«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 8. Juli 2015
Usain Bolt läuft 100 Meter in 9,58 Sekunden. Abraham Kipyatich schafft es in 50:28 Minuten von Murten nach Freiburg. Ich brauche eine halbe Stunde für 300 Meter. Und das auch nur an guten Tagen.
Wer kleine Kinder hat, weiss, wovon ich rede. Selbst der vertrauteste Weg, den man täglich geht, birgt jedes Mal neue Wunder, Abenteuer und Mutproben. Und die Expedition ins Ungewisse fängt direkt vor der Haustüre an. Hoffentlich ist der Nachbarsjunge nicht auf dem Spielplatz. Sonst bleiben wir hängen, bevor wir richtig los sind. Niemand da. Uff. Dafür knattert ein Helikopter über unsere Köpfe hinweg. Und wir können erst weiter, wenn der Rega-Heli auf dem Spitaldach gelandet ist.
Dann fängt die Ältere an, die festgetretenen Kaugummis auf dem Trottoir zu zählen. Sie kommt bis 14, bevor sie stolpert – erst übers Zählen und dann über die eigenen Füsse. Zurück auf Feld 1. Pflaster aufs blutende Knie. Tränen trocknen. Wieder zur Haustüre raus. Der Spielplatz ist immer noch leer. Dafür beginnt der Kleine zu quengeln und will getragen werden. Mit gut Zureden meinerseits und viel Geschrei seinerseits kommen wir bis zur ersten Hecke. Einmal Versteckis. So viel Zeit muss sein. Nach dem dritten Mal dann der Blick auf die Uhr. «Können wir weiter?» Nach dem sechsten Mal brechen wir auf.
Auf den nächsten zehn Metern: ein Rotmilan, der Mann mit dem elektrischen Rollstuhl, ein undefinierbares Stück Gummi, das kaputte Velo. Alles wird bestaunt, kommentiert, befingert. «Kommt jetzt, bitte.» Wir schaffen es bis zur Absperrkette. Die Ältere balanciert rüber. Der Jüngere setzt sich drauf und schaukelt. Natürlich fällt er runter. Eine Runde aussetzen. In den Arm nehmen. Trösten. «Gehen wir weiter?» Der tote Junikäfer vor dem nächsten Hauseingang führt zu einem ausführlichen philosophischen Gespräch über das Leben und den Tod und zur Frage, ob es auch Oktoberkäfer gibt.
Da fällt der Älteren plötzlich ein, dass sie die festgetretenen Kaugummis gar nicht fertig gezählt hat. Und sie will sofort zurück. Aber für einmal habe ich den härteren Kopf.
Ziemlich ausgepowert biegen wir endlich auf die Zielgerade ein. Aber die hat es in sich. Denn vor dem Einkaufszentrum spritzt, sprudelt und gurgelt ein riesiger Springbrunnen. Daran gibt es bei dieser Hitze kein Vorbeikommen. Also dreimal kreischend durchs kühle Nass gerannt. Wir haben sowieso schon einen neuen Negativrekord aufgestellt.
Kinder öffnen einem die Augen für die wichtigen Dinge? Kommen Sie mir jetzt nicht damit. Ich habe genug gesehen, danke. Und der Rückweg steht uns ja noch bevor. Der Weg ist das Ziel? Ich wollte nur rasch einkaufen gehen. Und zwar Quick Soup.
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