FC Europa

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 17. Juni 2016

«Bereits 59 Minuten hat Europa gespielt. Wie sieht es aus?» – «Europa schwächelt. In der ersten Halbzeit hat es besseren Fussball gezeigt. Etwas technokratisch zwar. Aber erfolgreich. Kamen ja auch ständig frische Spieler dazu. Aber jetzt, wo an allen Fronten Druck gemacht wird, zeigt sich, dass Europa schlecht aufgestellt ist.»

«Die Osteuropäer versuchen es mit Mauern.» – «Genau, der Österreicher, der Ungare, der Kroate und der Pole decken die Südostflanke.» – «Kann Europa so gewinnen?» – «Kaum. Jetzt muss einfach der Italiener mit dem ganzen Ansturm fertig werden. Der hat langsam die Schnauze voll.» – «Übrigens, wo ist eigentlich der griechische Abwehrspieler?» – «Verletzt. Die anderen hielten ihn für zu faul, darum nahmen sie ihn hart ran. Und jetzt kann er sich nicht mehr alleine auf den Beinen halten.» – «Und was macht der Deutsche im Sturm?» – «Der behauptet, sie schaffen das.»

«Wo bleibt denn da das Zusammenspiel?» – «Ich kann keines erkennen.» –« Und Taktik?» – «Auch nicht.» – «Aber der Trainer muss doch eine Methode haben?» – «Es gibt 28 Trainer und 28 Methoden. Die haben alles schon probiert: Neoliberalismus, Populismus …» – «Und wieso funktioniert’s nicht?» – «Fussball ist ein Mannschaftssport. Mit lauter Egoisten auf dem Feld gewinnst du keinen Blumentopf. Und die Fans stehen nicht hinter dem Team, das gar keines ist.» – «Woran liegt das?» – «Wer ständig über die Köpfe der Fans hinwegflankt, kann nicht deren Herz treffen.»

«Ich sehe da grad was. Ist das nicht der Brite? Was macht der Brite da am Spielfeldrand?» – «Der fragt die Fankurve, ob er weiterhin mitspielen soll.» – «Aber das ist doch Wahnsinn, wenn mitten im Spiel ein Spieler vom Feld geht. Dann bricht doch der ganze Spielaufbau zusammen.» – «Welcher Spielaufbau? Ich kann keinen erkennen.» – «Ja aber, trotzdem.» – «Es hat ja genügend Kandidaten auf der Ersatzbank, die mitspielen möchten. Der Türke wärmt sich schon auf.» – «Der hält sich aber nicht an die Regeln. Ein übler Foulspieler.» – «Aber er ist stark in der Verteidigung. Wenn der will, kommt keiner durch.»

«Apropos: Was sind das für Männer, die über die Flanke aufs Spielfeld eindringen? Die nehmen den Ukrainer in die Zange. Die dürfen das nicht, die haben ja gar keine erkennbaren Trikots an.» – «Der Russe dementiert, dass es seine Hooligans sind.» – «Wer ist es dann?» – «Natürlich russische Hooligans. Hybrider Fussball nennt sich das.» – «Und wieso macht die europäische Abwehr nichts?» – «Die muss anderswo mauern. Und der Russe liefert das Gas, um die Spielerkabinen zu heizen. Und seine Hooligans haben atomare Knüppel.» – «Europa hat also Schiss? Und wie soll das weitergehen?» –« Ich würd sagen, wenn Europa bis zum Schlusspfiff durchhält, dann hat es schon gewonnen.»

Ein Blümchen für die Ewigkeit

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 14. Juni 2016

Isländer sind rar. Was daran liegt, dass auch Isländerinnen rar sind. Deshalb hat ganz Island in einem einzigen Telefonbuch Platz, das nicht grösser ist als das des Kantons Freiburg. Noch rarer als Isländer sind nur Fans der isländischen Nationalelf, vor allem in der Schweiz. Und darum sind die Nordmänner meine Mannschaft an der Euro.

Ich bin nämlich aus Prinzip für die Aussenseiter. Die können einen nicht enttäuschen, sondern nur positiv überraschen. Und die Isländer sind die perfekten Underdogs: Sie haben sich in den letzten Jahren auf der Weltrangliste vom hoffnungslosen Platz 112 auf Platz 32 hochgekickt, und jetzt sind sie zum ersten Mal in einem Panini-Album drin. Also ich trau den so ziemlich alles zu.

Jedenfalls werde ich mir alle Spiele der Isländer anschauen, draussen auf meinem Balkon, den meine Kinder mit selbst gemalten isländischen Flaggen dekoriert haben (die sieht übrigens gleich aus wie die norwegische, einfach mit vertauschten Farben). Und wenn im Stadion der «Lofsöngur» erklingt, die isländische Nationalhymne, dann erhebe ich mich und singe inbrünstig mit. Ab Blatt. So dass der Fasnachts-Wikingerhelm auf meinem Kopf wackelt. Auch wenn der Text noch klebriger ist als der religiöse Sirup des Schweizerpsalms. Aber dafür kommt diese schöne Zeile vor: «ein Blümchen der Ewigkeit mit zitternden Tränen». Und immerhin gibt es keine brennenden Herzen wie bei Gustavs EM-Song.

Und dann werde ich den Atem anhalten vor Schreck, wenn Hannes Halldorsson die Angriffe auf sein Tor pariert, und ich werde mitfiebern, wenn Ragnar Sigurdsson den Ball zu Johann Gudmundsson schiesst und dieser den Ball an den Gegnern vorbeidribbelt, rüber zu Theodor Elmar Bjarnason. Und wenn dann Kolbeinn Sigthorsson–da steckt das Siegtor ja schon im Namen!–den Ball im gegnerischen Tor versenkt, wird mein einsamer Torjubel von den Nachbarhäusern widerhallen. Gut, der Auftakt gegen Portugal am Dienstag ist natürlich happig. Als würde der FC Richemond gegen Barcelona antreten, so fühlt sich das an. Gut möglich, dass die elf -sons am Schluss der Partie als zitternde Blümchen mit ewigen Tränen vom Spielfeld gehen. Aber insgeheim hoffe ich ja, dass die wilden Isländer die Portugiesen vom Platz fegen. Und dann, das schwöre ich bei meiner Wikingerseele, schwinge ich mich auf mein Velo und mache einen Klingel-Corso durchs Quartier – vorbei an meinen entgeisterten portugiesischen Nachbarn.

Nur etwas lasse ich sein: Das isländische Essen schenke ich mir. Bei aller Sympathie, schwarz geräucherter Schafskopf, fermentierter Hai oder in Molke eingelegte Hammelhoden – das muss nicht sein.

Fussballversteher

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 11. Juni

«Meine Frau und Fussball, also bei aller Liebe, die checkt den Puck einfach nicht. Weisst du, wie oft ich ihr schon die Jenseitsregel erklärt habe?»
«Wem sagst du das. Meine Frau fragt auch bei jedem Zehnmeter, was denn daran nun faul sei.»
«Das ist gar nichts. Wenn ich nach dem ersten Drittel pinkeln gehe, meint sie immer, das Spiel sei schon fertig. Dabei müsste sie doch langsam wissen, dass so ein Match über drei oder vier Sätze geht. Je nach Wind.»

«Dafür weiss meine alles über die Freundinnen, Frauen und Frisuren der Spieler. Ex und aktuell. Hat sie aus diesen Heftli beim Coiffeur.»

«Die würden besser mal Fachliteratur lesen. Auch aus Respekt uns gegenüber. Slapshot zum Beispiel. Oder Cavallo. Dann wüssten sie auch endlich, wieso die Jury beim Fussball eine Trillerpfeife hat und keinen Buzzer wie bei DSDS.»

«Die Jury hat doch gar nichts zu sagen. Was zählt, ist einzig das Publikumsvoting.»

«Scheiss-Publikumsvoting. Switzerland Zero Points. Darum kommt die Schweiz nie weiter. Weil sich die Osteuropäer gegenseitig die Stimmen zuschanzen. Da hast du als blockfreies Land natürlich die Arschkarte gezogen.»

«Dabei sind wir spielerisch top. Hast du neulich Shakiris Rückhand gesehen? Am 18. Loch? Ein Träumchen.»

«Und erst der Backside Triple Cork, den Sommer im Sturm drauf hat. Dabei ist der doch Abfahrtsspezialist.»

«Weisst du, was ich an dir schätze? Dass man mit dir ungeniert fachsimpeln kann. So ein Fussballgespräch macht einfach mehr Spass, wenn das Gegenüber was vom Spiel versteht. Mit meiner Frau ist das immer total einseitig. Kindergartenmässig. Du erklärst alles dreimal–und sie versteht trotzdem nichts.»

«Dafür sind Freunde doch da.»

«Aber wieso unseren Frauen das Verständnis für Fussball völlig abgeht, verstehe ich trotzdem nicht. An uns kann es ja nicht liegen.»

«Meine wollte allen Ernstes wissen, ob es im Fussball noch andere Gangarten gibt ausser Trippeln.»

«Scharren, stampfen, tämpelen, täubelen und schwälbelen–ist doch sonnenklar.»

«Habe ich ihr auch gesagt. Lieber eine Schwalbe auf dem Platz, als ein Ball im Netz. Hat sie nicht verstanden.»

«Frauen halt.»

«Aber weisst du, was das Beste ist? Neulich wollte meine Frau wissen, wieso bei der aktuellen Weltmeisterschaft eigentlich nur Europäer mitspielen.»

«Stimmt doch gar nicht, wir sind ja auch dabei. Und die Türken. Und die Russen.»

«Hab ich ihr auch gesagt. Und schliesslich können wir ja auch nichts dafür, dass die Südamerikaner so schlecht Fussball spielen.»

Interreligiöse Toiletten

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 21. Mai 2016

Es gibt Frauen. Es gibt Männer. Und es gibt Menschen. Menschen, die als Frau zur Welt gekommen sind, sich aber als Mann fühlen. Und Menschen, die eine Frau sein möchten, auch wenn sie einen Männerkörper haben. Und Menschen, die nicht so recht wissen, was von beidem sie gerade sind. Die Geschlechterfrage kann ganz schön kompliziert sein.

Die Amerikaner müssen es natürlich noch unnötig komplizieren. Der US-Staat North Carolina hat kürzlich ein Klo-Gesetz erlassen, das Transsexuelle dazu zwingt, nur jene öffentlichen Toiletten zu benutzen, die dem Geschlecht entsprechen, das in ihrer Geburtsurkunde eingetragen ist. Zu Recht gab es deswegen einen veritablen Fäkal-Orkan.

Dabei liesse sich die Sache doch ganz entspannt angehen: mit Unisex-Toiletten. Die funktionieren ja im Zug und im Flugzeug bereits wunderbar. Dann könnte man auch gleich die Pissoirs rausreissen, denn mal ehrlich: Wer auf Zielübungen steht, der sollte zur Feuerwehr. So ein Strahlrohr hats übrigens auch nie mit der Prostata.

Und wieso nicht gleich auch interreligiöse Toiletten schaffen? Ob schwuler Muslim, Hetero-Christin, transexueller Buddhist oder asexueller Helene-Fischer-Fan–wer muss, der darf. Und mit einem Schlag wären alle Diskriminierungen wegen Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung und schlechtem Musikgeschmack weggespült.

Denn wenn wir friedlich zusammenleben wollen, müssen wir nicht die Unterschiede betonen, sondern das Verbindende suchen. Und was ist der kleinste gemeinsame Nenner? Dass alle mal müssen. Das interreligiöse Klo wäre der ideale Ort, um Vorurteile aller Art zu überwinden. Denn wo alle die Hosen runterlassen, kommt der Mensch zum Vorschein. Und der ist immer nackt. Was auch metaphorisch gemeint ist.

Man stelle sich die Szene vor: Da sitzt im mittleren Kabäuschen ein Muslim. Leicht geniert flüstert er nach rechts: «Bruder, hast du mal Klopapier? Bei mir ist alle.»

«Ich bin kein Bruder, sondern eine Schwester, auch wenn ich Herrenschuhe trage», tönt eine sonore Bassstimme zurück. «Kannst du dafür mal links fragen, ob jemand einen Tampon hat?»

Worauf aus dem dritten Kabäuschen ein Tampon geflogen kommt mit dem Kommentar: «Ich hab zwar die Tage, fühl mich heute aber eher als Mann. Und teilen ist gut fürs Karma.» Und draussen wartet der Atheist sehnsüchtig auf Erlösung. Es wäre ein heilsamer Schock für alle. Und uns würden die Augen dafür aufgehen, dass wir trotz Unterschieden alle Menschen sind – die mal müssen. Die Welt wäre eine bessere mit solchen Klos.

Nur eine Regel gälte übrigens auf der interreligiösen Toilette: Alle, ausnahmslos alle, waschen sich die Hände.

10 Gründe, warum ich Listen hasse

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 14. Mai 2016
1. Listen machen uns glauben, das Chaos der Welt liesse sich bändigen, wenn wir es sortieren und mit Aufzählungszeichen versehen. Was natürlich Quatsch ist. Das Leben ist keine Powerpoint-Präsentation, sondern «ein Märchen, erzählt von einem Dummkopf, voller Klang und Wut, das nichts bedeutet». Mit Listen ist dem nicht beizukommen. Höchstens mit List und Schalk und Liebe. Das wusste schon Shakespeare – der übrigens auf der Liste meiner Lieblingsengländer ganz oben steht. Das aber nur so nebenbei.

2. Listen erwecken den Eindruck, der Verfasser habe sich beim Schreiben wahnsinnig viel Gedanken gemacht. Hat er nicht. Wer Listen schreibt, ist zu faul, um einen zusammenhängenden Text zu schreiben. Oder zu blöd. Oder beides.

3. Jede Liste ist ein Imperativ: Diese 10 Bücher musst du gelesen haben! 1000 Dinge, die man getan haben muss, bevor man stirbt! Du musst noch Brot kaufen! Ich lasse mir nicht gerne vorschreiben, was ich zu tun habe, schon gar nicht von Listenschreibern. Wieso? Siehe Punkt 2.

4. Die ersten drei Punkte einer Liste sind meist lustig und interessant. Manchmal kriegt man sogar ein Shakespeare-Zitat serviert, das man noch nicht gekannt hat. Aber spätestens bei Punkt 4 kommt der erste Durchhänger. Weil der Listenmacher zu blöd ist, um das Niveau zu halten. Oder zu faul. Oder beides.

5. Punkt 5 ist auch nicht besser als Punkt 4. Aber weil halt zwischen Punkt 4 und Punkt 6 auch ein Punkt 5 hingehört, steht hier eben einfach irgendetwas. So stupide sind Listen.

6. Listen bieten nicht alles Wichtige auf einen Blick, sie verstellen uns vielmehr die Sicht auf das, was wirklich wichtig ist – nämlich alles andere.

7. To-do-Listen sind wie die Hydra: Kaum hat man eine Aufgabe erledigt, schwupps, stehen auch schon wieder zwei neue drauf. Wie hat das Herkules schon wieder hingekriegt? Muss ich nachlesen. Also schreib ich’s auf meine To-do-Liste. Arrggg.

8. Wunschlisten funktionieren umgekehrt: Je mehr man draufschreibt, umso weniger davon kriegt man. Arrggg.

9. Listen haben fast immer zehn, hundert oder tausend Punkte. Als gäbe es immer nur eine runde Zahl wichtige Dinge zu sagen. Total plemplem. Ich persönlich fände eine Liste mit nur einem Punkt toll. Denn dann wäre es keine Liste mehr. Sondern ein gutes Argument.

10. Obwohl Listen Humbug sind, lieben die Leute sie. Und lesen jede Liste bis zu Ende. So wie Sie gerade. Trotz dem unvermeidlichen Durchhänger bei Punkt 4. Wahrscheinlich in der Hoffnung, dass am Schluss noch eine tolle Pointe kommt. Aber da kommt nichts. Nie. Und trotzdem fallen die Leute immer wieder auf Listen rein. Es ist deprimierend.

Krebse erregen

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 3. Mai 2016

«Hast du auch gelesen, dass Sonnencrème Männer unfruchtbar machen kann? Das haben dänische Forscher herausgefunden.»
«Dann brauchst du halt keine Sonnencrème mehr.»
«So kriegst du aber Hautkrebs.»
«Gehst halt nicht mehr an die Sonne.»
«Ich will doch keinen Vitamin-D-Mangel. Damit ist nicht zu spassen.»
«Trinkst halt ein Bier. Da.»
«Hab gar nicht gewusst, dass es da Vitamin D drin hat.»
«Hat’s auch nicht. Tut trotzdem gut. Prost!»

«Prost! Wobei, war da nicht diese Geschichte mit dem Glyphosat im Bier?»
«Glypho-was?»
«Glyphosat. Ein Unkrautvernichtungsmittel. Wahrscheinlich krebserregend.»

«Na Prost, jetzt wollen diese Gesundheitsapostel uns auch noch das Bier vermiesen. Die Würste haben sie uns ja auch schon madiggemacht, weil die krebserregende Stoffe drin haben.»

«Und Pommes. Und Chips. Und zu stark gegrilltes Fleisch. Und Bitterschokolade. Kann alles Krebs erregen, sagen die Forscher.»

«Bitterschokolade?»

«Ja, vor allem Kakao aus Südamerika enthält oft viel Cadmium. Und im Reis aus China hat’s zu viel Arsen drin. Auch krebserregend. Eigentlich kannst du gar nichts mehr bedenkenlos essen.»

«Wobei, manchmal frage ich mich ja schon, woher die Forscher so genau wissen, was Krebse erregt. Ich meine, zeigen die den Krustentieren unanständige Bilder, und wenn denen die Schere schwillt, machen die Forscher ein Häkchen, oder was?»

«Wie bitte?»

«Apropos: Weisst du, wie man Crevetten anmacht? Nein? Mit Mayonnaise natürlich. Haha.»

«Hör auf, ich meine es ernst.»

«Was macht einen Hummer heiss? Kochendes Wasser. Und wie machst du eine Languste scharf? Mit Chilli-Sauce. Haha.»

«Ich finde diese ganzen Gifte in unserem Essen total schlimm. Und du machst nur doofe Witze.»

«Tut mir leid. Das sind die Weichmacher. Die greifen das Gehirn an.»

«Echt jetzt?»

«Echt.»

«Es ist doch krank, wie wir unsere Welt vergiftet haben: Feinstaub und Ozon in der Luft, Blei im Boden, Dioxin, Phtalate, PCB in den Fischen …»

«… und AfD und hoch dosierte SVP in der Politik. Wirklich schlimm.»

«Vielleicht wäre es besser, gar keine Kinder mehr auf diese kranke Welt zu stellen.»

«Da kann ich dir helfen. Hast du Sonnencrème? Ich reib dir gerne den Rücken ein.»

Offshore für Nichtschwimmer

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 12. April 2016

Steht Ihr Name auch drin? In den Panama-Papieren? Nicht? Dann herzlich willkommen im Klub der finanziellen Underachiever. Es ist ja gleich doppelt ungerecht: Die Reichen sind nicht nur unglaublich viel reicher als unsereins, sie wissen auch, wo sie ihre Millionen vor dem Fiskus verstecken können. Unser Geld muss für einen Hungerzins arbeiten, deren Geld kann es sich leisten, Urlaub in Mittelamerika zu machen.

Aber Rettung ist nah: Ich habe nämlich eine Briefkastenfirma gegründet–für Leute wie Sie und ich. Und weil Panama ziemlich weit weg ist, hat die Firma ihren Schlitz in Villars-sur-Glâne. Das ist die Gelegenheit, seine Fränkli so anzulegen, wie es die Reichen tun. Quasi Offshore für Nichtschwimmer, ein Steueroptimierungsvehikel für den soliden Kleinbetrüger, der ideale Platz, um sein hart erarbeitetes Schwarzgeld zu parkieren.

Es funktioniert ganz einfach. Nehmen Sie den Fünferbus Richtung Nuithonie und steigen Sie bei der Haltestelle Chênes aus. Jeweils mittwochs um 14 Uhr steht dort ein kleiner Junge, der auf den Namen Janosch hört. Wenn Sie das Losungswort nennen («Oh, wie schön ist Panama»), nimmt Janosch sie an der Hand und führt sie zu einem Briefkasten, auf dem mein Name steht. Und schon sind sie in Panama.

Falls Janosch grad Pinkelpause macht oder keine Lust hat, Ihnen den Weg zu zeigen, folgen Sie einfach den anderen Gestalten, die–den Panama-Hut tief ins Gesicht gezogen–betont unauffällig durchs Quartier streichen und den Briefkasten suchen. Ein kleiner Tipp: Er hat einen Tigerenten-Aufkleber drauf.

Den Kasten gefunden? Dann werfen Sie einfach Ihr Geld in einem Umschlag rein. Bitte achten Sie darauf, dass weder Name noch Adresse auf dem Couvert stehen. Schliesslich soll das Geld ja auf keinen Fall zu Ihnen zurückverfolgt werden können. Oder?

Übrigens: Das Steueramt hat keinen Schimmer, dass meine Briefkastenfirma existiert. Selbst wenn die Steuerfahnder diese Kolumne lesen, halten sie sie für einen Scherz. Nur Sie und ich wissen, dass es keiner ist. Die Wahrheit ist die beste Tarnung. Die glaubt nämlich niemand.

Achten Sie bitte darauf, dass nur Umschläge mit maximal 10 000 Franken durch den Schlitz passen. Grössere Summen müssen Sie im Paketfach deponieren–auf eigene Verantwortung. Ist das Geld im Kasten, können Sie mit dem Hochgefühl nach Hause gehen, jetzt auch im Offshore-Geschäft mitzumischen. Und Ihr Geld? Das ist bei mir absolut sicher versteckt. Das findet niemand: Nicht die Steuerfahnder, nicht die neugierigen Medien, nicht Ihre Frau.

Nicht mal Sie selber.

Oh, wie schön ist Panama.

Leben ist Sport genug

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 5. April 2016

«Vielleicht», sagt mein Freund und greift in die Chips-Schale, «vielleicht wäre es doch langsam an der Zeit, mit Sport anzufangen. So mit 40.»

«Wie wärs mit Joggen? Das machen jetzt alle», sage ich und schenke Wein nach.

«Auf keinen Fall. Total schlimm für die Gelenke. Und wenn du es regelmässig machst, wirst du süchtig nach den Endorphinen. Und irgendwann bist du eines dieser freudlosen Marathon-Männchen mit Streichholzbeinchen, die behaupten, 42 Kilometer zu seckeln sei ein Ausgleich zu ihrer 70-Stunden-Woche.»

«Dann halt Nordic Walking», schlage ich vor.

«Das ist doch nur für Frauen», sagt er und nimmt einen kräftigen Schluck Wein. «Wie Joggen; einfach so langsam, dass man dazu noch plaudern kann. Ein mobiles Kaffeekränzchen–mit Stöcken.»

«Velofahren?», probiere ich es und hole die Wasabi-Nüsschen, weil die Chips alle sind.

«Sich die Pässe hochquälen, eingenäht in einen neongelben Kunstdarm? Und sich von der Rentnergruppe demütigen lassen, die freundlich grüssend mit dem E-Bike vorüberzieht? Ganz habe ich meine Selbstachtung noch nicht verloren.»

«Ich hab früher in der Schule Fussball gespielt; so plauschmässig wär das vielleicht was für dich.»

«Kennst du die Suva-Statistik nicht? Grümpelturniere sind das Schlachtfeld des Ü40-Mannes, wo Selbstüberschätzung und mangelnde Fitness ins blutige Fiasko führen. Ich sag nur ‹FC Blutgrätsche› gegen die ‹Gerissenen Bänder›.»

«Dann eben Aquafit, da zerrst du dir sicher nichts.»

«Das ist so was von 60 Plus. Mache ich nur, wenn mich der Arzt dazu zwingt. Und auch dann nur mit dem Kopf unter Wasser, bis ich das Bewusstsein verliere und sie mich aus dem Becken zerren und aus dem Kurs werfen müssen.»

«Golf?» – «Zu teuer.» – «Minigolf?» – «Zu billig. Kein Prestige.»–«Dann bleibt aber nicht viel übrig», sage ich.

«Eigentlich nur eines. Seinen körperlichen Zerfall nicht krampfhaft aufhalten zu wollen – sondern hinzunehmen.»

«Ihn vielleicht sogar zu beschleunigen?», schlage ich vor und fülle die Gläser nach. «Unbedingt», stimmt er zu. «Und ihn zelebrieren. Das Nichtstun als Protest gegen den allgegenwärtigen Fitness-Terror.»

«Der Faulenzer als heiliger Ketzer wider das ungesunde Dogma der permanenten Körper-Optimierung.»

«Mein Bauch gehört mir, nicht dem Fitnessstudio.»

«Leben ist Sport genug.»

«Und euren Grünkohl-Smoothie könnt ihr euch sonst wo hinstecken.»

«Das könnte man vielleicht sogar wettkampfmässig betreiben», kommt es mir spontan in den Sinn. «Dann müssen wir aber unbedingt härter trainieren», sagt mein Freund. «Hast du noch eine Flasche?»

Jugendsünde

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 8. März 2016

«Ich bin immer noch baff, dass du so was gemacht hast», sage ich und schaue meine Frau ungläubig an. «Ich war jung, und ich brauchte das Geld», sagt sie.

«Trotzdem», entgegne ich.

«Das haben doch viele gemacht. War eben ganz praktisch als Studentin, um abends noch was dazuzuverdienen.»

«Und wieso hast du mir nie etwas davon erzählt?»

«Waren ja nur drei Monate. Bis ich was Anständiges gefunden hatte.»

«Und wie viele hast du denn so gehabt, pro Abend?», frage ich beiläufig.

«Das interessiert dich jetzt natürlich wieder.»

«Ich frag ja nur.»

«Wir hatten im Team einen Wettbewerb am Laufen, wer am meisten Nummern schafft pro Schicht. Aber das kam natürlich ganz drauf an. Mit den Jungen ging es immer gleich zur Sache. Keine fünf Minuten, da war es auch schon durch.»

«So schnell?»

«Ja, aber mit den Alten dauerte es ewig. Die wollten immer reden, reden, reden.»

«Das macht die ganze Sache ja immerhin etwas menschlicher», sage ich.

«Ist aber schlecht fürs Geschäft. Darum hat sich die Chefin eingeschaltet, wenn es zu lange dauerte.»

«Die Chefin?»

«Die hat mitgehört. Und nach 15 Minuten hat sie dich sanft dazu gebracht, die Sache abzuklemmen.»

«Das ist ja abartig.»

«So läuft das Business.»

«Also ich hätte das nicht gekonnt, mit wildfremden Menschen. Da wäre ich viel zu gehemmt gewesen.»

«Das machte ja den Reiz aus. Gut, am Anfang brauchte das schon ein bisschen Überwindung, aber wenn ich heute als Lehrerin vor einer Klasse stehe, kommt mir zugute, was ich damals gelernt habe.»

«Und wie ging das denn so?»

«Streng nach Protokoll.»

«Da gibts ein Protokoll?»

«Klar, aber du musstest dich natürlich auch in dein Gegenüber einfühlen können. Die waren ja häufig nicht in Stimmung und sagten erst mal Nein. Aber du hast bald gemerkt, dass die eigentlich gar nicht Nein meinten.»

«Echt?»

«Dann hast du sie ein bisschen bearbeitet, ein bisschen gebohrt, und schon gings.»

«Das wäre nichts für mich gewesen.»

«Hast du eine Ahnung. Deine Stimme klingt sexy. Das ist schon die halbe Miete. Wir hatten mal eine St. Gallerin. Die lispelte auch noch. Die blieb keine zwei Wochen. Mit der wollte keiner.»

«Und dir, ging dir das Ganze nie gegen den Strich?»

«Im Lebenslauf würde ich das jetzt nicht unbedingt aufführen, aber was hätte ich denn tun sollen? Zum Kellnern fehlte mir einfach das Talent.»

«Schon. Aber Telefonmarketing? Das ist nun wirklich das Allerletzte.»

Spannend

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 3. März 2016

Gutmensch ist das Unwort des Jahres. Sicher eine begründete Wahl, aber ich hab ein ganz anderes Wort auf der Latte: spannend. Das breitet sich aus wie der Kotzkäfer im Kinderlager nach einem verdorbenen Schoggimousse. Früher war höchstens der Dienstagabend-Krimi spannend – zumindest manchmal. Heute ist plötzlich alles spannend: die Gespräche, das Essen, sogar der Sex. Dabei ist «spannend» ein Feigling und ein falsches Luder. Denn meistens meinen wir etwas ganz anderes, wenn wir das Wort in den Mund nehmen.

Da ist man zum Beispiel aus Versehen in einer Vorführung zeitgenössischer Experimentalmusik gelandet, auf der Bühne traktiert ein Mann ein verstimmtes Klavier mit einem Elektroschocker, während in einer Endlosschlaufe das Röhren brünstiger Hirsche im Fünf-Achtel-Takt ertönt. In der Pause fragt man die Sitznachbarin aus purer Höflichkeit, wie es ihr denn so gefalle. Sie schaut einen entgeistert an und meint dann: «Spannend, nicht wahr?» Man selber ist sich nicht zu blöde, zu antworten: «Ja, ganz interessant. Mal was anderes.» Und dann geht man gemeinsam zur Bar, kippt ein Cüpli hinter die Binde und hofft, dass die Hirsche im zweiten Teil ihre Lust befriedigt haben.

Was man wirklich hätte sagen wollen ist: «Nennen Sie mich einen Banausen, aber ich finde es unerträglich.» Und die Sitznachbarin hätte geantwortet: «Ich mag Mozart lieber, der konnte wenigstens noch Melodien schreiben.» Aber man getraut sich nicht, ehrlich zu sein, weil man sich keine Blösse geben will. Der andere könnte ja was von moderner Musik verstehen. Oder mit dem Klavier-Schänder verheiratet sein.

Neulich fragte mich ein Kollege, was ich denn vom drohenden Brexit halte. Und wissen Sie, was ich blitzschnell geantwortet habe? «Das wird auf jeden Fall spannend.» Aus purer Verlegenheit, weil mir partout kein gescheiter Exkurs zur institutionellen Weiterentwicklung der EU im 21. Jahrhundert einfallen wollte.

Oder wie oft hat Ihr Chef einen Ihrer Vorschläge schon quittiert mit «spannend, interessant»? Und was ist dann daraus geworden? Nichts. Eben.

«Spannend» ist ein Unwort, das wir aus reiner Verlegenheit benutzen und hinter dem wir alles Mögliche verstecken: Unsere Ignoranz, unsere Abneigung, unser Desinteresse. Wir halten es für höflich, «spannend» zu sagen, statt Quatsch. Aber dadurch verliert das Wort jeden Wert – und darum verbanne ich es ab sofort aus meinem Sprachgebrauch. Wenn mir was nicht gefällt, sage ich das. Wenn ich was nicht verstehe, stehe ich zu meiner Unwissenheit. Und wenn ich zu etwas keine Meinung hab, schweig ich halt.

Mal sehen, wohin das führt.

Ich glaube, das wird ziemlich spannend.