No, you can’t!

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 6. November 2015

Seit Kurzem versuche ich mein Glück als Demotivationstrainer. Journalismus hat ja auf Dauer keine Zukunft. Höchste Zeit also, sich beruflich neu zu orientieren. «No, you can’t!», lautet mein Motto – und ich hab damit den Nerv der Zeit getroffen. Übermotiviertheit ist ja die Volkskrankheit Nummer eins.

Sie glauben gar nicht, wie viele Chefs sich deswegen an mich wenden. «Meine Leute sind zu engagiert», klagen sie, «freiwillige Überstunden, tolle Ideen am laufenden Band. Wie soll ich das bloss dem Verwaltungsrat erklären? Können Sie mir helfen?» Ich setze dann jeweils ein ernstes Gesicht auf. «An Ihrer Stelle würde ich mir keine allzu grossen Hoffnungen machen.» Das wirkt. Nach diesem Satz schlucken die Chefs ohne Widerrede meine exorbitante Honorarforderung.

Und dann lege ich los. Mein Demotivationstraining beginnt ganz oben, beim Chef. Denn auf den Teppichetagen greift seit Jahren eine Kultur des Lobes um sich. Eine Unsitte. Ständig werden die Mitarbeiter gelobt, gefördert, gewertschätzt und gehätschelt–kein Wunder, dass dabei die Motivation ins Kraut schiesst.

Die Bosse lernen deshalb bei mir erst einmal wieder, wie man Untergebene ignoriert, gängelt und öffentlich abkanzelt. «No, you can’t!»

Dann ist das mittlere Kader an der Reihe. Denn damit’s mit der Demotivation klappt, müssen sich alle tüchtig ins Zeug legen. «Mosern, meckern, miesmachen» ist zum Beispiel ein Seminar, das gerne gebucht wird. Oder ich trainiere die Leute im Schwarzsehen und im Schlechtreden (sich und andere). Probieren Sie es ruhig selber einmal aus. Stellen Sie sich am Morgen vor den Spiegel und sagen dabei zehn Mal laut «Ich schaff das nicht»–und schon ist jeder Anflug von Motivation im Keim erstickt. «No, you can’t!»

Wenn das alles nichts hilft, lade ich die ganze Belegschaft zum Team-Destroying-Event: Zum Beispiel Riverrafting für die ganze Abteilung, aber die Schwimmwesten reichen nicht für alle– da gehen der Teamgeist und die Begeisterung im Nu bachab. Und zum Dessert kriegt jeder einen Unglückskeks mit einem passenden Ablöscher-Spruch. «No, you can’t!»

Übrigens, ganz unter uns: Ich coache jetzt auch Gottéron. Völlig aufgelöst sass die Klubleitung vor ein paar Wochen in meinem Büro. «Was sollen wir nur tun? Unsere Jungs sind einfach zu motiviert, die gewinnen fast jedes Spiel. Richtig unheimlich.» Ich seufzte tief. «An Ihrer Stelle würde ich mir keine allzu grosse Hoffnung machen», sagte ich, worauf der Finanzchef prompt das Scheckheft zückte.

Tja, und jetzt durchlaufen Mannschaft und Management bei mir ein intensives Demotivationstraining. Wenn die Drachen also Ende Saison wieder Tabellenschlusslicht sind, wissen Sie nun, wem Sie dafür zu danken haben.

Innere Werte

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 17. Oktober 2015

Kuno Lauener hat ja keine Ahnung. «Ich schänke dir mis Härz», singt der «Züri West»-Frontmann, «meh han i nid.» Dabei hat der Mensch ja noch einiges mehr an inneren Werten, also wertvollen Innereien, zu bieten: die Lunge, die Leber, die Nieren, den Dünndarm, die Bauchspeicheldrüse, die Augenhornhaut, die Haut, Gewebe und Zellen. Gut, vielleicht hat bei Lauener das Leben als Mundartrocker seine Spuren hinterlassen und Lunge und Leber taugen nicht mehr als Secondhand-Organe.

Stopp. Darf man über die Organspende Witze machen? Immerhin gehts dabei um Leben und Tod. Bis zu 100 Menschen sterben jährlich in der Schweiz, weil sich kein passendes Spenderorgan für sie findet. Das habe ich neulich gelesen und gedacht, komm, fass dir ein Herz, tu mal was Gutes–und ich bestellte einen Organspendeauweis.

Kostet ja nichts. Nach seinem Tod ein anderes Leben retten, ist doch schön. Dachte ich. Mit einer einfachen Unterschrift zum Held. Tut ja nicht weh. Also, nicht mehr.

Aber jetzt liegt der Organspendeausweis seit Wochen auf meinem Pult. Und ich getraue mich nicht, ihn auszufüllen. Denn eben, dabei geht es um Leben und Tod. Und zwar um meinen. Und darüber denke ich nicht gerne nach. So eine Organspendekarte ist ja wie ein Testament mit unbekannten Nutzniessern. Und mit 38 sein Testament zu machen, fühlt sich falsch an.

Mit 38 sollte man nicht übers Sterben nachdenken, sondern über die Hypothek fürs Haus und den nächsten Karriereschritt, oder seine Midlife-Crisis zu planen beginnen–ja, damit sie einem nicht überrascht und man furchtbar unüberlegte Dinge tut. Ich sage nur: Marathon, Motorrad, Mätresse.

Kommt hinzu: Wenn ich etwas verschenke, will ich damit so richtig Freude machen. Aber das baut ja gleich einen enormen Druck auf: Muss ich jetzt anfangen, Sport zu treiben und dem Alkohol entsagen, damit meine Organe ihren Recycling-Wert behalten? Immerhin gehört mein Körper ja nicht mehr ganz mir allein, wenn ich eine Organspendekarte mit mir herumtrage.

Und noch eine Laus kriecht mir über die Leber: Was, wenn jemand meinen Dünndarm erhält, den ich nicht ausstehen könnte, wenn ich noch am Leben wäre?

Sie sehen, es ist kompliziert. Und wenn Sie jetzt denken, was ist dieser Moser auch für ein Weichei, dann bestellen Sie doch Ihren eigenen Organspendeausweis und füllen Sie ihn aus. Übrigens können Sie auch angeben, dass Ihnen nach Ihrem Tod keine Organe entnommen werden sollen. Die Wahl liegt also ganz bei Ihnen. Wenn Sie dabei keine einzige Minute ins Hirnen kommen, dann lade ich Sie zum Essen ein.

Saure Kalbsleberli fände ich ganz passend. Oder Kutteln, wenn Sie die lieber mögen.

Politisches Speeddating

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 6. Oktober 2015

Meine Stimme ist unglaublich sexy. Frauen und Männer, Jung und Alt – alle stehen drauf. Über 130 buhlen um meine Gunst, und ich muss gestehen, ich fühle mich geschmeichelt – auch wenn es nur Politikerinnen und Politiker sind.
Das Wahlcouvert ist da, keine zwei Wochen mehr sind es bis zur Wahl, für vertieftes Kennenlernen bleibt da keine Zeit. Deshalb auf zum politischen Speeddating in der Wähl-Bar.

Runde 1: Zu Beginn gleich mal die unseriösen Bewerber aussortieren. Ein paar Spassvögel haben als Beziehungswunsch «Frei bleiben» angegeben. Ich aber bin auf eine langfristige Beziehung aus, also weg damit. Bing!

Runde 2: Der erste Eindruck zählt. Das gilt auch in der Politik. Und darum fliegt raus, wer in der falschen Partei sitzt. Da waren brillante Querdenker dabei? Eloquente Brückenbauer und strategisch kluge Strippenzieher? Pech. Aber es hat ja noch viele einsame Wählerherzen, vielleicht haben die Geschassten bei denen mehr Glück. Bing!

Runde 3: Das Feld der Kandidatinnen und Kandidaten (ja, ich bin politisch bi) hat sich schon deutlich gelichtet. Zeit, die Ansichten abzugleichen, um meine politischen Seelenverwandten zu finden. Zum Glück gibt’s dafür die Partnervermittlung Smartvote. Einfach kurz den Fragebogen ausfüllen und schon spuckt der Computer meine Traumpartner aus.

Wobei, so einfach ist das gar nicht. In der Deluxe-Version muss man 75 Fragen beantworten, darunter auch knifflige. Soll die Schweiz mit den USA über ein Freihandelsabkommen verhandeln? Tja, meine Lieblingsfarbe ist Blau. Aber vor dem Traualtar gibt es auch nur Ja oder Nein. Also tapfer antworten. Irgendwann bin ich durch–und überrascht: Ich bin viel radikaler, als ich gedacht habe. Das kann ja noch heiter werden. Wenigstens hat der erste Eindruck nicht getäuscht. Wer in Runde 2 rausgeflogen ist, taucht auch nicht in meinen Wahlempfehlungen auf. Bing!

Ich genehmige mir einen «Majorz-Mojito» an der Bar. Den «Sex in the Bundeshaus» spare ich für später auf. Ringsum wird schon schamlos panaschiert und kumuliert.

Auf zur Runde 4: Die Entscheidung. Soll ich meinem Herzen – und der Partnervermittlung – folgen und die jungen Wilden wählen, die aber chancenlos sind? Oder lieber auf Nummer sicher gehen und auf die alten Hasen setzen? Liebesheirat oder Vernunftehe? Oder beim Fragebogen schummeln, bis meine Wahlempfehlung moderater ausfällt? Ich entscheide mich für … das Wahlgeheimnis. Bing!

Ob’s was wird mit meinen Herzblättern und mir, zeigt sich am 18. Oktober. Und wenn wir uns danach auseinanderleben, können wir uns in vier Jahren ja scheiden lassen.

Wahlwerbe-Spott

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 29. September 2015

An ihren Krawatten sollt ihr sie erkennen, habe ich immer gedacht. Und jetzt das. Der Pöstler hat das dicke Couvert mit den Wahlprospekten der Freiburger Parteien gebracht. Und was sehe ich? SP-Ständerat Christian Levrat trägt einen bürgerlichen Binder unter dem leicht stoppeligen Kinn. Ja, er präsentiert auf dem SP-Prospekt sogar zwei verschiedene Modelle: schwarz mit weissen Punkten und rot mit weissen Punkten (die Symbolik dahinter muss ich nicht erklären, die sieht auch ein Farbenblinder).

Bei der selbst ernannten Wirtschaftspartei par excellence hingegen, der FDP: offene Hemdkragen, so weit das Wählerauge reicht. Sogar die Alibi-Frau unter den FDP-Männern trägt keine Krawatte, äh, kein Foulard. Was will uns das sagen? Ist der Sozialdemokrat der bessere Bürgerliche? Oder will die krawattenlose FDP damit ihre behauptete Lösungsfindungspotenz unter Beweis stellen? Zu eng gebundene Krawatten stehen ja im Ruf, die Denkfähigkeit zu beeinträchtigen. Diesbezüglich ist wenigstens auf die SVP-Mannen Verlass: Die tragen alle feines Tuch um den Hals, auch wenn die Krawatten der parteiischen Volksvertreter so eng gebunden sind, dass … Item. Vielleicht rühren daher auch die leicht geröteten Köpfe?

Krawattiert sind auch die jungen SVPler. Sie zeichnen sich aber vor allem dadurch aus, dass sie auf ihrem Flyer als Einzige den Nachnamen vor dem Vornamen nennen: So wie das die Schwinger tun. Aha, die wollen also ganz «Böse» sein. Wobei alle recht lieb aussehen, der Gendre Rémy sogar so «verschüpft», ich glaube, sogar die Soziologiestudentin von den Jungen Grünen würde den mit einem Wyberhaken mit links aufs Kreuz legen.

Apropos flachlegen. Geht es nur mir so, oder sind die Kandidatenslogans der CVP etwas ungünstig gewählt? «Ich mache es für alle», «Ich mache es für den Nachwuchs» – bei mir löst das Assoziationen aus, die nichts mit Politik zu tun haben. Übrigens, ich mache es fürs Geld (also diese Kolumne schreiben, nicht das, was Sie jetzt vielleicht meinen).

Und ansonsten? Blaustichige CSPler, gradlinige Politiker mit schiefer Syntax, ein 67-Jähriger mit Ohrring (ohne Krawatte), ein 38-Jähriger in der Jungen CVP (ohne Krawatte), ein Käseaffineur mit käsegelber Krawatte und ein 20-jähriger Ständeratskandidat (ohne alles, nicht mal Krawatte). Und abwechslungsweise der Mensch, Gott, die Zukunft oder die Vergangenheit (pardon, die Freiheit) im Zentrum.

Nur eines habe ich nicht ganz verstanden: Wieso durfte neben den Parteien auch der Imkerverein seine Broschüre beilegen?

Physik im Kinderzimmer

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 25. September 2015

Physik ist für viele ein Schreckgespenst: zu abstrakt, zu theoretisch, furchtbar viele Formeln. Aber mit kleinen Kindern wird Physik plötzlich ganz anschaulich und konkret.

Die Sache mit der Gravitation zum Beispiel. Meine Kinder werden nicht müde, täglich aufs Neue zu testen, ob die Erdanziehung auch wirklich immer funktioniert. Ständig fällt etwas runter: Die Nudeln vom Teller, der Teller vom Tisch, die Kinder vom Stuhl. Dass die Dinge dann meist einfach am Boden liegen bleiben, liegt übrigens nicht an der Gravitation, sondern am Gesetz der Trägheit–also an meiner und meiner Kinder Faulheit.

Oder die Entropie. Ein einschüchterndes Fremdwort, aber vereinfacht gesagt, geht es darum, dass Teilchen versuchen, sich so gleichmässig wie möglich in einem Raum zu verteilen. Die Natur strebt also immer ein System der möglichst grossen Unordnung an. Sie können sich das nicht so recht vorstellen? Dann werfen Sie mal einen Blick ins Kinderzimmer–und schon haben Sie das Prinzip verstanden.

Das Kräftespiel von Beschleunigung und Reibung auf einer schiefen Ebene wiederum lässt sich nirgends so spielerisch leicht am eigenen Körper erfahren wie auf der Rutschbahn. Gut, manchmal wird’s auch schmerzhaft. Ich sage nur: Regenhosen auf nasser Rutschbahn–keine gute Idee. Dafür einfacher zu rechnen, weil der Reibungswiderstand praktisch gleich null ist.

Einsteins Relativitätstheorie ist selbst für manchen Physiker zu hoch. Aber wer Kinder hat, versteht instinktiv Einsteins These, dass Zeit relativ ist: Quengeln die Kleinen, zerrinnt sie zähflüssig wie ein Emmentaler-Fondue, sollte man hingegen tausend Sachen erledigen, rast sie im Sauseschritt dahin.

Und natürlich die ganzen Elektromagnetismus-Geschichten: Anziehung, Abstossung, positiv geladen, negativ geladen, explosionsartige Entladungen in einem Donnerwetter … Mit Kindern wird jeder Tag zur Physik-Lektion mit Knall- und Aha-Effekt.

Nur ein Phänomen bereitet mir noch Kopfzerbrechen: Der Energieerhaltungssatz. Der besagt, dass Energie nicht verschwinden oder aus dem Nichts entstehen kann. In einem geschlossenen System bleibt die Gesamtenergie also immer gleich, sie kann aber in andere Formen umgewandelt werden–aus Bewegungs- wird etwa Wärmenergie.

Nun ist es so: Nach einem Tag mit den Kindern bin ich immer völlig ausgepowert und auch die Kleinen fallen todmüde ins Bett. Wo ist also all die Energie hin, die mich die Kleinen gekostet haben? Ich vermute, dass sie in eine andere Energieform umgewandelt wurde: in Liebe nämlich. Das hoffe ich zumindest. Den wissenschaftlichen Beweis dafür bin ich allerdings noch schuldig.

Kampfansage ans System

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 16. September 2015

Der Tag wird kommen, an dem ich meine Cumulus-Karte an eine Hagelrakete nagle und in der nächsten Gewitterwolke pulverisiere. Und mit ihr mein Kundenprofil mit Joghurtpräferenzen, Geflügelwurstaversionen und Gemüsevorlieben.

Aus der Supercard mache ich Konfetti, und wenn die Verkäuferin danach fragt, sage ich: «Supercard? Habe ich nicht. Aber ich trag drunter ein Superman-Kostüm. Möchten Sie das mal sehen?» Und wenn ich schon dabei bin, lege ich gleich noch die Self-Scanning-Kassen mit einer Horde Zebras lahm. Und ich werde mich frei fühlen.

Der Tag wird kommen, an dem ich meine gesammelten Volg-Märkli vom Helikopter aus über dem Engadin abwerfe und mich daran ergötze, wie sich Einheimische und Zürcher darum balgen. Und ich werde mich gut fühlen.

Der Tag wird kommen, an dem ich alle Member Cards, Vorteilsvoucher und Treuebons in ein loderndes Feuer werfen und singend darum herum tanzen werde: «Ach wie gut, dass niemand weiss, dass ich Stephan Moser heiss.» Denn Treue hat nur eine verdient: meine Frau. Bei den Gipfeli aber, den Kugelschreibern, den Büchern und den Schuhen will ich fremdgehen, so oft und mit wem ich will. Ohne schlechtes Gewissen und egal, was es kostet. Und ich werde mich glücklich fühlen.

Der Tag wird kommen, an dem ich farbenblind werde für die orangen Aktionsschilder und taub für die Sonderangebotsdurchsagen aus dem Lautsprecher. Kracher-Angebote detonieren ungehört, heisse Preise lassen mich kalt, und statt für Rabatte interessiere ich mich nur noch für Rabatten. Und vor allem werde ich mich nicht mehr irremachen lassen von der nächsten Migros-Mania.

Dieser Tag wird kommen – und ich werde mich frei fühlen und gut und glücklich, weil nicht mehr die Marketingheinis der Grossverteiler darüber bestimmen, was in meinem Einkaufswägeli landet, sondern nur noch ich. (Okay, und meine Frau und meine Kinder.)

Der Tag wird kommen. Aber noch nicht heute. Denn da gibt es grad diese Super-Aktion. Wenn ich die mit meinem Geburtstagsrabatt von 15 Prozent und dem Fünffach-Punkte-Bon kumuliere und für mehr als 200 Franken einkaufe und dann noch einen Freund als Neukunden werbe, dann bekomme ich das fast gratis. Ich meine, ich bin doch nicht blöd.

Und ausserdem fehlen uns noch der Jet d’eau, das Spalentor und das Schloss Greyerz.

Aber nachher tu ichs. Garantiert.

Vollzeitmensch sucht Teilzeitstelle

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 8. September 2015

«Sie sind jetzt also einer dieser Teilzeitmänner», sagt der Personalverantwortliche, eine Spur Spott in seiner Stimme, Mitleid in den Augen. Das Vorstellungsgespräch dauert noch keine fünf Minuten, und ich weiss, es wird nicht gut enden.

«Ich bevorzuge den Begriff Vollzeitmensch», entgegne ich. «Teilzeitmann ist ein bescheuertes Etikett. Das klingt so, als sei ich nur ein halber Mann, weil ich 60 Prozent arbeite. Was natürlich Quatsch ist. Ich bin ich, egal, ob ich am Sitzungstisch sitze oder im Sandkasten. Ich will einfach Teilzeit arbeiten, damit ich Zeit für meine Familie habe.»

«Ich verstehe, Work-Life-Balance, das schreiben wir gross bei uns.»

«Ist ja auch ein Nomen», rutscht es mir heraus.

«Quality Time mit den Kleinen, das ist mir persönlich auch wichtig», fährt der Personaler leicht irritiert fort.

«Quality Time ist eine faule Ausrede von Managern, die 60 Stunden und mehr pro Woche arbeiten und meinen, sie könnten das kompensieren, indem sie am Sonntag Frühstück für die Familie machen», erwidere ich. «Und dann sind sie sauer, wenn der Sohn lieber ausschläft als mit Papa Kaffee zu trinken.»

Der Personaler zupft an seiner Krawatte.

«Ich will einfach nicht als Grossvater mit meinen Enkeln nachholen müssen, was ich mit meinen eigenen Kindern verpasst habe. Und ausserdem ist es auch eine Frage der Partnerschaftlichkeit: Ist doch selbstverständlich, dass man sich in einer Beziehung die Arbeit teilt–die bezahlte und die unbezahlte. Oder nicht?»

Er schweigt.

«Wissen Sie, woran es liegt, dass 60 Prozent der Frauen Teilzeit arbeiten, aber nur gerade 16 Prozent der Männer, obwohl Frauen häufig besser ausgebildet sind? Nicht an den Strukturen. Sondern an den Männern. Die wollen es gar nicht anders. Denn Kinder und Haushalt, das kann ganz schön frustrierend und anstrengend sein. Der mühsamste Chef lässt sich leichter handlen als eine störrische Fünfjährige. Und ein Feierabendbier mit Kollegen ist auch angenehmer als das Gemotze der Kleinen über das Gemüse.»

«Ich finde es super, wie Sie neue Rollenmodelle …», stottert der Personaler.

«Kommen Sie mir nicht damit. Ich will keinen Orden als Vorzeige-Teilzeitmann und auch keinen Exoten-Bonus. Ich will einfach nur diesen Job. Weil ich gut bin. Und erst meine Soft Skills: Konflikte lösen, motivieren, zuhören, führen, Prioriäten setzen. Und ich backe himmlische Brownies. Hab ich alles als Vollzeitmensch gelernt. Noch Fragen?»

Die hatte der Personaler nicht. Den Job habe ich übrigens auch nicht bekommen. Aber es hat gut getan, das alles einmal rauszulassen.

57 Fragen, um Politiker aus dem Konzept zu bringen

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 3. September 2015

Aus welchem Grund soll ich Sie wählen? Aus welchen drei Gründen sollte ich Sie besser nicht wählen? Wen wählen Sie? Würden Sie mich wählen? Wenn Sie keine Wahl hätten, wofür würden Sie sich entscheiden?

Bier oder Cüpli? Wieso antworten 90 Prozent der Befragten mit «Bier», obwohl sie lieber Rotwein mögen? Bratwurst oder Bratwurst? Was hat diese Frage mit Politik zu tun?

Ab wann ist ein Lohn unanständig hoch? Wie viel verdienen Sie? Geben Sie immer ausweichende Antworten? Sind Sie bestechlich? Wie gut muss ein Verwaltungsratsposten entlöhnt sein, damit Sie das Mandat annehmen? Geben Sie immer ausweichende Antworten?

Was wollten Sie als Kind werden? Bereuen Sie, stattdessen Politiker geworden zu sein? Was wollen Sie nach Ihrer Pension anstellen? Was stellen Sie an, damit Sie noch eine Pension erhalten?

Wo liegt Europa? Und die Schweiz? Und wo stehen Sie?

Wie würden Sie sich politisch verorten: oben oder unten?

Aus welchen Gründen würden Sie aus der Schweiz flüchten? Und wohin? Würden Sie Ihr Leben dafür riskieren?

Was war Ihr letzter Post auf Facebook? Wie viele Likes haben Sie dafür gekriegt? Haben Sie nichts Besseres zu tun?

Wie oft kommt das Wort Gott in der Nationalhymne vor? Möchten Sie etwas dazu sagen? Oder singen?

Wieso lieben Politiker eigentlich die Angstmache und die Schwarzmalerei? Wieso gibt es keine Partei, die uns Glück verspricht? Was ist Glück (und zitieren Sie nicht Paulo Coelho)?

Worüber haben Sie das letzte Mal geweint? Sagen Sie immer die Wahrheit–oder nur, wenn es nicht wehtut?

Gefallen Sie sich auf Ihrem Wahlplakat? Wie viele davon haben Sie drucken lassen? Ist ein Gesicht wichtiger als Inhalte? Wieso ist dann Ihr Slogan so nichtssagend?

Welches Argument können Sie nicht mehr hören? Ihr Lieblingsargument in politischen Debatten? Stört es Sie, dass die anderen das nicht mehr hören können?

Wer steht auf dem Listenplatz hinter Ihnen? Was kann sie oder er besser als Sie? Und wieso haben Sie dann denn besseren Listenplatz?

Wenn Sie am 18. Oktober nicht gewählt werden, wie oft treten Sie erneut an? Soll man Sie dafür bewundern oder bemitleiden? Wenn Sie nicht gewählt werden, kandidieren Sie dann für den Gemeinderat? Wieso ist Ihnen dieser Gedanke nicht selber gekommen?

Wie viel kostet ein Liter Milch? Wie viel kostet Ihr Auto? Wie viel kostet ein Ticket nach Bern? Wieso wollen Sie eigentlich nach Bern, gefällt es Ihnen hier nicht mehr?

Darf ich Ihnen noch eine letzte Frage stellen? Wieso sind Sie in der falschen Partei?

Puzzle-Albtraum

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 28. August 2015

Mit dem Puzzeln ist es wie mit dem Chipsessen – hat man erst einmal damit angefangen, kann man nicht mehr aufhören. Mir geht es jedenfalls so. Leider. Denn vor kurzem bekam unsere Tochter ein Puzzle geschenkt. Eines mit 1000 Teilen. 1000 Teile, das sind 100 Mal zwei Kinderhände mit allen Fingern in die Luft gestreckt. Also schlicht zu viel für eine Fünfjährige. Ganz zu schweigen vom Motiv: ein gezeichneter Weinberg mit Menschen in unterschiedlichen Stadien der Trunkenheit und der textilen Entblätterung.

Aber meine Tochter wollte es unbedingt zusammensetzen. Sie leerte die 1000 Teile auf den Esstisch und begann tapfer, die Randteile auszusortieren. Nach einer Viertelstunde hatte sie genug, nach drei Stunden hatten meine Frau und ich den Rand fertig. 48 mal 68 Zentimeter. Daneben 874 Puzzleteile auf einem ungeordneten Haufen.

«Wieso tun wir uns das an?», fragte ich meine Frau Stunden später. «Wir puzzeln nicht gerne, das Puzzle ist nicht mal schön. Und trotzdem verblöden wir unsere Zeit damit. Apropos, ist das nicht die Nase des Schweins im Weinfass?»

«Mit Puzzles ist es wie mit Chips», begann meine Frau und setzte das Teil ein.

«Nein, im Ernst jetzt. Und hast du die linke Po-Backe des Nackedeis gesehen?»

«Es ist ein innerer Zwang. Wir müssen zu Ende zu bringen, was wir begonnen haben.»

«So wie Gottéron. Haben die Saison zu Ende gespielt, obwohl es hoffnungslos war. Und frustrierend anzusehen.»

Wir puzzelten weiter.

«Dieser Traktor treibt mich noch in den Wahnsinn.»–«Und erst die beschwipste Blaskapelle.»

«Ich glaube, es geht vielen Menschen so. Die stecken irgendwo fest. Im falschen Job, der falschen Beziehung. Nichts passt zusammen. Aber alle wursteln weiter.»

«Weil sie schon so viel investiert haben. Wenn sie aufgeben, war alles umsonst.»

«Darum puzzeln wir auch weiter. Dabei wäre es viel befreiender, reinen Tisch zu machen. Zuzugeben, dass man nicht weiterkommt–und was anderes machen.»

«Ist das die Jogging-Hose?»

«Der pissende Hund.»

«Vielleicht ist das ganze Leben ein Puzzle. 1000 Erinnerungen, Momente, Erlebnisse. Man versucht, es zu einem stimmigen Ganzen zusammenzusetzen, aber man kriegts nicht auf die Reihe.»

«Eigentlich ist Puzzeln ganz schön deprimierend, wenn man darüber nachdenkt.»

«Wir sollten es fertig machen, bevor es uns fertigmacht.»

Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Unsere Tochter fegte mit ihrem Plüschpanda das Puzzle vom Tisch. Statt Schimpfis gabs erleichterte Gesichter. Endlich Tabula rasa. Zur Feier des Tages öffneten wir eine Familienpackung Chips. Eine Tausender-Tüte. Und wissen Sie was? Wir waren im Nu fertig damit.

1.-August-Ansprache

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 24. Juli 2015

Liebe Dörflingerinnen, liebe Dörflinger, wir haben uns heute hier, und auch überall sonst zwischen Bodensee und Lémanstrand, zwischen Rheinfall und Lago Maggiore, und auch im Ausland haben wir uns versammelt … weil die Schweiz Geburtstag hat. Ob auf der Torte der eidgenössischen Demokratie 724 oder erst 167 Kerzen brennen, das mögen die Gelehrten unter sich ausblasen … ausmachen. Was zählt, ist der Gedanke: L’idée suisse. Und darum Happy Birthday, Schweiz.

Dankbar wollen wir sein für das, was unsere Vorväter uns erstritten. Und unsere Vormütterinnen, möchte ich hinzufügen. Freiheit, Unabhängigkeit, Frieden–und einen der tiefsten Steuersätze im Bezirk. Das Alte wollen wir treu bewahren, aber auch das Neue wagen. Damit sind wir gut gefahren, daran wollen wir nicht rütteln.

Denn wie unsere Ahnen vor uns, so müssen auch wir grosse Herausforderungen meistern. Ich erinnere Sie nur an einige davon: Terrorismus, starker Franken, die lang ersehnte Umfahrungsstrasse für unser geliebtes Dorf.

Was hat uns der erste August dazu zu sagen? Tell mag ein Mythos sein, seine Botschaft ist umso lebendiger. Ich sage nur: Hätten wir mehr Winkelriede, die den ihren heldenmutig eine Gasse bahnen würden–dann, ja dann, müsste unser FC Dörflingen nicht um den Ligaerhalt zittern. Nehmen wir uns das zu Herzen: Fragen wir uns lieber nicht, was Dörflingen noch für uns tun kann, sondern was wir für Dörflingen tun können.

Stolz dürfen wir ruhig sein auf Dörflingen und die Schweiz. Manch grosse Nation beneidet uns um Roger Federer–und um den Klosomaten Made in Dörflingen. Und «Des einen Neid, ist des anderen Stolz», wusste schon Albert Anker, der grosse Dichter und Denker.

Stolz, aber nicht hartherzig, wollen wir sein. Vielmehr dankbar und froh, weil wir hier zu Hause sind und sein dürfen. Denn wo man zu Hause ist, da ist Heimat. Und Heimat ist ein Geschenk und eine Verpflichtung, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Nur wer verwurzelt ist, ist auch stark genug, mit offenen Armen fremde Menschen zu empfangen.

So wie wir letztes Jahr im Rahmen der Fusion die Kafflinger in unserer Gemeinde aufgenommen haben, wollen wir auch anderen Heimatlosen und Vertriebenen zum Hort der Menschlichkeit werden. Sofern sie sich integrieren. Und nicht zu viele sind. Und wenn der Kanton im Gegenzug endlich die Gelder für die Umfahrungsstrasse spricht. Denn wenn das Fuder überladen ist, läuft das Fass über, und der Karren bleibt im Dreck stecken.

Doch genug der Worte. Alles hat ein Ende, auch diese Rede. Nur die Wurst hat zwei, und die gilts jetzt beim Schopf zu packen. Liebe Dörflingerinnen, liebe Dörflinger, der Grill ist eröffnet.