Paradiesgässlein 666

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 3. Februar 2018

Als der Teufel ans Paradiesgässlein 666 in Gotthelfikon zog, rümpften die Nachbarn zuerst schon ein bisschen die Nase. Nicht nur wegen seines Aftershaves, das aufdringlich nach Schwefel roch. Nein, man hatte ja auch schon die eine oder andere Geschichte über ihn gehört.

Aber der Teufel war furchtbar freundlich. Er ging von Tür zu Tür und stellte sich vor. Ja, er sei es, leibhaftig. Aber er habe dem Bösen abgeschworen und wolle fortan ein braves Leben führen. Und überhaupt, scherzte er, würden die Menschen seinen Job inzwischen ja besser machen als er selber. Dann lud er das ganze Quartier zu einem Barbecue in seinen Garten ein. Es gab einen höllisch guten Satansbraten und einen himmlischen Hörnlisalat. Und alle amüsierten sich prächtig.

Aber als nach ein paar Wochen zuerst die schwarze Katze von Meiers verschwand, und dann auch noch der Geissbock von Bauer Hungerbühler, direkt ab der Weide, wie vom Erdboden verschluckt, da sagte der Pfarrer, er wolle ja nicht den Teufel an die Wand malen, aber ihm komme das schon verdächtig vor.

Da nützte es auch nichts, dass der Teufel sein Altpapier ordentlich gebündelt an den Strassenrand stellte, seine Thujahecke sauber stutzte und im Dorfladen einkaufte.
Als kurz darauf Zurkinden frühmorgens mit seinem E-Bike schwer verunfallte, weil grosse Steine mitten auf der Quartierstrasse lagen, verbreitete seine Frau in der Turnriege, die seien sicher dem Teufel ab dem Karren gefallen, der habe doch so einen Pick-up mit offener Ladefläche. Und die anderen Frauen nickten zustimmend.
Da nützte es auch nichts, dass der Teufel stets freundlich grüsste und den Schulkindern – denen, die noch bei ihm zu klingeln trauten – Schoggitaler und Pro-Juventute-Marken abkaufte.

Als dann auch noch bei Häfeli der Krebs wieder ausbrach, Hubers Informatikbude Konkurs ging, der Kanton die Umfahrungsstrasse zurückstufte und die 18-jährige Tochter der Pfarreiratspräsidentin partout nicht verraten wollte, wer sie geschwängert hatte, da sagte der Quartiervereinspräsident eines Abends am Stammtisch im «Engel», jetzt müsse endlich etwas gehen, zum Teufel noch mal. Und bestellte noch ein Herrgöttli.

Man fand nie heraus, wieso in einer kalten Novembernacht das Haus am Paradiesgässlein 666 bis auf die Grundmauern abbrannte. Die Feuerwehr, die lange brauchte, bis sie am Brandort eintraf, konnte nichts mehr machen, nur die angrenzenden Häuser schützen.

Der Teufel wurde offiziell für tot erklärt.

Aber der eine oder der andere im Paradiesgässlein roch noch während Wochen ganz zart nach Schwefel.

Weihnachtsvorfreude

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 30. Januar 2018

Weniger als elf Monate bis Weihnachten. Ich freu mich schon. Im Januar finde ich Weihnachten nämlich am schönsten: endlich Ruhe nach der Stillen Zeit. Kein sterbender Baum in der Stube als Symbol für das Wunder des Lebens (ich habe das Konzept nie ganz verstanden). Und man muss nichts Gutes mehr tun, man hat ja schon Dezember was gespendet.

Alles in Butter also. Wären da nicht die Mailänderli.

Es sind immer die Mailänderli, die übrig bleiben. Die Spitzbuben? Schon am Samichlaustag rübis und stübis weggemampft. Wir mussten zweimal nachbacken. Die Anischräbeli waren im Nu weg, auch wenn sie sich mit Händen und Füessli dagegen wehrten, und die letzten Zimtsterne verputzte die nimmersatte Verwandtschaft am Stephanstag. So soll es auch sein. Weihnachtsguetsli sind wie schlechte Gewohnheiten: Sie haben im neuen Jahr nichts verloren.

Aber jetzt ist Ende Januar; die Pralinen, die wir geschenkt bekommen haben, sind schon alle weg, und ich hab sogar schon einmal die Laufschuhe geschnürt, um den angefutterten Kalorien davonzurennen (aber dann durfte man nicht in den Wald, wegen der Sturmgefahr) – und noch immer liegen vier einsame Mailänderli in der Guetslibüchse. Ein König, ein Schaf, ein Esel und ein Stern. Ein halbes Krippenspiel. Und ein stummer Vorwurf: Wieso wir?

Die Ersten werden die Letzten sein. Nirgendwo ist das wahrer als bei den Mailänderli. Sie sind die ersten Guetsli, die wir backen. Weil die Kinder es lieben, den Teig mit den Förmchen auszustechen. Aber dann bleiben sie liegen. Die Mailänderli haben, entgegen ihrem Namen, kein italienisches Temperament. Sie sind die bescheidensten Gebäcke auf dem Guetsliteller. Die Spitzbuben geben an mit ihren inneren Werten, die Anisbrötli führen sich als Model auf, und die gefüllten Datteln feilschen mit Marzipan um unsere Gunst. Bescheidenheit mag eine Tugend sein, aber sie bringt einen nicht weiter.

Aber was tun mit den harten Keksen? Man könnte sie zu Studentenschnitten weiterverarbeiten. Aber vier Mailänderli reichen nicht. Ich müsste also neue backen und wieder alt werden lassen. Auch keine Lösung. Ich habs: Ich bewahre sie auf, und nächste Weihnachten legen wir sie einfach zu den anderen Guetsli dazu. Sieht schön aus, und es isst sie ja sowieso niemand – das fällt also gar nicht auf. Und wenn das Gelb verblasst, einfach mit Acrylfarbe ein bisschen aufhübschen. Und von Generation zu Generation weiterreichen.

Ausserdem haben wir so im Dezember weniger zu tun. Sie finden das jetzt vielleicht übertrieben, aber in weniger als elf Monaten ist Weihnachten. Dann sind sie froh um alles, was sie schon jetzt erledigt haben. Frohes Fest.

Unwahrscheinliches Glück

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 27. Januar 2018

Sie liebt Nussgipfel, er hat eine Nussallergie. Sie fährt ab auf Hardrock, er spielt drittes Horn in der Blasmusik. Sie hat einen Bachelor, er kennt den nur aus dem Fernsehen. Sie fährt gerne sportliche Autos, er hat ein GA. Sie mag Hunde, er kann chinesisches Essen nicht ausstehen. Sie investiert in Aktien, er kauft Rubbellösli. Er gewinnt ab und zu, sie verliert meistens.

Er steht ein bisschen links der Mitte, sie ein bisschen rechts. Er ist Vegetarier, sie tötet für ein Cordon bleu. Er mag Wein, sie mag Bier. Sie ist ein Reisefüdli, er schaut am liebsten in seinem Garten den Tomaten beim Wachsen zu. Sie kauft ihr Brot nach der Arbeit in der Migros, er frühmorgens beim Beck. Sie ein Fünf-Korn-Brot, er ein helles Pfünderli.

Er glaubt an Gott, sie an den Markt, kämpft aber mit Glaubenszweifeln. Er ist Mitglied bei Amnesty, sie beim TCS. Er war bei den Pfadfindern, sie bei den Jungfreisinnigen. Sie hat ein Navi, er fühlt sich manchmal ein bisschen verloren. Sie ist spontan, er eher nicht. Er mag mollige Frauen, sie ist gertenschlank. Sie fährt ab auf muskulöse Typen, er hat einen Waschbärbauch.

Eigentlich haben die beiden nur eines gemeinsam: Sie sind einsam und sie haben sich bei derselben Online-Partnervermittlung angemeldet. Er hat den langen Fragebogen am PC ausgefüllt, sie am iPhone. Jetzt weiss der Kuppler-Algorithmus alles über sie. In Sekundenbruchteilen vergleicht er ihre Profile mit denen von Tausenden anderen Singles. Auch ihre beiden Datensätze gleicht er ab: absolut keine Übereinstimmung.

Sie erhält 15 Vorschläge für ein Date, er drei. Nette Abende, langweilige Abende, desaströse Abende. Es wird nichts draus, weder bei ihr noch bei ihm. Durch einen glücklichen Zufall lernen sie sich dann doch kennen. Nach einer Musikprobe zerkratzt er aus Versehen mit seinem Instrumentenkoffer ihren roten Sportwagen, den sie gerade mit Schwung einparkt. Sie tauschen ihre Nummern aus, er entschuldigt sich und lädt sie zur Wiedergutmachung zu einem Glas Wein ein. Obwohl er nicht spontan ist. Sie bestellt ein Bier.

Entgegen aller Wahrscheinlichkeit lernen sie sich lieben.

Was die Formel sei für ihr Glück, werden ihre Freunde sie noch Jahre später fragen, erstaunt darüber, dass ausgerechnet diese beiden so unterschiedlichen Menschen zusammengefunden haben und, vor allem, zusammengeblieben sind.

Seit sie zusammen seien, antworten die beiden dann, sei die Welt auf einmal doppelt so gross wie vorher. Ein wahnsinniges Geschenk sei das, ein Abenteuer – ein unwahrscheinliches Glück.

Ihre Meinung ist uns wichtig

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 17. Januar 2018

«Hallo, Herr Moser. Carsten Klötenmüller mein Name, von Kain&Kabel, Ihrem Telekom-Anbieter. Ich ruf Sie heute an, weil Sie mit unserem Service nicht zufrieden sind und wir alles daran setzen, um unsere Dienstleistungen laufend zu optimieren und langjährigen Kunden wie Ihnen – für Ihre Treue danke ich Ihnen im Namen von Kain&Kabel übrigens herzlich – ein optimales Kommunikationserlebnis zu bieten.»

Der Telekom-Mann rattert den Satz runter, ohne einmal Luft zu holen. Ich sage nichts. Ein alter Trick der Könige: Den unliebsamen Bittsteller einfach mal auflaufen lassen.

«Herr Moser? Sie haben vor kurzem Kain&Kabel in einer Online-Umfrage die schlechteste Bewertung gegeben.» Ich schweige noch immer. «Tja, weil wir unseren Service stetig verbessern wollen, möchten wir gerne wissen, was wir tun können, um Sie zufriedener zu machen?»

«Hören Sie auf, mich ständig zu fragen, wie zufrieden ich mit Ihrem Service bin.» Jetzt schweigt er. «Wochenlang», fahre ich fort, «wochenlang haben Sie mich mit Mails gestalkt und mich genötigt, Ihren Laden zu bewerten. Das hat mich irgendwann so genervt, dass ich Ihnen eine –10 gegeben habe, nur um endlich Ruhe zu haben.»

«Unsere Skala geht aber nur von 1 bis 10.» «Ich gebe Ihnen eine –10, weil Sie mich jetzt auch noch anrufen.» «Verstehe. Die Frequenz unserer Feed­backanfragen stört Sie also.» Ich höre, wie er etwas in seinen Computer tippt. «Wie sehr haben Sie denn diese E-Mails gestört?» «Lassen Sie mich raten, Herr Flötenknüller …» «Klötenmüller.» «Reicht die Skala von 1 bis 10?» «Ja.» «Dann gebe ich Ihnen eine –10, Herr Krötengriller.» «Klötenmüller. Dann notiere ich mal eine 1, weil der Computer eine –10 nicht akzeptiert.»

«Wird dieses Gespräch zu Qualitäts- und Schulungszwecken aufgezeichnet, Herr Trötengüller?» «Fötenfüller, ich heisse Föten.., also, Zotenbrüller …» «Also ja? Gut, liebe Chefs: Wieso wollen Sie eigentlich ständig meine Meinung wissen, wenn meine Meinung Ihrem Computer dann gar nicht in den Kram passt? Und wieso rufen Sie mich umgehend an, wenn ich Ihnen eine schlechte Note gebe, aber wenn das Internet nicht funktioniert, dauert es Tage, bis der Techniker kommt? Kümmern Sie sich um Ihre Arbeit, dann müssen Sie sich um meine Meinung keine Sorgen machen. Ende der Durchsage.»

Es ist still in der Leitung. «Herr Klötenmüller?» «Ja, so heiss ich.» «Darf ich das Gespräch mit Ihnen zum Abschluss bewerten?» «Äh? Ja, aber die Skala geht …» «… nur von 1 bis 10, ich weiss. Ich gebe Ihnen zwölf Punkte, Herr Klötenmüller. So zufrieden wie nach dieser Kropfleerete war ich schon lange nicht mehr.»

Die Sache mit dem Glück

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 15. Januar 2018

Von wegen happy new year. Also ich hatte im neuen Jahr bisher nur Pech mit dem Glück. Zwar stand das Glück schon am 4. Januar vor meiner Tür, aber ich war nicht da. Und als ich dann nach Hause kam, fand ich nur einen Zettel an der Tür. «Das Glück hat Sie leider nicht gefunden.» Das war alles. Auch keine Nummer, um einen neuen Zustelltermin abzumachen. Saublöd.

Manche Leute behaupten ja, nur Verlierer würden auf das Glück warten, Gewinnertypen hingegen nähmen die Sache selber in die Hand. «Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied», lautet ihr Credo, das sie uns in unzähligen Glücksratgebern predigen. Wers nicht schafft, hat sich halt nicht fest genug angestrengt; selber schuld. Was die Glücksschmiede nicht sagen: Die wenigsten haben das Glück, in einer Schmiede aufzuwachsen. Es gehen also nicht alle mit den gleichen Chancen an den Start. Und in der Mikrowelle kriegt man das Glück einfach nicht gebacken.

Ein weiteres Glaubensbekenntnis der Glücks-Coaches lautet, man müsse einfach die Gelegenheit beim Schopf packen. Ich habe da so meine Hemmungen. Ich meine, das tut der doch weh, wenn man sie packt? Möchte sie das überhaupt? Vielleicht wäre es ihr ja viel lieber, wenn sie unbeachtet vorübergehen könnte, ohne von Gelegenheitsgrabschern befummelt zu werden. Ich sag nur: #MeToo.

Apropos übergriffig. Krieg dein Leben in den Griff, ist auch so ein Satz, der mir auf den Glückskeks geht. Weil ihn nur Menschen in den Mund nehmen, die ihr Leben so fest im Griff haben, dass es schon blau anläuft und nur noch röchelt. Wieso muss man sein Leben in den Griff kriegen, man kann ihm doch auch die Hand reichen zum Tanz? Wer dabei führt? Spielt keine Rolle. Hauptsache, du tanzt. Straucheln, auf die Füsse treten, schwerelos herumwirbeln, alles gehört dazu.

Einige glauben, mit dem Glück sei es wie mit Hunden. Hat man es erst mal, bleibt es einem ein Leben lang treu. Ich glaube eher, Glück ist eine Katze. Launisch, eigensinnig, verspielt. Es kommt und geht, wie es ihm passt. Natürlich kann man es dem Glück leichter machen. Eine offene Türe hilft, eine Katzenklappe im Herzen, wenn Sie so wollen. Und dann, unverhofft, streicht es miauend um die Beine, hüpft einem auf den Schoss, lässt sich streicheln und schnurrt so schön, dass einem ganz warm wird dabei. Geniessen lässt sich der Moment, festhalten nicht. Aber wo es sich wohlfühlt, kommt das Glück gerne wieder.

In diesem Sinne: Mögen Sie 2018 zu Hause sein, wenn das Glück an Ihre Türe klopft. Grüs­sen Sie es lieb von mir und richten Sie ihm doch bitte aus, ich sei jetzt wieder erreichbar.

Hutätä

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 5. Januar 2018

So fühlt es sich also an, wenn der Hutätä* übers Land fegt mit seiner wilden Jagd. Schaurig, wie er auf den Ziegeln orgelt und die Dachbalken schüttelt, als wären es dürre Christbäumli, und aufbrausend an den Jalousien rüttelt und zerrt mit seinen eiskalten Fingern, immer und immer wieder, dass einem Hören und Sehen vergehen und an Schlaf nicht zu denken ist. Wer sich vors Haus wagt, um den Schaden zu begutachten, dem haut der Hutätä Blätter, Plastiksäcke und weggerissene Leuchtgirlanden um die Ohren und reisst ihn fast von den Beinen, bis er sich schleunigst wieder im Haus verkriecht. Mit Containerdeckeln und Fensterläden schlägt der Hutätä den grausigen Takt zu seinem wüsten Tun; er kegelt mit den Blumentöpfen, rupft Bäume aus und treibt alles im Sturm vor sich her, was nicht niet- und nagelfest ist.

Hou ab, du liida Hunn! Schwüg doch, du alta Brüeli!

Aber das stachelt den Hutätä und seine Meute schwarzer Jagdhunde nur noch mehr an. Durch alle Ritzen und Spalten heult und schreit und wimmert und stöhnt und flucht und lacht er, während sein Heer auf dem Wellblechdach der Garage herumstorggelet, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Laut und unheimlich. Unheimlich laut. Mit jeder Minute gesellen sich weitere Geister in seinen Zug, der immer fürchterlicher holleiet und siracht. Lauter, immer lauter. Und im Radio sagen sie, man solle nicht in den Wald gehen und Kinder draussen fest an die Hand nehmen.

De Hutätä, de Hutätä, dä ­tuet die chline Chindleni näh.

Vor dem Stubenfenster spielt der Nachtjäger «Vom Winde verweht». Nachbars Gartenhäuschen chuttet es erst nach links, dann nach rechts und schliesslich mit einem lauten Knall um, das Planschbecken wirbelt aus dem Schuppen und bleibt flatternd in der Hecke hängen, und das graue Etwas, das der Wind vor sich hertreibt, war das nicht die bucklige Katze von gegenüber?

Wenigstens nimmt der Hutätä die Kinder nicht mit, dafür hat er den Deckel des Komposts mitgerissen; wer weiss, in welch fernem Land der wieder gelandet ist. Vielleicht muss er auch bis in alle Ewigkeit im Zug des Nachtjägers mitwirbeln. Und im Radio berichten sie von Stromausfällen, umgekippten LKWs und Verspätungen im Schienenverkehr wegen dem Sturmtief Burglind.

Von wegen Burglind. Sie und ich wissen genau, das war der Hutätä.

Hoffentlich hat er bei Ihnen nicht allzu wüst gehaust.

Und wenn Sie einen Kompostdeckel finden, schwarz, Plastik, circa 50 mal 50 Zentimeter gross – geben Sie bitte Bescheid.

* Übrigens, für alle Nichtfreiburger, der Hutätä ist eine Sensler Sagengestalt. Ein unheimlicher Nachtjäger, dem man sich besser nicht in den Weg stellt. Den Hutätä gibt es auch anderswo, im Luzernischen etwa kennt man ihn als Türst.

Illustration aus German Kolly, Sagen und Märchen aus dem Senseland, Freiburg 2012.

Politische Vorweihnachten

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 19. Dezember 2017

Schöne Bescherung. Die Kinder haben diesen Freitag (22. Dezember) schulfrei. Weil Alain Berset zum Weihnachtsmann gewählt wurde und Dominique de Buman im nationalrätlichen Krippenspiel das Glöcklein läuten darf. Oder so. Schön für die Kinder. Schön für die Lehrerinnen und Lehrer. Schön blöd für alle Eltern, die am Freitag arbeiten müssen.

Aber selbst wenn Sie das Glück haben, sowieso zu Hause zu sein, stellt sich die Frage, wie man diesen geschenkten Tag mit seinen Kindern gestalten will. Natürlich können Sie mit Ihrem Nachwuchs noch Lastminute-Shopping machen oder die Andrew-Bond-Mitsingweihnachten rauf und runter hören, aber irgendwie würde das dem politischen Charakter dieses Tages nicht gerecht. Aber nicht verzagen, Moser fragen: Ich hätte da ein paar Vorschläge für ein staatsbürgerliches Eltern-Kind-Ding mit weihnächtlicher Note.

Bringen Sie Ihren Kindern zum Beispiel die «Internationale» bei. Auf der Blockflöte. Zu Ehren von Sozialdemokrat Berset. Damit nach dem Kassenkampf in den Läden unter dem Christbaum noch ein Hauch von Klassenkampf aufkommt. Oder erklären Sie Ihren Kindern die AHV und den Generationenvertrag anhand der Weihnachtsguetsli. «So, Lisa, du gibst mir jetzt drei von deinen sechs Spitzbuben ab. Nicht weinen, Lisa, schau, wenn du mal alt bist, bekommst du von deinen Kindern dann auch drei Spitzbuben. Oder zwei. Oder vielleicht auch nur ein beinhartes Brunsli, an dem du dir die Dritten ausbeisst.»

Wenn Sie in den Supermarkt müssen, kaufen Sie an der Kasse ein Chrüschelsäckli und sagen: «Dank Dominique de Buman kosten diese Säckli fünf Rappen, und auch wenn das wenig ist, verzichten die Leute jetzt darauf.» Und Ihre Kinder werden vom guten Gefühl durchströmt, dass sich in der Politik ganz Grosses erreichen lässt.

Oder stellen Sie mit den Krippenfiguren die Familien- und Flüchtlingspolitik der verschiedenen Parteien nach. Denn, ja, Jesus musste mit seiner Familie vor einem blutrünstigen Despoten fliehen, und ja, er war schon als Baby in einer Krippe.

Wenn Ihnen das zu heikel ist, backen Sie guteidgenössische Konkordanzkekse. Von allen Zutaten ein bisschen, um es allen recht zu machen, lange kneten und noch länger backen, bis die Kekse niemandem mehr schmecken – und sie trotzdem alle schlucken.

Müssen Sie trotz allem eine kostenpflichtige Betreuung für Ihre Kinder organisieren, dann schicken Sie die Rechnung doch einfach an Bundesrat Berset, Nationalrat de Buman, Erziehungsdirektor Siggen oder den Weihnachtsmann.

Vielleicht passiert ja ein Weihnachtswunder.

«Flou-Flou für den Weltfrieden» – das Kolumnenbuch

Manche Bücher wären besser Bäume geblieben. Aber dieses hier liegt mir am Herzen. «Flou-Flou für den Weltfrieden» heisst es und schenkt 60 meiner inzwischen 120 Kolumnen, die ich in den letzten vier Jahren für die «Freiburger Nachrichten» geschrieben habe, ein zweites Leben.

Es ist im Dezember 2017 erschienen.

Das Buch «Flou-Flou für den Weltfrieden» können Sie per Mail bei mir bestellen (stephanmoser@poetomat.ch) oder bei den «Freiburger Nachrichten». Es kostet 18 Franken, die Versandkosten für ein Exemplar betragen zwei Franken.

Die «Freiburger Nachrichten» haben übrigens am 14. Dezember 2017 netterweise eine grosse Geschichte über das Buch und mich gemacht. Hier kann man sie nachlesen: FN_2017-12-14-2

Macht hoch die Tür

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 29. November 2017

Langsam komme ich in ein Alter, wo ich jeden dritten Satz mit «Früher war …» beginne. Das nervt mich selber, aber heute muss es sein. Früher war vieles einfacher. Zum Beispiel das mit dem Adventskalender. Es gab zwei Sorten: die mit Bildli und die mit Schoggi. Wenn man grosses Glück, also wirklich ganz grosses Glück hatte, bekam man beide geschenkt: den Bildlikalender von den Eltern und den Schoggikalender vom Grosi. Und man liebte beide – die Bildli und die Schoggi, die Eltern und das Grosi. Das Grosi aber ein bisschen mehr.

Heute bereitet der Kauf eines Adventskalenders grössere Qualen als früher die Brunsli von Tante Frieda. Denn es gibt einfach alles: Adventskalender mit Bier, Whiskey, Rum, mit allem kann man sich durch den Advent saufen – und die Brunsli erträglich trinken und Tante Frieda gleich mit. Es gibt den Handwerker-Kalender für Ihn (Jesus hätte bestimmt auch Freude an einem Winkelschraubendreher gehabt), den Beauty-Kalender für Sie (damit nur die Mandarindli schrumpelige Haut kriegen) und den Sexspielzeug-Kalender für beide («O o o ooohhh oooohhh du fröhliche»).

Es gibt den Krimi-Kalender und den Müesli-Kalender, einen für Veganer und einen für Wurstliebhaber. Denn, hey: Weihnachten ist für alle da – solange die Kasse stimmt. Heftig umworben werden auch die Kleinen. Die müssen sich entscheiden, ob sie sich das Warten auf Weihnachten lieber mit Lego oder Playmobil verkürzen wollen. Jedes Türchen ein Figürchen. Und alles immer schön gendermässig gepimpt: Ponyhof für die Mädchen, Star Wars für die Buben.

Wenn Ihnen das auch auf den Weihnachtskeks geht, dann habe ich einen Vorschlag. Wie wäre es, wenn wir uns selbst zum Adventskalender machen würden? Wie das geht? Einfach jeden Tag bis Weihnachten ganz bewusst ein Türchen aufmachen zur wüsten, wilden, wunderbaren Welt jenseits unserer Wohlfühlblase. Unsere Haustür öffnen und jene in die warme Stube bitten, die draussen stehen und frieren. Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Unsere Augen öffnen für das, was schiefläuft in der Welt. Unsere Herzen weit auftun für das Leid und die Freude der anderen. Und unsere Hirne durchlüften lassen von neuen, fremden, irritierenden Ideen.

Wie das herauskommt? Keine Ahnung. Vielleicht werden aus Fremden Freunde. Vielleicht essen sie auch nur unsere Schoggi auf und bringen Dreck in die Stube. Und vielleicht vertreiben auch 24 Schnäpse das Bauchweh nicht, das dabei aufkommt.

Uns allen ginge dabei aber sicher das eine oder andere Lichtlein auf.

Und Weihnachten würde umso heller strahlen.

Zahn um Zahn

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 27. November 2017

Ich gehe nicht zur Beichte. Ich gehe zur Dentalhygienikerin. Die bohrt hartnäckiger nach als der strengste Pfarrer, und im Gegensatz zur katholischen Kirche stehen bei ihr die Folterwerkzeuge der Inquisition noch in Ehren und täglichem Gebrauch.

Mani Matter packte ein metaphysisches Gruseln im Coiffeurstuhl, für mich ist der Termin bei der Dentalhygienikerin ein Nahtoderlebnis. Reglos liege ich auf dem Schragen, schläfrig-benommen von der Wärme, ein helles Licht über mir blendet mich, und ohne meine Brille erkenne ich nur schemenhafte Gestalten, die sich engelsgleich über mich beugen. «Ich bin noch nicht so weit», will ich rufen, aber schon hängt mir die eine Gestalt ein fies schnorchelndes Schläuchlein in den Mund, das mit der Spucke auch den letzten Rest Würde aus mir raussaugt. Die zweite Gestalt äugt mit einem Spieglein in meinen weit aufgesperrten Mund. Und dann ertönt die gefürchtete Frage: «Benutzen Sie die Zahnseide regelmässig?»

Kalter Schweiss bricht mir aus. «Nischt regelmächig», nuschle ich, den Spuckesauger noch immer im Mund. Es ist eine abgrundtiefe Lüge. Die die Frau in Weiss natürlich durchschaut. Denn schon beim ersten Blick in meine sündige Mundhöhle hat sie erkannt, dass ich ein Ketzer bin wider die heilige Lehre der Zahngesundheit: «Du sollst keinen anderen Gott haben ausser der elektrischen Zahnbürste, und den Raum zwischen deinen Zähnen sollst du täglich mit einem gewachsten Faden befreien von allem Irdischen und Verdorbenen. Denn eher geht ein Kamel durch einen Zahnzwischenraum als ein Zahnsteinreicher ins Himmelreich.»

Ich gebe es zu, ich bin schlicht zu faul für Zahnseide. Faulheit ist eine Todsünde. Die muss gebeichtet werden, und nach der Beichte folgt die Busse. Aber bei der strengen Missionarin vom Orden der Heiligen Dentissima ist es nicht mit drei Ave Marias getan. Mit heiligem Zorn und perfiden Marterwerkzeugen nimmt sie sich nun mein Gebiss vor. Zahn um Zahn, Zwischenraum um Zwischenraum traktiert sie mit alttestamentarischem Furor. Und das Blut, das dabei in erklecklichen Strömen fliesst, ist nicht ihrer Grobheit geschuldet, sondern die gerechte Strafe für mein sündiges Dasein. Das gibt sie mir mit ihrem Blick zu verstehen.

Nach einer halben Stunde lässt sie von mir ab, mein Mund ist wund, aber meine Seele rein. «Ego te absolvo», sagt sie zum Abschied und drückt mir ein Gratismüsterchen Zahnseide in die Hand. «Amen», sage ich. Ich werde die Seide nicht benutzen. Mich wieder versündigen. Und bussfertig angekrochen kommen. Aber wenigstens habe ich jetzt ein Jahr lang Ruhe.

Und die Hälfte der Rechnung zahlt die Krankenkasse.

Halleluja.