Politische Merksätze (morgens und abends zu verinnerlichen)

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 25. November 2016

1. Wenn es dir schlecht geht, liegt das nicht an denjenigen, denen es noch schlechter geht als dir.

2. Dir ginge es gut, ginge es den anderen besser. (frei nach Mani Matter)

3. Elite ist nichts Schlechtes. Oder wieso bewunderst du Roger Federer, vertraust dein Auto nur dem Garagisten an und nicht dem Lehrling und bestehst darauf, vom Chefarzt persönlich operiert zu werden?

4. Diejenigen, die am lautesten gegen die «Elite» wettern, gehören oft selber dazu. Was aber nicht heisst, dass Selbstkritik zu ihren Stärken gehört.

5. Das Volk ist ein Märchen. Wer vorgibt, die Interessen des Volkes zu vertreten, ist doch nur Partei. Mit eigenen Interessen.

6. Wut ist das eine, Verantwortung etwas anderes.

7. Werde Mutbürgerin.

8. Habe keine Angst. Aber fürchte dich vor denen, die die Ängste ernst nehmen, die sie selber geschürt haben.

9. Lass dich von niemandem als «Gutmenschen» verhöhnen. Sei einer.

10. Lügen haben flinke Beine, die Wahrheit geht an Krücken. Nimm dir Zeit – und lies Zeitung.

11. Man muss nicht immer alles sagen können dürfen. Das wird man wohl noch sagen dürfen.

12. Steuersenkungen sind keine politische Vision, sondern eine fixe Idee. Mit fatalen Folgen.

13. Wenn wir wollten, wir könnten. Zum Glück gibt es den Anstand. Der hält uns zurück.

14. Misstraue Merksätzen. Auch diesem.

Üpsilon

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 24. November 2016

Das Ypsilon ist der Rätoromane unter den Buchstaben. Beide kommen sehr, sehr selten vor. Manchmal begegnet man tagelang keinem. Im Gegensatz zum Rätoromanen geniesst das Y aber keinen Sympathiebonus und hat auch keine Lobby. Es fristet ein trostloses Leben; eingeklemmt zwischen dem X – das zwar in deutschen Texten noch seltener vorkommt als das Y, sich diesem aber trotzdem überlegen fühlt und es als «Krüppel-X» mobbt, weil es selber zwei X-Beine hat, das Y aber nur einbeinig umherstelzt, wenn auch kerzengerade – und dem Z, das immer das letzte Wort haben muss.

An zweitletzter Stelle im Alphabet steht das Y auf verlorenem Posten. Von den über 1200 Seiten des Dudens gehört gerade mal eine Seite Wörtern, die mit Y beginnen. Es sind zweifellos schöne Wörter dabei: Yogalehrer Yusuf lädt Yvonne aus Yverdon mit Yorkshireterrier Yggdrasil auf seine Yacht Yankee. Es gibt Yak mit Yamswurzeln und Ysop und ein Yo-Yo-Filmchen auf Youtube. Yippie! Aber dann ist auch schon fast Schluss.

Das wirklich Tragische am Ypsilon aber ist, dass es eigentlich gänzlich überflüssig ist. Eine Erfindung der Griechen, auf die wir getrost verzichten könnten, genauso wie auf den Retsina. Denn das Ypsilon liesse sich problemlos durch ein I, ein J oder ein Ü ersetzen. Der Jeti würde dann Parti auf Sült machen. Und Ypsilon schriebe sich Üpsilon. Wobei, wenn man es nicht mehr bräuchte, müsste man ja auch kein Wort mehr dafür haben.

Gebraucht, ja vielleicht sogar geliebt wird das y eigentlich nur von den Mathematikern, und zwar gleichermassen wie das x – und das ist eine tröstliche Konstante im Leben dieser oft gering geschätzten Variablen.

Und da sind ja auch noch die Sensler. Auch sie kommen selten vor, eingeklemmt zwischen Bernern und Welschen – und vielleicht pflegen sie deshalb ein geradezu obsessives Verhältnis zum Ygregg. Als müsste zwischen Schwarzsee und Sensegraben das Unrecht, das die deutsche Sprache dem Ypsilon antut, wiedergutgemacht werden, werfen die Senslerseienden (oder wie lautet die genderneutrale Formulierung schon wieder?) mit dem Ypsilon nur so um sich; ihre Sprache ist mit Üpsilönern getränkt, als hätte sie zu viel Retsina gesoffen. Wùy u ay – überall ist das Y drin, gerne auch gleich zweimal hintereinander. Ja, die Sensler haben auch keine Mühe, gleich vier Y in ein Wort zu packen, das ist für sie gar nicht «dyfyssyyl»*.

Ich vermute mal, das ist genetisch bedingt. Wegen diesem, wie heisst es gleich noch mal? Ah ja, ich habs: Y-Chromosom.

Ich krieg die Tage

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 19. November 2016

Heute (19. November) ist der Welt-Toiletten-Tag. Kein Scheiss. Den gibt es seit 2001. Und er soll uns dreilagig-verwöhnte Wasserspüler und Popo-Föhner daran erinnern, dass es fast der Hälfte der Menschen dreckig geht, weil sie keine anständigen Klos haben. Und wenn Sie das jetzt stinkig macht und Ihnen eine Laus über die Leber kriecht – keine Sorge, morgen Sonntag ist zum Glück der Deutsche Lebertag, da können Sie das checken lassen. Damit Sie fit sind fürs Komagucken am Montag, dem Welttag des Fernsehens. Am Dienstag heisst es dann «Blockflöten raus» für den Tag der Hausmusik. Und so geht es immer weiter. Tag für Tag. Voll der Stress. Da bleibt gar keine Zeit mehr zum Tagträumen und für Tagediebereien.

Jeder Tag ist ein «Tag» – ein Tag des Gedenkens, des Sensibilisierens, des Mahnens, der Vorsorge und der Aufklärung. Und man kann sich schon fragen, ob das was bringt. Freiburg zum Beispiel hat einen Tag der Zweisprachigkeit – und 364 Tage Mühe damit.

Gibt es eigentlich einen Welttag des Tages, der kein spezieller Tag ist? Den müsste man glatt erfinden. Könnte ich ja eigentlich. Denn das ist das Tolle an diesen Tagen: Man muss nicht der Papst oder die UNO sein, um sie auszurufen. Die haben das zwar auch schon gemacht, aber jeder kann es. Probieren Sie es aus: Erklären Sie zum Beispiel einen beliebigen Tag zum Tag der unbefleckten Empfängnis, pardon, zum Tag des ungeleckten Empfangs – und ehren Sie damit die selbstklebende Briefmarke.

Es gibt einen Hundetag und einen Katzentag. Mir fehlt der Katertag – idealerweise am 24. April, einen Tag nach dem Tag des Deutschen Bieres. Bis zum Lebertag ist man dann ja wieder ausgenüchtert.

Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf. Denn schon jetzt gibt es nichts, das es nicht gibt: Wer auf Sümpfe steht, freut sich auf den Internationalen Tag der Feuchtgebiete, wer auf Strümpfe abfährt, begeht den Nylon Stocking Day. Und den Tag der verlorenen Socke gibt es auch. Ehrlich. Den Coming Out Day haben wir schon, schön und gut, aber bräuchte es in der heutigen Zeit mit ihrem Flüchtlingselend nicht auch einen Come In Day?

Wenn Ihnen ein Tag zu lang erscheint für Ihr Anliegen, dann probieren Sie es mit einer Stunde. «Die internationale Stunde der Wahrheit», ins Leben gerufen von der Donald-Trump-Stiftung für wahre Lügen. Oder wieso nicht noch kürzer? Wie wäre es mit der «Internationalen Schrecksekunde, in der man meint, neben dem falschen Partner aufzuwachen, aber dann ist es nur der Hund, der sich neben einem ins Bett gelegt hat»?

Aber nicht übertreiben: Das letzte Stündlein möchte ich jedenfalls lieber nicht im Kalender festlegen.

Kasperli for President

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 11. November 2016

So ein Trump als Präsident ist ja auch ein riesiges Erziehungsproblem. Wie soll ich meinen Kindern jetzt beibringen, dass Lügen schlecht ist? Lügen haben kurze Beine, hiess es früher, aber heute tragen sie einen direkt ins Weisse Haus.

Was mühen wir uns als teilzeitarbeitende Eltern damit ab, unseren Kleinen Gleichberechtigung vorzuleben? Sexismus siegt, und Machos regieren. Eigentlich können wir uns Erziehung sowieso sparen, denn offenbar muss man heute nicht über die moralische Stufe eines Dreijährigen hinauskommen, um zum mächtigsten Mann der Welt zu werden. Jähzorn, Trotz, Egoismus – das gilt jetzt als authentisch.

Stehe ich da nicht auf verlorenem Posten, wenn ich meinen Kindern sage, dass die Dinge kompliziert sind – und klare Meinungen häufig das Ergebnis von mangelndem Nachdenken?

Und Trump ist ja leider nicht der einzige politische Gruselclown da draussen. Putin, Erdogan, Assad: Sie führen uns tagtäglich vor, dass es okay ist, den anderen etwas gewaltsam wegzunehmen – die Krim, die Freiheit, das Leben. Solange man stark genug ist, braucht man keine Konsequenzen zu fürchten. Höchstens ein bisschen «Schimpfis». Das ist ihre Botschaft.

Soll ich also die Auseinandersetzungen im Spielzimmer nicht mehr zu schlichten versuchen, sondern einfach eskalieren lassen? Als Vorbereitung fürs echte Leben? Nicht mehr das Liebsein predigen, wenn sich mit Hass Wahlen gewinnen lassen? Meinen Kindern nicht mehr Mut machen, wenn Wut doch so viel besser funktioniert?

Natütterlig nöd. Denn, tri-tra-trallala, tri-tra-trallala, wenn die Welt zum Tollhaus wird und ein Clown Präsident, dann muss eben ein unerschrockener Anarcho-Gutmensch mit Zipfelkappe und Zürischnurre zur neuen moralischen Leitfigur werden. Als Korrektiv zum Schmierenstück Welttheater, das diese Politgrüsel aufführen, spiele ich meinen Kindern nun die alten Kasperli-Platten ab. Zugegeben, Kasperli ist zwar auch ein Grossmaul und notorischer Sprücheklopfer, steht unter Rassismusverdacht, und mit der Frauenvertretung bekundet er ähnlich viel Mühe wie die bürgerliche Allianz in Freiburg – aber im Herzen ist Kasperli ein grundanständiger Kerl, der zuverlässig das Böse bodigt, egal ob den Zwätschge-Räuber, die Hexe Hutzelrock oder den Oberteufel Hörnlimaa. Mit Witz, Mitgefühl und unverwüstlichem Optimismus.

Ich glaube, er wird auch mit Trump fertig. Potz Holzöpfel und Zipfelchappe!

Und darum: Kasperli for President.

Schlechte(s) Karma

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 4. Oktober 2016
Man macht ja entwürdigende Sachen, um bei der Krankenkasse Geld zu sparen. Zum Beispiel das Telmed-Modell. Bevor man zum Arzt geht, ruft man die medizinische Hotline an und lässt sich beraten. Das funktioniert prima. Solange man gesund ist. Im Krankheitsfall aber macht man sich zum Affen. «Mailen Sie uns doch bitte ein Foto Ihres Halses», beschied mir die nette Dame, als ich mich einmal wegen starken Halsschmerzen meldete. «Von aussen?», fragte ich (zugegeben, ich bin an Telefon manchmal etwas begriffsstutzig). «Von innen», antwortete sie. «Mit dem Handy geht das ganz gut.»

Es nützte nichts, dass ich ihr erklärte, meine Kinder litten an einer ärztlich bestätigten bakteriellen Angina und müssten Antibiotika schlucken, und ziemlich sicher sei es bei mir dasselbe. Also stellte ich mich vor den Spiegel, drückte mit einem Löffel die Zunge herunter und zielte mit dem Handy in meinen entzündeten Schlund. Das Ergebnis ähnelte einem Bild von Rothko: ein rot-oranger Farbklecks. Hübsch anzusehen, aber für eine medizinische Ferndiagnose untauglich, beschied mir die Dame kurz darauf am Telefon und schickte mich zum Arzt. Wo ich meine Antibiotika bekam.

Seitdem graut mir vor dem Moment, wo ich ein ernsthaftes medizinisches Problem habe. Bestimmt würde die Telmed-Frau mir dann eine PDF-Anleitung für einfache chirurgische Eingriffe nach Hause schicken (Sterilisieren Sie ein scharfes Küchenmesser in der Mikrowelle).

Aber zum Glück bietet meine Krankenkasse jetzt ein neues tolles Sparmodell an: die
Schrittentschädigung. Für jeden Tag, an dem ich 10 000 Schritte gehe, erhalte ich sage und schreibe 40 Rappen Prämienrabatt. Entwürdigend, ich weiss. Aber diesmal wollte ich der Krankenkasse ein Schnippchen schlagen. Nachdem ich die Datenschutzerklärung geflissentlich ignoriert hatte, hängte ich den Schrittzähler nämlich unserer Nachbarhündin ans Bein: Karma, eine Labradordame. Lebhaft, ständig draussen unterwegs, und obendrein vegan. Ihre Besitzerin lebte früher nämlich in einem indischen Ashram. Daher auch der Name.

Das ging eine Weile ganz gut. Bis meine Krankenkasse anrief: Der Vertrauensarzt wolle sich mit mir über das medizinische Wunder meiner Schwangerschaft unterhalten. Und ausserdem liege in der Apotheke eine Packung Flohpulver für mich bereit. Karma, diese Hippie-Bitch, hatte auf ihren ausgedehnten Spaziergängen nicht nur Krabbeltiere eingefangen, sondern sich auch begatten lassen.

Vor Schreck verschluckte ichmein iPhone. Das Blöde ist, ich habe keine Mikrowelle. Aber vielleicht werden diesmal wenigstens die Bilder etwas.

Den Trump zum Gärtner machen

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 19. September 2016

Vierzig Quadratmeter, zwölf Frauen und ich – nein, das ist nicht eine versaute Kreuzung aus dem «Bachelor» und «Big Brother», sondern der Gemeinschaftsgarten in unserem Quartier. Natürlich kann das nicht gut gehen. Zwar stimmt die Chemie zwischen uns, aber Chemie stimmt für uns nicht, darum verzichten wir darauf. Auch auf Schneckenkörner.

Dumm nur, dass unser Gärtchen auf drei Seiten von einer Kuhweide umgeben ist. Jede Nacht kommt es zu einer unkontrollierten Masseneinwanderung von schmarotzenden Nacktschnecken, die sich übers Gemüse in unserem Paradiesgärtchen hermachen. Selbst Blocher, wäre er eine Indische Laufente, käme nicht nach mit Auffressen.

Ich habe mir schon ernsthaft überlegt, Donald Trump zum Gärtner unseres Gärtchens zu machen. Der würde nämlich als erste Amtshandlung gleich eine Mauer um den Garten hochziehen. «Und die Schnecken werden dafür bezahlen», würde er in die Kuhweide hinausposaunen. Und alle wären glücklich: Wir, weil wir die Schnecken los sind, und die Welt, weil sie Trump los ist.

Überhaupt ist so ein Gemeinschaftsgarten ja ein Laboratorium für eine bessere Welt:  Ich sag nur, gemeinsam statt einsam. Man teilt die Arbeit, die Freude und die Ernte (oder was die Schnecken davon übrig gelassen haben) und lernt: Teilen ist das neue Besitzen.

Obendrein ist das Gärtnern immer auch eine Lektion in Demut, Bescheidenheit und Geduld. Und eine Übung in Achtsamkeit. Wochenlang habe ich zum Beispiel ein Unkraut ausgerissen, das sich in allen Beeten ausbreitete. Bis ich mir die Mühe machte, das dickblättrige Kraut im Bestimmungsbuch nachzuschlagen und herausfand, dass es sich dabei um den Weissen Mauerpfeffer handelt – eine Pflanze, auf die der seltene Apollofalter scharf ist. Seither lasse ich das Kraut wachsen. So richtig buddhistisch – abgesehen vom Überbrühen der Schnecken mit kochendem Wasser, das ist eher so märtyrerhaft-frühchristlich.

Demut, Bescheidenheit, Achtsamkeit: Den grossmäuligen Trump statt zum Präsidenten um Gärtner machen – ich glaube, das wäre ein Therapieversuch wert. Schlimmstenfalls verwüstet er unsere 40 Quadratmeter, aber wenigstens nicht gleich die ganze Welt.

Das Schönste am Gärtner ist übrigens, zu erleben, wie jedem Ende ein Anfang innewohnt. Gerade im Herbst, wenn der Garten öde wird und der erste Seelenschmetter in einem hochkriecht, lässt es sich wunderbar vom Frühling träumen, während man die Knollen der Krokusse und der Winterlinge setzt.

Wenn nur die Wühlmäuse nicht wären. Mister Trump, wir brauen Sie hier!

Erlöse uns von den Bösen

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 30. August 2016

Herr, das Schwingfest war sehr gross, und am Schluss legte einer einen anderen ins Sägemehl, und der Sieger trug den Muni auf den Schultern nach Hause, so stark ist der.

Aber nun lass es gut sein. Erlöse uns von den Bösen – zumindest für die nächsten drei Jahre. Wische uns das Sägemehl aus dem Gesicht, damit wir wieder den Balken im Auge der Welt sehen und nicht nur unseren Nabel.

Hab Nachsicht mit uns, wenn wir zwischendurch Masse mit Bedeutsamkeit verwechseln und Muskelkraft mit Männlichkeit. Oder glauben, Identität sei so einfach gestrickt wie ein Edelweisshemd.

Mit journalistischer Hartnäckigkeit haben wir uns über die Naht der Schwingerhose gebeugt. Nun gib uns die Kraft, wieder auf Distanz zu gehen zu den Dingen. Weil man dann so manches klarer sieht.

Aber erstick nicht das ganze Schwingfeuer in uns, sondern gib uns die Grösse, fürs Eidgenössische Frauen- und Meitlischwingfest gleich viel Begeisterung an den Tag zu legen wie für Estavayer. Und vergib uns unsere Schuld, wenn wir nicht wissen, wann und wo die Schwingerinnen antreten oder wie die amtierende Schwingerkönigin heisst.

Und führe uns nicht in Versuchung, eine Homestory über den Muni zu machen.
Amen.

Doppelgold für Sturzenegger

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 16. August 2016

Es passierte auf den letzten Metern. Sturzenegger lag wie erwartet unangefochten in Führung. Noch ein paar Hüpfer und der Olympiasieg war ihm sicher. Und dann dieser verfluchte Schnürsenkel. «Mach doch einen Doppelknoten, Gopfertellisiech», hatte ihm sein Trainer schon tausendmal gesagt. Aber Sturzenegger war abergläubisch. Doppelknoten brachten Unglück. Und stets hatte sein Knoten gehalten. Aber ausgerechnet heute löste sich der Schnürsenkel.

Sturzenegger rutschte aus dem Schuh und verlor das Gleichgewicht. Bevor er mit seinem Gesicht hart auf der Bahn aufschlug, zog sein Sportlerleben im Zeitraffer an ihm vorbei: Die bescheidenen Anfänge in der Jugi Hinterhüpfikon. Der Dorfmüller, der ihn mit dem nötigen Sportgerät versorgte. Der Kampf um Anerkennung für seine Sportart, die von vielen als Kinderkram belächelt wurde. Das erniedrigende Klinkenputzen bei möglichen Sponsoren (zum Glück hatte ihm der Müller die Treue gehalten).

Aber dann, vor einem Jahr, endlich der lang ersehnte Ritterschlag: Das Olympische Komitee hatte Sackhüpfen zur olympischen Sportart erklärt–auch dank Sturzeneggers Überzeugungsarbeit als Präsident der International Sack Race Federation. Jetzt würde sie niemand mehr ungestraft als Sackflöhe verunglimpfen. «Wenn Schiessen olympisch ist, dann muss es Sackhüpfen auch werden», hatte er immer gesagt. Die Schützen brauchten ja nur ein Auge zuzukneifen und den Finger krumm zu machen. Sackhüpfen aber, das war Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit–zudem brauchte es mentale Stärke, um in einen Sack zu schlüpfen und Bewegungen zu vollführen, die sich einem Laienpublikum nicht gerade als graziös erschlossen.

So war Sturzenegger mit dem Ziel an die Olympiade gereist, Geschichte zu schreiben. Er wollte als erster Olympiasieger im Sackhüpfen in die Annalen eingehen und danach zurücktreten. Die Knie.

Aber nun lag er am Boden. Im Mund schmeckte er Blut. Durch tränenverschleierte Augen musste er zusehen, wie seine Konkurrenten an ihm vorüberzogen. Baggins, Beutelschneider, Sacchelini, Sackov. Sturzenegger beendete das Rennen nicht. Teilnahmslos liess er sich von seinem Trainer zum Arzt bringen, der die klaffende Platzwunde auf seiner Stirn mit 13 Stichen nähte. Zugedröhnt sass er auf dem Stuhl, als der Zahnarzt seine zwei ausgeschlagenen Schaufelzähne ersetzte.

Als Sturzenegger im Olympiadorf traurig sein zerschundenes Gesicht im Spiegel studierte, musste er plötzlich grinsen und dann lauthals herauslachen. Der Zahnarzt hatte ihm zwei blitzende Goldzähne eingesetzt. Sturzenegger würde trotz allem olympisches Gold nach Hause bringen. Doppel-Gold sogar.

Yippie Ja Ja Yippie Yippieh Yeah!

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 18. Juli 2016

Teichfolie. Manchmal träume ich von Teichfolie, der teuren Kautschukteichfolie aus dem Baumarkt. 200 Quadratmeter habe ich mir gekauft. Wenn schon, denn schon. Und dann stelle ich mir vor, wie ich im Garten stehe. Einen Plan habe ich nicht. Pläne sind für Memmen. Ich habe einen Traum und einen Spaten aus gehärtetem Stahl. Natürlich würde der Aushub mit einem Kleinbagger schneller gehen, aber dafür hätte ich erst eine Zufahrt betonieren müssen. Ein Kinderspiel, rein technisch gesehen. Aber das Rosenbeet meiner Frau wäre draufgegangen. Fand sie nicht so toll.

Also stosse ich den Spaten in die Erde.

Eine Million Spatenstiche wird es brauchen, bis der Teich steht: Sumpfzone, Flachwasserzone, Tiefwasserzone. Schon nach den ersten paar Schaufeln Erde spüre ich meinen Rücken. Aber das ist gut so. Ohne Leid keine Liebe. Habe ich im Baumarktmagazin gelesen. Sage ich auch meiner Frau, als sie mich fragt, ob es ein Kübel mit Seerosen nicht auch täte. Zwischendurch gönn ich mir ein frisches Bier aus der Kühlbox. Proste meinem Nachbarn zu, der sich mit einem Bausatz für ein Tomatentreibhaus abmüht. Jeder fängt mal klein an. Manche bringen es nie weiter.

Nach drei Wochen ist das Loch fertig. 200 Schubkarren Sand sind festgeklopft, das habe ich meine Kinder machen lassen. Sollen ruhig lernen, was arbeiten heisst. Beim Transport durchs Rosenbeet sind die «Marie Antoinette» und die «Romanze» umgeknickt. Kann vorkommen. «Tut mir Leid, Liebes», sage ich. Sie sagt nichts.

Bevor ich die Dickblättrige Wasserpest, den Froschbiss und die Wassernuss in den Teich gebe, konstruiere ich noch kurzerhand einen Badesteg. Bis tief in die Nacht hinein heult die Kreissäge im Licht der Bauscheinwerfer. Die Wasserpflanzen stehen unterdessen in der Badewanne. Meine Frau sagt, sie dusche so lange beim Nachbarn.

Nach fünf Nächten sind die Teakholzplanken fachmännisch verlegt, der Teichfilter, die Wasserfallpumpe und die Gartendusche angeschlossen. Und dann der grosse Moment: Der Teich wird geflutet. Stolz schaue ich zu, wie das Wasser steigt – und wie die Freude meiner Frau und der Kinder langsam in Sorge und dann in Panik umkippt. Vielleicht hätte ich den Hang doch besser mit Zugankern sichern sollen? Der ganze Teich – eine Million Spatenstiche – geht bachab, und eine braune Schlammflut wälzt sich durch den Rosengarten meiner Frau und begräbt das Tomatentreibhaus des Nachbarn unter sich. Zum Glück tragen die Kinder Schwimmflügeli.

Gescheitert, aber grandios gescheitert.

Baue ich halt einen Terrassengarten. Mit integriertem Reisfeld. Es gibt immer was zu tun.

Yippie Ja Ja Yippie Yippieh Yeah!

Schweinkram

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 15. Juli 2016

Ich lese die Hefte heimlich. Fasziniert und angeekelt. Und zwar auf dem Klo meiner Eltern. Denn dort liegen die Edelpornos rum: «Landlust» und «Landliebe». Ja, ganz recht, was am Kiosk als Lifestyle-Magazin geführt wird, gehört eigentlich in die Schmuddelecke. Denn die Heftli sind nichts anderes als Pornografie.

Stimulationshilfen für abgelöschte Bürofachkräfte, die sich an kunstvoll inszenierten Bildstrecken über echt authentische Holzkuhschnitzer aufgeilen. Hochglanz-Dekorier-Vorlagen für jene, die gefilzte Samichläuse auf dem Fensterbrett und andere Perversionen mit Stil verwechseln und jeden Monat einen neuen Türkranz flechten. Das ultimative Handbuch für Selbstbesorger, pardon, Selbstversorger, die beim Betrachten von mit Zimt bestreuten Fotzelschnitten in Wallung kommen.

Heisse Lektüre für promiske Konfitüre-Kocherinnen und frigide Back-Fetischisten. Das «50 Shades of Grey» für seitensprungwillige Vegetarier, die insgeheim davon träumen, Schweine zu züchten und diese, wenn sie nach einem glücklichen Landleben ihr Traumgewicht erreicht haben, mit einem selbst gestrickten Schal lustvoll zu strangulieren, um sie dann über dem eigenhändig geküferten Eichenbottich ausbluten zu lassen und den Speck, den Schinken und die Würste in den Rauchkamin des Bauernhauses zu hängen, das für drei Millionen sanft renoviert worden ist. Papierenes Viagra für wohlstandsübersättigte Agglobewohner, die Kargheit mit Glück verwechseln.

Und über allem weht der Geist der Grossmutter, dieser Lifestyle-Domina, die noch wusste, wie es geht – und wozu Melkfett gut ist. (Und nein, ich will gar nicht wissen, aus welchem Grund meine Eltern die Zeitschrift kaufen.)

Wie das bei Pornos so ist, sie machen Appetit, aber nicht satt. Und vor allem sind sie eine Lüge. Denn das Landleben ist nicht so. Das weiss ich aus eigener Anschauung, ich bin nämlich auf dem Land aufgewachsen. Im Luzernischen, wo es mehr Schweine gibt als Menschen. Aber nie sah man die Schweine fröhlich grunzend draussen herumtollen, weil sie nämlich in fensterlosen Ställen gehalten wurden. Der Frauenverein strickte nicht aus Lust, sondern aus missionarischem Eifer – und zwar Wollkäppli für die armen Afrikanerbabys. Neben der Käserei stand das Gemeinschaftskühlhaus, wo die nachlässig eingetüteten Kirschen aus dem Nachbarfach über die Schweinsplätzli sauten. Und Bauern renovierten ihre Ställe nicht sanft, sondern mit Benzinkanister und Streichholz. Und ständig, ständig, ständig stank es nach Gülle.

So ist das Landleben. So richtig Hardcore. Ich glaube, die Zeit ist reif für ein neues Magazin: «Landfrust – die schlimmen Seiten des Landlebens».

Also ich würde es kaufen.