischen Nationalelf bin ich etwas schuldig.

Das kam so. 1986 kickten Uruguay und 23 andere Teams in Mexiko um den Weltmeistertitel. Ich war neun Jahre alt damals, und auf dem Pausenplatz unserer kleinen Primarschule im Luzernischen grassierte das Panini-Fieber. Alle anderen hatten dicke Stapel der farbigen Fussballer-Helden, vor und nach der Schule wurde heftig getauscht und gefachsimpelt. Nur ich stand abseits. Denn ich hatte keine Panini-Bildli (Sackgeld knapp, die Eltern Fussball-Abstinenzler, ich uncool) und schon gar keine Ahnung von Fussball. (Erst Jahre später kapierte ich, wieso meine Schulkameraden «Henz!» brüllten, wenn beim Tschutten jemand den Ball mit den Händen berührte.)

Irgendwann erbarmten sich meine Gspändli meiner und schenkten mir jene Kleber, die als Tauschobjekte keinen Wert hatten – und das waren die Tschütteler aus Uruguay. Ob Panini aus Versehen zu viele davon gedruckt hatte oder ob die Südamerikaner bei Luzerner Landeiern einfach nicht beliebt waren, weiss ich bis heute nicht. Jedenfalls hatte ich nach und nach die gesamte uruguayische Mannschaft zusammen, auch das Mannschaftsbild und sogar das Wappen. Ich glaube mich noch heute an dessen silbriges Schimmern zu erinnern. Und an das wohlige Gefühl, dazuzugehören.

Dann ging die WM zu Ende, Uruguay war in den Achtelfinals ausgeschieden, die Sommerferien kamen und die klebrigen Uruguayer landeten irgendwann im Abfall. Trotzdem habe ich nie vergessen, was sie 1986 für mich getan haben. Darum: «Soy celeste!» Ich bin himmelblau, wie die uruguayischen Fans singen. Himmelblau für immer.

Ein Fussballsommermärchen

WM-Glosse in den Freiburger Nachrichten vom 12. Juni 2014

Wahrscheinlich waren es die gegrillten Hühnerherzen vom brasilianischen Buffet. Vielleicht hatte ich auch einen oder zwei Caipirinhas zu viel geschlürft. Jedenfalls hatte ich einen seltsamen Traum. Seltsam, aber sehr schön. Ein wahres Fussballsommermärchen.

Die Fifa hatte die WM-Stadien und Fanmeilen kurzerhand zu sponsorfreien Zonen erklärt. In die Lücke sprangen die lokalen fliegenden Händler, die das Geschäft ihres Lebens machten und sich nach der WM zur Ruhe setzen konnten. Die Näherinnen in den Textilfabriken erhielten für jedes gefertigte Fussball-Shirt die Hälfte des Schweizer Ladenpreises und eigneten sich in einer unfreundlichen Übernahme Adidas und Puma an.

Sepp Blatter nahm den Fifa-Slogan «For the Game. For the World» endlich ernst und entmachtete sich in einem letzten diktatorischen Akt selbst. In seinem eigentümlichen Englisch erklärte der Ex-Fifa-Präsident, fortan nur noch den Rasen am Fifa-Hauptsitz zu mähen und seinen Mindestlohn ordentlich zu versteuern.

Und natürlich hatten sich die Schweizer Tschütteler ins Final gekickt. Als es nach der Verlängerung gegen den Iran immer noch 10:10 unentschieden stand, beschloss der isländische Schiedsrichter in einem wahnwitzigen Anflug von Übermut – er selber sagte später, Gott hätte seine Hand im Spiel gehabt –, dass der Weltmeister für einmal nicht im Penalty-Schiessen, sondern im Sambatanzen erkoren würde. Vom Rasenmäher aus gab Blatter seinen Segen, um den ihn niemand gebeten hatte. Zum Erstaunen aller protestierten die Iraner nicht, sondern legten eine heisse Show hin, wurden aber allesamt vom mitreissenden Hüftschwung des Schweizer Ersatzgoalies vom Platz gefegt, der deswegen als Yann «Sambafüdli» Sommer in die Fussball-Annalen einging.

Trainer Ottmar Hitzfeld weinte heisse Freudentränen und verkündete, einen schöneren Abschied könne es für ihn nicht geben. Sein Rückflugticket verschenkte er an ein fussballversessenes Mädchen aus den Favelas. Den verblüfften Journalisten verkündete er, er werde sich künftig um den Schutz des bedrohten «Tatu-bola»-Gürteltiers kümmern, damit das WM-Maskottchen nicht nur als Plüschtier überleben werde.

Sportminister Ueli Maurer verlor im Laufe der feucht-fröhlichen Siegesfeier erst seinen Pass, dann alle Hemmungen und letztlich das Bewusstsein. Drei Tage später klopfte er leicht bekleidet, aber gut gelaunt an die Tür des belgischen Konsulats in Rio und verlangte politisches Asyl in der EU.

Kurz, alles war perfekt. Bis mich der einsame Torjubel meines deutschen Nachbarn aus meinem süssen Traum riss. Ich rieb mir die Augen und wusste, dass alles war wie immer: Der Ball ist rund, ein Spiel dauert 90 Minuten und am Schluss gewinnt die Fifa.

Heuschrecken am Telefon

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 15. Februar 2014

Hätte es zu Moses’ Zeiten schon Telefone gegeben, Gott hätte die Ägypter nicht mit Heuschrecken heimgesucht, sondern mit Telefonverkäufern. Denn die sind eine wahre Plage. Zum Beispiel Christelle vom Laboratoire Ouchy- Vichy-Waschi aus Lausanne, die regelmässig morgens um neun anruft, um mir die ewige Jugend anzudrehen – für königliche 69.90 pro fünf Milliliter Gelée. Oder die nette Dame von der Firma Bucarest Security, die einen Fachmann vorbeischicken will zur kostenlosen Analyse der Einbruchssicherheit meiner Wohnung – gerne auch abends. Oder Thomas, der mir in einem indisch gefärbten Englisch weismachen will, dass mein Computer sich ins digitale Nirwana verabschiedet, wenn ich nicht sofort seine Anti-Viren-Software kaufe, die er mir zu einem überteuerten Preis anbietet. 

Das Schlimmste dabei ist: Die geben nicht auf. Egal, ob ich höflich bleibe, kommentarlos aufhänge oder unter wüsten Flüchen den Hörer auf die Gabel knalle – mit dreister Hartnäckigkeit probieren es dieselben lästigen Leute immer wieder aufs Neue.

Entnervt reichte ich eines Tages den Hörer meiner dreijährigen Tochter weiter. Sie telefoniert leidenschaftlich gerne und will mit allen Leuten plaudern, die meine Frau oder ich am Draht haben. Zuerst hörte sie Christelle vom Lausanner Laboratoire fünf Minuten lang wortlos zu. Dann beschloss meine Tochter, dass nun die komische Frau dran sei mit Zuhören und stimmte lauthals «O Tannenbaum» an (Saisonalität ist noch nicht so ihr Ding), das sie fröhlich mit «Tschu-Tschu-Tschu, e Isebahn chunt» mischte (Tonalität übrigens auch nicht). Dazu tanzte sie ausgelassen in der Stube herum. Und je wilder sie tanzte, desto lauter sang sie.

Das wirkte. Christelle rief nicht mehr an. Auch kein anderer Telefonverkäufer. Eine Woche lang war es herrlich ruhig. Bis uns auffiel, dass unser Telefon tot war. Meine Tochter hatte nämlich in ihrem Überschwang beim Tanzen das Kabel aus der Buchse gezerrt–eine radikale, aber effektive Lösung für das Telefonverkäuferproblem. Einen Moment lang war ich versucht, das Telefon überhaupt nicht mehr einzustecken. Tat es dann aber trotzdem. Es verging kein halber Tag, bis es klingelte. «Hello, this is Thomas, I’m calling because of your Microsoft computer …», tönte es aus der Muschel. Ich wollte schon zu einer wüsten Tirade ansetzen, als meine Tochter aus ihrem Zimmer gehüpft kam. «Wer isch es, Papi?», fragte sie. «Thomas aus Indien. Ich glaube, er kennt ‹O Tannenbaum› noch nicht», sagte ich und streckte meiner Tochter den Hörer entgegen.