Die Mondlandung? (K)ein Schleck!

Mondlandung
«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 16. Juli 2015

Der Adler ist gelandet. Im Meer der Stille. Wie gerne hätte ich diesen 21. Juli 1969 miterlebt. Aber meine Eltern waren damals noch in keine gemeinsame Umlaufbahn eingetreten (von einem Andockmanöver ganz zu schweigen), und ich erblickte das Licht der Welt erst Jahre nachdem die Amis das Apollo-Programm eingestellt hatten. Aber die Mondlandung fasziniert mich trotzdem.

Allein die Vorstellung, wie sich drei Männer in einem Monstrum aus Stahl, vollgepumpt mit Kerosin, ins All schiessen lassen, in 385 000 Kilometer Entfernung auf dem Mond spazieren gehen und danach wieder heil zur Erde zurückkehren, jagt mir immer wieder aufs Neue kalte Schauder über den Rücken. Abenteuer, Heldentum, Triumph der Technik – alles steckt drin in dieser Reise ins Ungewisse. «Solar Impulse» erscheint im Vergleich dazu als Altersheimausflug. Zumal das damalige High-Tech-Equipment heute steinzeitlich anmutet. Jedes billige Smartphone hat ein Mehrfaches an Rechenleistung der Computer von Apollo 11. Und was bringen wir damit zustande? Selfies.

Eindrücklich ist auch die politische Ankündigung, die John F. Kennedy 1961 machte: «Ich glaube, dass dieses Land sich dem Ziel widmen sollte, noch vor Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn wieder sicher zur Erde zurückzubringen.» Und acht Jahre später stand Armstrong auf dem Mond. Das ist doch mal eine Ansage. Natürlich, der Kalte Krieg hat da schon ein bisschen geholfen. Aber täte uns eine Portion dieses amerikanischen «think big» nicht auch gut? Alain Berset würde verkünden: «Ich glaube, dass sich dieses Land dem Ziel widmen sollte, noch vor Ende des Jahrzehnts die AHV und die IV dauerhaft saniert zu haben – und im Übrigen sollten wir Fussballweltmeister werden.» Das wäre doch mal was, statt Reförmchen, Kompromisse und Ausscheiden im Achtelfinal.

Was uns die Mondlandung gebracht hat? Nein, nicht die Teflonpfanne, die gab es schon vorher. Aber die Raketenglace. Und wer hat’s erfunden? Die St. Galler. Die Rohrschacher Glacefabrik Frisco nutzte das Mondfieber und brachte 1969 dieses zweistufige Wassereis am Stiel auf den Markt: Ananas. Orange. Und obendrauf ein Hitzeschutzschild aus Schokolade. Süsse Sechzigerjahre. Und es gibt sie auch heute noch.

Ich jedenfalls werde am nächsten Dienstag auf meinem Balkon sitzen, zur schmalen Mondsichel hochblicken, genüsslich eine Raketenglace schlecken und ein paar Minuten über die Mondlandung nachsinnen: ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit, ein Schleck für mich.

Postkartengrüsse aus dem Büro

Postkarte
«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 14. Juli 2015

Mit Postkarten verhält es sich ja wie mit der Liebe: Wenn nichts zurückkommt, gibt selbst der hartnäckigste Verehrer irgendwann auf. Deshalb bekomme ich immer weniger der bunten Feriengrüsse. Dabei liebe ich Postkarten: Mal was anderes im Briefkasten als nur Rechnungen – und persönlicher als Ferienföteli auf Facebook.

Aber eben: Die netten Menschen, die mir schreiben, kriegen fast ausnahmslos einen Korb von mir. Denn ich bin ein ausgesprochener Ferienpostkartenschreibmuffel. Denn wenn ich schon mal Urlaub habe, will ich den ganzen Tag durch fremde Städte streifen, bis mir der Kopf brummt vor lauter Kirchen und Kunstwerken. Oder exotische und furchtbar leckere Dinge kosten, von denen ich bisher nicht einmal den Namen gekannt habe. Oder–realistischerweise–halt den ganzen Tag mit den Kleinen im Planschbecken sitzen und Glace schlecken. Aber sicher nicht Postkarten schreiben.

Aber in diesem Jahr wird das anders. Allen, denen ich ferienpostalisch bisher die kalte Schulter gezeigt habe, erhalten dieses Jahr eine Postkarte von mir. Freilich nicht aus den Ferien, sondern aus dem Büro.

Ja, ganz recht, aus dem Büro. Probieren Sie es ruhig selber aus. Fotografieren Sie zum Beispiel Ihren Arbeitsplatz oder die Aussicht aus dem Bürofenster–je trostloser, desto besser. Machen Sie ein Foto von den menschenleeren Gängen im Betrieb (sind ja alle weg), oder lichten Sie Ihr Bürohochhaus von aussen ab (dann können Sie nachher mit Kugelschreiber Ihr Bürofenster ankreuzen und draufschreiben: «Hier arbeite ich!»).

Dann lassen Sie Postkarten mit Ihrem Sujet herstellen. Im Internet finden Sie Dutzende Anbieter, die das schnell und günstig erledigen. Und dann kanns losgehen.

Schreiben Sie ein paar nette Zeilen auf die Karte. Besonders originell müssen die nicht sein, das sind Postkarten ja selten. Wie wär’s zum Beispiel mit: «Bei 35 Grad im unklimatisierten Büro zu sitzen, erspart einem den Gang in die Sauna. Und man erhält erst noch Lohn dafür. Und weil der Chef in den Ferien ist, kann ich früher Feierabend machen und niemand meckert. Liebe Grüsse.» Oder machen Sie eine Bemerkung übers Kantinenessen, das kommt auch immer gut an.

Dann schicken Sie die Karten an Freunde, Verwandte oder Arbeitskollegen. Wenn Sie deren Ferienadresse kennen, umso besser. Die werden Augen machen, wenn sie im Hotel Ihre Postkarte aus dem Büro bekommen.

Danach können Sie guten Gewissens in die Ferien verreisen und müssen keinen Gedanken mehr ans Postkartenschreiben verschwenden. Ganz bestimmt werden Sie viele Reaktionen bekommen, vielleicht sogar Postkartengrüsse aus dem Büro.

Der Weg ist nicht das Ziel

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 8. Juli 2015

Usain Bolt läuft 100 Meter in 9,58 Sekunden. Abraham Kipyatich schafft es in 50:28 Minuten von Murten nach Freiburg. Ich brauche eine halbe Stunde für 300 Meter. Und das auch nur an guten Tagen.

Wer kleine Kinder hat, weiss, wovon ich rede. Selbst der vertrauteste Weg, den man täglich geht, birgt jedes Mal neue Wunder, Abenteuer und Mutproben. Und die Expedition ins Ungewisse fängt direkt vor der Haustüre an. Hoffentlich ist der Nachbarsjunge nicht auf dem Spielplatz. Sonst bleiben wir hängen, bevor wir richtig los sind. Niemand da. Uff. Dafür knattert ein Helikopter über unsere Köpfe hinweg. Und wir können erst weiter, wenn der Rega-Heli auf dem Spitaldach gelandet ist.

Dann fängt die Ältere an, die festgetretenen Kaugummis auf dem Trottoir zu zählen. Sie kommt bis 14, bevor sie stolpert – erst übers Zählen und dann über die eigenen Füsse. Zurück auf Feld 1. Pflaster aufs blutende Knie. Tränen trocknen. Wieder zur Haustüre raus. Der Spielplatz ist immer noch leer. Dafür beginnt der Kleine zu quengeln und will getragen werden. Mit gut Zureden meinerseits und viel Geschrei seinerseits kommen wir bis zur ersten Hecke. Einmal Versteckis. So viel Zeit muss sein. Nach dem dritten Mal dann der Blick auf die Uhr. «Können wir weiter?» Nach dem sechsten Mal brechen wir auf.

Auf den nächsten zehn Metern: ein Rotmilan, der Mann mit dem elektrischen Rollstuhl, ein undefinierbares Stück Gummi, das kaputte Velo. Alles wird bestaunt, kommentiert, befingert. «Kommt jetzt, bitte.» Wir schaffen es bis zur Absperrkette. Die Ältere balanciert rüber. Der Jüngere setzt sich drauf und schaukelt. Natürlich fällt er runter. Eine Runde aussetzen. In den Arm nehmen. Trösten. «Gehen wir weiter?» Der tote Junikäfer vor dem nächsten Hauseingang führt zu einem ausführlichen philosophischen Gespräch über das Leben und den Tod und zur Frage, ob es auch Oktoberkäfer gibt.

Da fällt der Älteren plötzlich ein, dass sie die festgetretenen Kaugummis gar nicht fertig gezählt hat. Und sie will sofort zurück. Aber für einmal habe ich den härteren Kopf.

Ziemlich ausgepowert biegen wir endlich auf die Zielgerade ein. Aber die hat es in sich. Denn vor dem Einkaufszentrum spritzt, sprudelt und gurgelt ein riesiger Springbrunnen. Daran gibt es bei dieser Hitze kein Vorbeikommen. Also dreimal kreischend durchs kühle Nass gerannt. Wir haben sowieso schon einen neuen Negativrekord aufgestellt.

Kinder öffnen einem die Augen für die wichtigen Dinge? Kommen Sie mir jetzt nicht damit. Ich habe genug gesehen, danke. Und der Rückweg steht uns ja noch bevor. Der Weg ist das Ziel? Ich wollte nur rasch einkaufen gehen. Und zwar Quick Soup.

Weniger ist mehr

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 25. Juni 2015

Manchmal bin ich schlimmer als meine Kinder. In der Migros sind die Seehund-Glacestängel Aktion, dazu gibt’s gratis eine Kühltasche – und mein Gehirn kennt nur einen Gedanken: «Will das haben!» Zu Hause koche ich dann erst einmal notfallmässig Rahmspinat, um Platz im Gefrierfach zu schaffen. Und meine Frau räumt mit mitleidigem Blick die Kühltasche zu den 13 anderen, die wir schon haben.

Spontaneität sei doch eine schöne Charaktereigenschaft, versuche ich mich halbherzig zu verteidigen. Aber ich weiss natürlich, dass das nur eine faule Ausrede ist: Ich bin der hirnlosen «Kaufitis» erlegen. Einmal mehr.

Aber seit Kurzem bin ich davon geheilt. Das Zauberwort heisst Suffizienz–Genügsamkeit. Effizienz ist das eine: Sparlampen, Minergiehäuser, Autos mit geringem Spritverbrauch. Aber um die ökologische Wende hinzubekommen, braucht es auch die Suffizienz: mit weniger Quadratmeter auskommen, das Auto mit anderen teilen, Dinge reparieren statt wegwerfen. Und wissen Sie was? Genügsamkeit macht glücklich. Probieren Sie es aus. Dann stehen Sie vor den 50 Paprika-Pouletflügeli im Sonderangebot, schauen die Grillschürze an, die es obendrauf gibt und fragen sich: Brauche ich das wirklich? Mit gutem Gewissen können Sie verneinen. Und Sie werden sich gut fühlen. Denn Sie haben gerade den Planeten gerettet. Und ihr Portemonnaie geschont.

Das Beste daran: Es funktioniert nicht nur beim Einkaufen. Damit werden Sie auch die Zeugen Jehovas los, die an Ihrer Türe klingeln. Rufen Sie ihnen einfach entgegen: «Ich glaube an die Suffizienz.» Wenn die Bekehrungsvertreter Sie dann entgeistert anschauen, fügen Sie erklärend hinzu: «Auf sie kann ich gut verzichten.» Und weg sind sie.

Suffizienz befreit. Weg mit all dem unnötigen Zeugs. Blatter, Blocher, Rhabarber-Rivella, ein iPad fürs Gästeklo? Danke, ich kann gut ohne.

Der Nachbar hat einen gigantischen Swimmingpool? Seien Sie nicht neidisch. Gönnen Sie sich ein Schwimmbad-Abo, das bringt auch Abkühlung. Und so ein geteilter Fusspilz verbindet auch gleich ungemein. Suffizienz statt Statussymbole.

Scheidung? Der Alte tut’s doch eigentlich noch ein paar Jährchen. Vielleicht lässt sich das eine oder andere ja reparieren. Das ist gelebte Suffizienz. Burka oder Bikini? Weniger ist mehr. Suffizienz kann ja so schön sein.

Und ihr Chef wird Sie lieben, wenn Sie beim nächsten Lohngespräch sagen, Ihr Gehalt reiche Ihnen eigentlich ganz gut zum Leben. Und wenn Sie mutig sind, fügen Sie noch hinzu: «Und übrigens, Chef, ohne dich ginge es im Grunde genommen auch.»

Wenn Sie dann Ihren Job los sind, haben Sie wenigstens schon Übung darin, mit wenig über die Runden zu kommen. Suffizienz sei Dank.

Alles Starbucks, oder was?

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 19. Juni 2015

Hab nur ich das Gefühl, oder erleben wir gerade, wie alles rasant verstarbuckst wird? Verstarbuckisierung? Sie wissen schon: Alles zu gross, ziemlich teuer und eigentlich völlig überflüssig. Aber dennoch hip, so dass alle meinen, mitmachen zu müssen.

Das ist ja nicht nur beim Kaffee so, also beim Java Chip Frappuccino Blended Beverage im Anderthalb-Liter-Pappbecher. Auch bei den Fernsehgeräten. Deren Bildschirmdiagonale übertrifft ja inzwischen bei weitem den IQ des durchschnittlichen Fernsehguckers. Und die Riesen kosten locker das Doppelte dessen, was so eine Coffee-House-Mitarbeiterin im Monat verdient. Und dennoch wollen alle einen haben. Dabei sind die Dinger so flach, dass die Kinder aus der Kartonverpackung nicht mal ein anständiges Spielhaus basteln können.

Und erst die Autos: Monstertrucks in der Quartierstrasse. Mittelstandspanzer vor der Migros. (Wenn die wenigstens in Kartonschachteln geliefert würden.) Viel zu gross, pervers teuer und total überflüssig. Ein kleines Auto täte es ja auch.

Total verstarbuckst alles. Von den Smartphones ganz zu schweigen. Die sind ja mittlerweile so riesig, dass sie nicht mehr in die Hosentasche passen. Dafür geben sie ein prima Brett vor dem Kopf ab.

Und alles immer «to go». Der Kaffee. Die News. Die neusten Facebook-Posts der Freunde. Alles immer «to go». Weil wir immer unterwegs sind. Auch im Arbeitsleben: Man hat ja keinen Beruf mehr, man macht Projekte. Ein Pult? So was von vorgestern. Heute reichen ein Laptop, ein Sofa im Coffee House und ein Triple Espresso Coke, bitte. Dann wirds auch was mit der Quartalsperformance.

Und auf der Visitenkarte steht irgendwas Aufgeblähtes auf Englisch, bei dem unsere Grosseltern nur Bahnhof verstehen. Und was dabei rauskommt? Alles viel zu gross, zu teuer und völlig überflüssig. Es kochen alle nur mit Wasser. Aber im Schaumschlagen sind wir Weltmeister. Verstarbuckst, durch und durch.

Wenn das so weitergeht, wird künftig ein nett lächelnder Bestattungsstudentenjobber unsere Asche in einen XXL-Pappbecher abfüllen, mit Filzstift den Vornamen des Verstorbenen drauf schreiben und auf dem Becher die Bestattungsmodalitäten ankreuzen: Entkatholisiert, mit einem Shot Buddhismus und Esoterik-Krokant obendrauf.

Die Trauergemeinde fläzt sich derweil in den Sofas der Funeral Lounge. Dann wird die Papp-Urne über den Tresen gereicht und auf dem Weg zum nächsten Termin können die Angehörigen die Asche entsorgen. On the go, was sonst.

CVP-Flower-Power

CVP-Flowerpower
«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 21. Mai 2015

Mehr als vier Jahrzehnte nach Woodstock ist die Hippiebewegung definitiv in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Also in der CVP. Bis vor Kurzem wusste ich das auch nicht, aber dann flatterte mir der Wahlkampfprospekt einer CVP-Nationalrätin ins Haus: Vorne drauf ihr strahlendes Gesicht über einem Sonnenblumenfeld, innen ein paar nette Worte und ein Briefchen mit fünf Sonnenblumensamen. Die Sonnenblume, so erklärt die Politikerin, symbolisiere ihr Engagement für «unsere Werte». Und man solle sie im Herbst doch bitte wieder nach Bern schicken. Was genau sie mit «unsere Werte» meint, verrät sie nicht. Wahrscheinlich freie Nächstenliebe, Frieden für den Mittelstand und konsensorientierte Selbstverwirklichung. Oder was immer man sich unter christlich-demokratischer Flower-Power vorstellen muss.

Ein Allergiker, wer Sonnenblumen nicht mag. Aber ob sie als Symbol fürs politische Engagement taugen? Immerhin streckt die Sonnenblume ihr Köpfchen immer nach der Sonne, ist also eigentlich ein Wendehals – und welcher Politiker will das schon sein?

Vor allem aber hoffe ich, dass das Beispiel nicht Schule macht. Sonst fühlt sich die SP genötigt, rote Rosen zu verteilen – aus fairer und genderneutraler Produktion. Die Jusos rollen Unkrautsamenbomben, um die Golfrasen der oberen Zehntausend zu ver(un-)zieren. Die FDP lässt Samenbriefchen in Form von Banksafes produzieren, darauf der Slogan «Wir kämpfen für ein starkes (Samen-)Bankgeheimnis». Denn, hey, die Liberalen können auch ironisch, wenn ihre Werbeagentur meint, damit sei ein Blumentopf zu gewinnen.

Die BDP setzt auf Stiefmütterchen und die CSP versucht ihr Glück mit Vergissmeinnicht. Rote und weisse Geranien verteilen die Mannen und Frauen der SVP, bis ihnen ein neunmalkluger Kolumnist unter die Nase reibt, Geranien seien im Fall gar keine einheimischen Blumen, sondern Migranten aus Südafrika. Worauf die SVP zurückschiesst, sie habe nichts gegen Ausländer, wenn diese nur gut integriert seien. Und die Grünen? Denen wird es zu bunt, dass plötzlich alle auf Natur machen und sie verteilen Immergrün-Setzlinge mit dem Slogan «Nur wir waren schon immer grün!».

Der Wahlkampf als Gartenschau und Anbauschlacht. Lieber nicht. Darum, liebe Politikerinnen und Politiker, behaltet eure Blumensamen, eure Partei-Kugelschreiber, eure Hustenbonbons und die Bierdeckel mit eurem Konterfei. Und überzeugt uns dafür lieber mit euren Ideen für die Schweiz von morgen.

Übrigens: Die Saat der CVP ist bei mir nicht aufgegangen. Statt im Blumentopf landeten die Sonnenblumensamen nämlich auf meinem Salat. Es hat gut geschmeckt.

Herzlichen Dank, Frau Nationalrätin.

Schneckensex und schleimige Nudisten

Filmstill aus «Mikrokosmos».

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 20. Mai 2015

Es gibt Bilder, die gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Zum Beispiel die zwei Weinbergschnecken, die sich zu den Klängen einer italienischen Opern-Arie auf einem Moosbett lieben. In leinwandfüllender Grossaufnahme. Und in Zeitlupe. Oder war es gar keine Zeitlupe? Vielleicht können Schnecken halt nur im Schneckentempo rummachen? Langsamverkehr eben. Egal.

Die Szene stammt aus dem Film «Mikrokosmos», der vor 20 Jahren in den Kinos lief. Die Macher müsste ich googeln, aber bestimmt waren es Franzosen. Nur Franzosen kann es nämlich einfallen, Schnecken beim Liebesspiel zu filmen und die Szene mit einer Opern-Arie zu untermalen.

Das Erstaunliche daran: Obwohl man den Schnecken ungeniert beim Schnackseln zuschauen konnte, war das Ganze nicht ekelhaft und schon gar nicht obszön (die Schnecken hatten ja auch ihr Häuschen anbehalten). Im Gegenteil: Es war grosses Kino und ungemein berührend, mit welch zärtlicher Innigkeit die beiden Weichtiere ihre schleimigen Körper aneinanderschmiegten und sich mit ihren Fühlern liebkosten.

Seither könnte ich keine Schnecken mehr essen. Und wenn ich italienische Arien höre, denke ich an …

Item. Wie komme ich darauf? Ich habe Salat gepflanzt. Aber kaum waren die zarten Setzlinge in der Erde, rückten auch schon die Schnecken an. Nicht Weinbergschnecken, auch keine schnuckligen Häuschenschnecken, sondern diese braunen «Blüttler»: Ein Heer von schleimigen Nudisten hatte sich mein Salatbeet zu ihrem neuen FKK-Paradies auserkoren.

Automatisch musste ich an meinen Vater denken. Nein, der ist kein Nudist, sondern ein passionierter Gärtner, der sich bei der Schneckenbekämpfung nicht lange mit Gift, Bierfallen oder Schneckenzäunen aufhielt, sondern allabendlich durch die Beete ging und mit seiner rostigen Schere ein Mollusken-Massaker anrichtete. Schnipp, schnipp, schnapp.

«Schaut», sagte ich zu den schamlosen Nacktschnecken, die hinter meinen Salat wollten: «Euer Liebesleben ist sicher nicht so poetisch und filmreif wie das der Weinbergschnecken. Wahrscheinlich habt ihr gar kein Liebesleben, ihr Grüsel. Und falls ihr miteinander kuschelt, läuft sicher nicht Verdi oder Puccini. Sondern Helene Fischer.» Schnipp, schnipp, schnapp.

Aber jetzt habe ich ein Problem: Ich bringe die Bilder der zerschnittenen Schneckenleiber nicht mehr aus dem Kopf. Selbst mit italienischen Opern nicht.

Und hier gibt es das Schneckensexvideo.

Tischgespräch

Iss dein Gemüse
«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 29. April 2015

Iss dein Gemüse. Iss doch dein Gemüse. Du hast noch gar nichts von deinem Gemüse gegessen. Ich bin nicht einverstanden, dass du nur Fleisch isst. – Nein, Kartoffeln sind kein Gemüse. Was Kartoffeln sind? Was anderes halt – aber kein Gemüse. Das Grüne da, das ist Gemüse. Grün ist doch deine Lieblingsfarbe. – Rosa? Seit wann denn Rosa? Nein, es gibt kein rosa Gemüse. Auch keine Hello-Kitty-Erbsen. Nein, wir müssen nicht in der Migros nachschauen gehen. Das gibt’s nicht. Bestimmt. Und jetzt iss dein Gemüse.

Aber nimm die Gabel. Du bist doch kein Baby mehr. Und nicht die fettigen Finger am Pullover … Wozu hast du denn eine Serviette! Lernt ihr in der Krippe eigentlich nichts? Muss man euch denn alles selber beibringen?

Iss jetzt dein Gemüse. Bitte. Und nimm die Füsse vom Tisch, Herrgottstärne. Und setz dich anständig hin. Nicht mit den Fingern. Nicht mit den Fingern. Nicht mit den Fingern, habe ich gesagt! Wozu hast du eine Gabel? – Wieso hast du keine Gabel? Wo ist deine Gabel? – Muss eigentlich alles immer am Boden liegen? Und wer muss nachher wieder die ganze Sauerei wegputzen? Ist doch wahr.

Da, deine Gabel. Und jetzt iss endlich. Immer so ungemütlich beim Essen. Wir könnten doch auch friedlich am Tisch sitzen, wie alle anderen auch. Wie gesittete Menschen und ruhig miteinander reden. So. Siehst du, geht doch.

Jetzt hör sofort auf. Geht’s eigentlich noch? Mit dem Sirup auf dem Tisch malen – das hast du sicher aus der Krippe. Oder woher hast du das? Hör auf jetzt. Aber sofort. – Mir egal, ob das ein Elefant ist. Und nein, es gibt kein Röhrli. Auch kein rosarotes. – Mir doch wurscht, wenn’s beim Grosi eins gibt. Und damit basta!

Nein, es gibt keine Wurst. Und auch keine Nudeln. Basta, habe ich gesagt – nicht Pasta. Machst du das eigentlich extra, um mich zu ärgern?

Und jetzt iss dein Gemüse. – Ich weiss selber, dass es verkocht ist. Aber du musstest dir ja unbedingt mit dem Bostitch den Daumen … Dabei habe ich dir tausend Mal gesagt, dass du im Büro nichts verloren hast. Und dann musste es ja umsverrode ein Pflästerli mit einer Giraffe drauf sein. Und jetzt ist das Gemüse halt Matsch und die Vitamine sind alle tot. Satt macht’s trotzdem. Und vor dem Zvieri gibt’s sicher nichts anderes, im Fall, also iss jetzt dein Gemüse.

Nachtisch? Kriegst du sicher nicht, wenn du nicht alles aufisst. Das kannst du vergessen. Erst machst du den Teller leer.

Aber wenigstens das Gemüse. Einen Löffel voll nur, komm. Mir zuliebe. – Gut, ich esse dein Gemüse und du kriegst meinen Nachtisch.

Und ich brauche jetzt einen Kaffee.

Die Rechnung mit dem Tode machen – Ein Essay

Hier gibts den Essay als PDF

Klein bist du geworden. Beinahe möchte ich Mitleid mir dir haben, wo du doch einst so mächtig warst. Du brauchtest nur deine Sense zu schwingen, und wir Menschen fielen wie Halme unter deinem Streich. Doch dann entdeckten wir die Keime, die Bazillen, die Erreger. Und auf einmal warst du nicht mehr so mächtig, nicht mehr so furchtbar. Sich die Hände zu waschen genügte schon, um dir eins auszuwischen. Und erst das Penicillin – daran hast du bis heute zu schlucken. All die vielen Krankheiten, die früher einem Todesurteil gleich kamen: weggeimpft, weggespritzt, weggestrahlt, ausgerottet. Dein todbringendes Arsenal an Massenvernichtungswaffen ist geschrumpft – und mit ihm auch du. Die Rechnung mit dem Tode machen – Ein Essay weiterlesen

Stark bleiben in der Migros

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 9. April 2015

Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Und die Migros. Denn nirgendwo sonst können die Kinder ihre Willenskraft stärker stählen und sich im glücksbringenden Verzicht besser üben als vor den vollen Supermarktregalen. Das rede ich mir jedenfalls ein, um die Einkaufstortur erträglicher zu machen.

Denn meine Kinder wollen beim Einkaufen immer alles haben: Die Himbeeren – «die ha ni soooo gärn». Die kleinen Käsekugeln–weil da lustige Kühe drauf sind. Den bunten Ball – «mir händ jo erscht zwöi grossi». Und ich sage standhaft Nein. Weil die Beeren mehr Flugmeilen auf dem Konto haben als ich. Weil der Käse nach nichts schmeckt und weil Bälle nicht auf der Einkaufsliste stehen.

Darum verschliesse ich meine Ohren vor den Sirenengesängen meiner Kinder, die mich von den Vorzügen eines Jumbopacks Gummibärli überzeugen wollen («Weisch, denn längts au no fürs Mami.»). Und wenn das Bittibätti in Heulen und Wehklagen übergeht, halte ich den Zweien einen Vortrag über das berühmte Marshmallow-Experiment aus den 60ern: Der Neuropsychologe Walter Mischel setzte Vorschulkindern einen Marshmallow vor die Nase und sagte ihnen, dass sie eine zweite Süssigkeit bekämen, wenn sie das Zuckerzeug 20 Minuten lang nicht essen würden. Wissen Sie, was er herausgefunden hat? Kinder, denen es gelang durchzuhalten, waren Jahrzehnte später beruflich und privat erfolgreich und zufriedener. «Verzichten macht glücklich! Willenskraft zahlt sich aus!», belehre ich die quengelnden Kids.

Abgekämpft, aber moralisch gereift erreichen wir schliesslich die Kasse, wo es ein letztes Mal gilt, die Ich-will-das-haben-Blicke der Kinder Richtung Süssigkeitenregal zu ignorieren. Vor Ostern war der Charaktertest besonders fies. Denn wenn man schon glaubte, alles überstanden zu haben, fragten die Kassiererinnen: «Nämed Sie d’Chläberli?»

Sie wissen schon, diese glitzernden Hasensticker. Wenn man eine ganze Sammelkarte voll hatte, konnte der Nachwuchs einer dieser seltsam geformten und seltsam gefärbten Plüschhasen aus China mit nach Hause nehmen.

Und wissen Sie was? Ich nahm die Kleber – jedes Mal. Bis wir zwei Karten voll hatten. Und die Kleinen je einen Hasen. In Rosa und Grün. Und wenn Sie jetzt denken, das sei schampar inkonsequent von mir, dann lassen Sie mich Ihnen sagen: Nur der Sture ist immer konsequent. Der Klügere gibt zwischendurch nach. Auch das eine Lektion fürs Leben, die sich in der Migros lernen lässt. Und im Gegensatz zum Marshmallow verursachen die Plüschviecher bei den Kleinen wenigstens keine Karies.

* Dieser Text entstand ohne freundliche Unterstützung der Migros.