«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 25. September 2015
Physik ist für viele ein Schreckgespenst: zu abstrakt, zu theoretisch, furchtbar viele Formeln. Aber mit kleinen Kindern wird Physik plötzlich ganz anschaulich und konkret.
Die Sache mit der Gravitation zum Beispiel. Meine Kinder werden nicht müde, täglich aufs Neue zu testen, ob die Erdanziehung auch wirklich immer funktioniert. Ständig fällt etwas runter: Die Nudeln vom Teller, der Teller vom Tisch, die Kinder vom Stuhl. Dass die Dinge dann meist einfach am Boden liegen bleiben, liegt übrigens nicht an der Gravitation, sondern am Gesetz der Trägheit–also an meiner und meiner Kinder Faulheit.
Oder die Entropie. Ein einschüchterndes Fremdwort, aber vereinfacht gesagt, geht es darum, dass Teilchen versuchen, sich so gleichmässig wie möglich in einem Raum zu verteilen. Die Natur strebt also immer ein System der möglichst grossen Unordnung an. Sie können sich das nicht so recht vorstellen? Dann werfen Sie mal einen Blick ins Kinderzimmer–und schon haben Sie das Prinzip verstanden.
Das Kräftespiel von Beschleunigung und Reibung auf einer schiefen Ebene wiederum lässt sich nirgends so spielerisch leicht am eigenen Körper erfahren wie auf der Rutschbahn. Gut, manchmal wird’s auch schmerzhaft. Ich sage nur: Regenhosen auf nasser Rutschbahn–keine gute Idee. Dafür einfacher zu rechnen, weil der Reibungswiderstand praktisch gleich null ist.
Einsteins Relativitätstheorie ist selbst für manchen Physiker zu hoch. Aber wer Kinder hat, versteht instinktiv Einsteins These, dass Zeit relativ ist: Quengeln die Kleinen, zerrinnt sie zähflüssig wie ein Emmentaler-Fondue, sollte man hingegen tausend Sachen erledigen, rast sie im Sauseschritt dahin.
Und natürlich die ganzen Elektromagnetismus-Geschichten: Anziehung, Abstossung, positiv geladen, negativ geladen, explosionsartige Entladungen in einem Donnerwetter … Mit Kindern wird jeder Tag zur Physik-Lektion mit Knall- und Aha-Effekt.
Nur ein Phänomen bereitet mir noch Kopfzerbrechen: Der Energieerhaltungssatz. Der besagt, dass Energie nicht verschwinden oder aus dem Nichts entstehen kann. In einem geschlossenen System bleibt die Gesamtenergie also immer gleich, sie kann aber in andere Formen umgewandelt werden–aus Bewegungs- wird etwa Wärmenergie.
Nun ist es so: Nach einem Tag mit den Kindern bin ich immer völlig ausgepowert und auch die Kleinen fallen todmüde ins Bett. Wo ist also all die Energie hin, die mich die Kleinen gekostet haben? Ich vermute, dass sie in eine andere Energieform umgewandelt wurde: in Liebe nämlich. Das hoffe ich zumindest. Den wissenschaftlichen Beweis dafür bin ich allerdings noch schuldig.