Macht hoch die Tür

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 29. November 2017

Langsam komme ich in ein Alter, wo ich jeden dritten Satz mit «Früher war …» beginne. Das nervt mich selber, aber heute muss es sein. Früher war vieles einfacher. Zum Beispiel das mit dem Adventskalender. Es gab zwei Sorten: die mit Bildli und die mit Schoggi. Wenn man grosses Glück, also wirklich ganz grosses Glück hatte, bekam man beide geschenkt: den Bildlikalender von den Eltern und den Schoggikalender vom Grosi. Und man liebte beide – die Bildli und die Schoggi, die Eltern und das Grosi. Das Grosi aber ein bisschen mehr.

Heute bereitet der Kauf eines Adventskalenders grössere Qualen als früher die Brunsli von Tante Frieda. Denn es gibt einfach alles: Adventskalender mit Bier, Whiskey, Rum, mit allem kann man sich durch den Advent saufen – und die Brunsli erträglich trinken und Tante Frieda gleich mit. Es gibt den Handwerker-Kalender für Ihn (Jesus hätte bestimmt auch Freude an einem Winkelschraubendreher gehabt), den Beauty-Kalender für Sie (damit nur die Mandarindli schrumpelige Haut kriegen) und den Sexspielzeug-Kalender für beide («O o o ooohhh oooohhh du fröhliche»).

Es gibt den Krimi-Kalender und den Müesli-Kalender, einen für Veganer und einen für Wurstliebhaber. Denn, hey: Weihnachten ist für alle da – solange die Kasse stimmt. Heftig umworben werden auch die Kleinen. Die müssen sich entscheiden, ob sie sich das Warten auf Weihnachten lieber mit Lego oder Playmobil verkürzen wollen. Jedes Türchen ein Figürchen. Und alles immer schön gendermässig gepimpt: Ponyhof für die Mädchen, Star Wars für die Buben.

Wenn Ihnen das auch auf den Weihnachtskeks geht, dann habe ich einen Vorschlag. Wie wäre es, wenn wir uns selbst zum Adventskalender machen würden? Wie das geht? Einfach jeden Tag bis Weihnachten ganz bewusst ein Türchen aufmachen zur wüsten, wilden, wunderbaren Welt jenseits unserer Wohlfühlblase. Unsere Haustür öffnen und jene in die warme Stube bitten, die draussen stehen und frieren. Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Unsere Augen öffnen für das, was schiefläuft in der Welt. Unsere Herzen weit auftun für das Leid und die Freude der anderen. Und unsere Hirne durchlüften lassen von neuen, fremden, irritierenden Ideen.

Wie das herauskommt? Keine Ahnung. Vielleicht werden aus Fremden Freunde. Vielleicht essen sie auch nur unsere Schoggi auf und bringen Dreck in die Stube. Und vielleicht vertreiben auch 24 Schnäpse das Bauchweh nicht, das dabei aufkommt.

Uns allen ginge dabei aber sicher das eine oder andere Lichtlein auf.

Und Weihnachten würde umso heller strahlen.

Zahn um Zahn

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 27. November 2017

Ich gehe nicht zur Beichte. Ich gehe zur Dentalhygienikerin. Die bohrt hartnäckiger nach als der strengste Pfarrer, und im Gegensatz zur katholischen Kirche stehen bei ihr die Folterwerkzeuge der Inquisition noch in Ehren und täglichem Gebrauch.

Mani Matter packte ein metaphysisches Gruseln im Coiffeurstuhl, für mich ist der Termin bei der Dentalhygienikerin ein Nahtoderlebnis. Reglos liege ich auf dem Schragen, schläfrig-benommen von der Wärme, ein helles Licht über mir blendet mich, und ohne meine Brille erkenne ich nur schemenhafte Gestalten, die sich engelsgleich über mich beugen. «Ich bin noch nicht so weit», will ich rufen, aber schon hängt mir die eine Gestalt ein fies schnorchelndes Schläuchlein in den Mund, das mit der Spucke auch den letzten Rest Würde aus mir raussaugt. Die zweite Gestalt äugt mit einem Spieglein in meinen weit aufgesperrten Mund. Und dann ertönt die gefürchtete Frage: «Benutzen Sie die Zahnseide regelmässig?»

Kalter Schweiss bricht mir aus. «Nischt regelmächig», nuschle ich, den Spuckesauger noch immer im Mund. Es ist eine abgrundtiefe Lüge. Die die Frau in Weiss natürlich durchschaut. Denn schon beim ersten Blick in meine sündige Mundhöhle hat sie erkannt, dass ich ein Ketzer bin wider die heilige Lehre der Zahngesundheit: «Du sollst keinen anderen Gott haben ausser der elektrischen Zahnbürste, und den Raum zwischen deinen Zähnen sollst du täglich mit einem gewachsten Faden befreien von allem Irdischen und Verdorbenen. Denn eher geht ein Kamel durch einen Zahnzwischenraum als ein Zahnsteinreicher ins Himmelreich.»

Ich gebe es zu, ich bin schlicht zu faul für Zahnseide. Faulheit ist eine Todsünde. Die muss gebeichtet werden, und nach der Beichte folgt die Busse. Aber bei der strengen Missionarin vom Orden der Heiligen Dentissima ist es nicht mit drei Ave Marias getan. Mit heiligem Zorn und perfiden Marterwerkzeugen nimmt sie sich nun mein Gebiss vor. Zahn um Zahn, Zwischenraum um Zwischenraum traktiert sie mit alttestamentarischem Furor. Und das Blut, das dabei in erklecklichen Strömen fliesst, ist nicht ihrer Grobheit geschuldet, sondern die gerechte Strafe für mein sündiges Dasein. Das gibt sie mir mit ihrem Blick zu verstehen.

Nach einer halben Stunde lässt sie von mir ab, mein Mund ist wund, aber meine Seele rein. «Ego te absolvo», sagt sie zum Abschied und drückt mir ein Gratismüsterchen Zahnseide in die Hand. «Amen», sage ich. Ich werde die Seide nicht benutzen. Mich wieder versündigen. Und bussfertig angekrochen kommen. Aber wenigstens habe ich jetzt ein Jahr lang Ruhe.

Und die Hälfte der Rechnung zahlt die Krankenkasse.

Halleluja.

Die Arschloch-Opfer-Masche der Rechten

Wie wird die Rechte stark? Durch Provokationen und Gejammer, sagen Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn in ihrem Buch «Mit Rechten reden». Dagegen helfe – eben, mit Rechten reden: sachlich, streitlustig, aber ohne Moralkeule.

«Sie sind da»: So titelte das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» nach der Bundestagswahl, aus der die AfD als grosse Gewinnerin hervorgegangen war. Ja, sie sind da, die Rechten und Rechtspopulisten, angekommen in den Parlamenten, den Regierungen, der Mitte der Gesellschaft – und längst nicht nur in Deutschland. Und so schnell gehen die auch nicht wieder weg. Über die Rechten ist viel geredet worden, aber darf man auch mit den Rechten reden?

Ja, sagen der Historiker Per Leo, der Jurist Maximilian Steinbeis und der Philosoph Daniel-Pascal Zorn in ihrem klugen und anregenden Leitfaden «Mit Rechten reden». Denn der linke Reflex, die Rechten entweder systematisch zu zensieren und ihnen das Reden verbieten zu wollen oder sie von oben herab zu belehren, sei kontraproduktiv. Der Auseinandersetzung mit den Rechten dürfe man im Gegenteil nicht aus dem Weg gehen. «Demokratie ist kein Salon», ist das Autorentrio überzeugt. «Die Republik lebt vom Streit, von Rede und Gegenrede, nicht nur von Bekenntnissen und moralischer Zensur.»

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Von der Flocke bis zur Pfütze

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 15. November 2017

Schneemänner sind wie Olympische Winterspiele – nicht sehr nachhaltig. Dennoch können wir von den Schneemännern ein paar wichtige Lektionen fürs Leben lernen. Zum Beispiel: Sport ist Mord. Schwitzen tödlich. Dicke leben länger. Das sind doch mal positive Nachrichten, meine Damen und Herren. Auch punkto Mut sind uns die Schneemänner eine Rüeblinasenlänge voraus: Die hauen nämlich nicht gleich ab, wenn sie kalte Füsse kriegen. Und sie beweisen allen Hitzköpfen, dass man es weiterbringt, wenn man einen kühlen Kopf bewahrt. Schneemänner kann man übrigens auch nicht kaltmachen. Höchstens liquidieren. Aber das nur nebenbei.

Winter für Winter führen uns die Schneemänner vor, dass simples Design immer, ich wiederhole: immer am besten funktioniert. Drei Kugeln in der richtigen Reihenfolge aufeinander gepappt. Fertig. Falsch herum gehts nicht. Und Beine sind überbewertet. Übrigens, Schneemänner brauchen auch keinen Schal um den Hals, die frieren nämlich gerne.

Immer wieder taucht natürlich die Frage auf: Haben Schneemänner heissen Sex? Und wie pflanzen sie sich fort, wenn es doch nur Schneemänner gibt? Die Antwort ist ganz einfach: Schneemänner machen keine Kinder. Kinder machen Schneemänner. Schneemänner haben übrigens auch kein Geschlecht. Ausser die Nase ist verrutscht.

Der Föhn, pissende Hunde, Justin und Cheyenne, die ihr Ritalin abgesetzt haben: Schneemänner haben viele natürliche Feinde. Entsprechend kurz ist ihr Leben: Von der Flocke bis zur Pfütze sind es manchmal nur wenige Tage. Schon die kalten Griechen wussten: Panta rhei, alles zerfliesst. Tauen müssen wir alle, die Schneemänner gemahnen uns an unsere eigene Vergänglichkeit. Ihre tröstliche Botschaft: Schmelzen ist keine Schande. Ausser du lebst nördlich des Polarkreises.

Langfristig gesehen gehören Schneemänner zu einer aussterbenden Spezies. Stichwort Klimaerwärmung, da wird ihnen gleich ganz warm ums Herz. Dagegen hilft ihnen auch ihre Kaltschnäuzigkeit nichts. Wer es sich leisten kann, lässt sich einfrieren, in der Erwartung der nächsten Eiszeit. Andererseits sind Tiefkühltruhen und Kunstschnee auch keine Lösung, sondern Teil des Problems.

Bleibt die letzte Frage: Gibt es ein Leben nach dem Frost? Das weiss nur der Grosse Eismann. Doch die Hoffnung schmilzt zuletzt.

Aber sie schmilzt.

Und was von ihnen übrig bleibt, das vermachen die Schneemänner den Kaninchen.

Neuer Wein in alten Bäuchen

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 26. Oktober 2017

Der Herbst gilt als Zwischen­saison, eingequetscht zwischen dem Sommer und dem Winter. Aber so ein Pressing bringt ja die besten Sachen zutage. Zum Beispiel den Sauser. Ein Getränk, das den Mut hat, so zu heissen, wie das Geräusch, das es macht, wenn es den Körper wieder verlässt. Und natürlich gibts jetzt auch wieder den Beaujolais nouveau, den vor allem ältere Gaumen zu schätzen wissen. Neuer Wein in alten Bäuchen, sozusagen. Übrigens, haben Sie gewusst, dass viele Winzer an einer Weinleseschwäche leiden? Der Dysoechslexie.

Wenn wir schon bei billigen Wortspielen sind: Ich spiele Trompete, und wie alle Blechbläser kultiviere ich eine leise Verachtung für die Holzbläser, diese Rindenlutscher. Völlig unten durch sind aber die Laubbläser. Die haben in meiner Herbstsinfonie einfach nichts verloren. Dann doch lieber der süsse Klang eines Rahmbläsers, der auf meine Vermicelles tremoliert.

Apropos röhrende Potenzbestien: Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass die Jäger meist hässlicher sind als die Hirsche? Und trotzdem sind am Schluss die Tiere tot. Eigentlich ungerecht. Ich begrüsse deshalb die neue Ini­ti­a­tive von Greenpeace, das heimische Wild aufzurüsten – mit Schrotflinten und Zielfernrohren. Welch grosses Halalihallo, wenn die Sau zurückschiesst. Und endlich hält das Jägerschnitzel, was sein Name verspricht.

Der Herbst ist die Jahreszeit der Schwerkraft. Alles fällt: der Jäger vom Hochsitz, das Laub vom Baum und Gottéron von der Spitze der Tabelle an den Schwanz. (Abwarten, das kommt noch.) Und Apfel auf Birne. So hat Newton ja seinerseits die Gravitation entdeckt. Übrigens soll es sich um einen Gravensteiner gehandelt haben.

Mit der Schwerkraft kommt die Schwermut. Aber nicht wegen Gottéron. Sondern wegen des Nebels. Der wird bald zum Dauergast im Mittelland, und trotzdem bleibt sein Wesen nebulös. Sitzt man drin, ist er eine Suppe, ist man drüber, ist er ein Meer. Ströme von Sonnenflüchtlingen drängen über die Nebelgrenze und die Bergbahnen verdienen sich eine goldene Nase mit ihren Schlepperdiensten. Und trotzdem fordert kein Politiker: «Macht die Nebelgrenze dicht.»

Mit dem Nebel ist auch die erste Grippe schon im Anzug. Deshalb mein herbstlicher Modetipp für Sie: Lassen Sie den Anzug im Schrank.

Übrigens, meteorologisch gesehen ist Nebel ja nichts anderes als Wolken mit Bodenkontakt. Wenn Sie also nächstens im Nebel Trübsal blasen, trösten Sie sich: Sie haben den Kopf in den Wolken und stehen trotzdem mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Aus­ser, Sie haben zu viel Sauser getrunken. Oder spielen bei Gottéron.

Letzte Fragen

Über das Sterben spricht man nicht gerne. Aber wir alle sind dem Tod eine Antwort schuldig. Früher oder später. Höchste Zeit für ein paar unangenehme Fragen. Weiterlesen

Beitrag im Blog von «Aufbruch», der unabhängigen Zeitschrift für Religion und Gesellschaft, 1. November 2017

Ein bescheidener Vorschlag zur Rettung der AHV

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 4. Oktober 2017

Nach dem Scheitern der AHV-Reform muss die Wahrheit jetzt einfach mal auf den Tisch, meine Damen und Herren, auch wenn sie unpopulär ist: Langfristig lässt sich die AHV nur retten, wenn wir alle wieder früher sterben.

Wir von der SFP, der Sinn-freien Partei der Schweiz, schlagen vor, die Lebenserwartung von heute 83 Jahren bis 2030 sukzessive auf 75 Jahre zu senken. Als Zwischenziel, versteht sich. Aber in der Verfassung festgeschrieben. Wobei es zu begrüssen ist, wenn möglichst viele Bürgerinnen und Bürger bereits vor Erreichen des Rentenalters ihren letzten Urnengang antreten. Als negatives Anreizsystem wäre die Einführung einer Lenkungsabgabe, des «Greisen-Rappens», zu prüfen. Doch widmen wir uns der grundsätzlichen Frage: Wie soll das funktionieren?

Natürlich könnte das Vereinswesen dem Staat subsidiär zur Hand gehen. Sei es Exit, seien es die vielen Schützenvereine. Wäre aber wohl nicht mehrheitsfähig. Darum setzen wir von der SFP auf den aufklärerischen Ansatz von Kant: den selbstverschuldeten Ausgang des mündigen Menschen aus dem Leben. Sprich: Rauchen muss wieder cool werden. Und Zigaretten so günstig, dass sich auch Zehnjährige das tägliche Päckli leisten können – und legal kaufen dürfen.

Tiefere Zigarettenpreise bedeuten zwar, dass kurzfristig weniger Geld aus der Tabaksteuer in die AHV fliesst, bis wir wieder Raucherquoten von 80 Prozent erreicht haben. In einer Übergangszeit kann dieser Ausfall durch eine Steuer auf Rollatoren, Hörgerätebatterien und Inkontinenzprodukte wettgemacht werden, womit auch die staatsbürgerlich wichtige Botschaft vermittelt würde: Altwerden lohnt sich nicht. Ausser man kann es sich leisten. Längerfristig zahlt sich das Ganze aber unbedingt aus. Zumal die teuren Präventionskampagnen hinfällig werden. Der Sportunterricht wird abgeschafft, dafür die Zuckerindustrie subventioniert. Und wenn die Tabak- und Alkoholfirmen erst einmal unbegrenzt am Staatsfernsehen werben dürfen – der Suff als Service public – sinken auch die Radio- und TV-Gebühren. Und «No Billag» ist gegessen.

Überhaupt löst das gesellschaftlich breit abgestützte frühe Ableben gleich mehrere drängende Probleme: Die Jungen erben dann, wenn sie das Geld auch wirklich gebrauchen können, kein Seniorenstau mehr am Gotthard, und die Bürgerinnen und Bürger werden wieder daran erinnert: Es gibt auch ein Leben vor der AHV. Dann trifft es sie auch nicht so unvorbereitet, wenn es irgendwann mal keine mehr gibt.

In diesem Sinne möchte ich Sie bitten, unseren Vorschlag wohlwollend zu prüfen.

Pilzsaison

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 2. Oktober 2017

«Es ist Herbst», trompeten die Bovisten durch den Wald, dass dem Täubling die Judasohren wackeln. Tief im dunklen Tann, wo der Satanspilz und der Hexenröhrling um Mitternacht ihre Knollen blättern, stapft der Fransige Wulstling durchs Unterholz, um seine schändliche Lust zu stillen an einem unschuldigen Scheidenstreifling oder einer Weissen Trüffel. Doch die alte Stinkmorchel findet nur einen Grünstieligen Zärtling. «Gut, dass ich ein Stäubender Zwitterling bin, ich Glückspilz», denkt der wüste Wulstling. «Oh, du Büscheliges Hängeröhrchen, oh du Braunes Pustelkeulchen, oh du mein Leuchtender Prachtbecherling», säuselt er und macht ganz poetisch einen auf Schillerporling, «oh, du mein Muscheling – willst du mal meinen Wolligen Milchling sehen?»

Aber da ist der Wulstling an den Falschen geraten. Denn der Zärtling hängt die Bauchwehkoralle raus: «Lieber hüpf ich mit dem Brätling in die Pfanne als mit dir, du Borstiger Kotling», ruft er empört. «Und jetzt geh weg mit deinem Runzeliggerieften Schleimfuss, du Grosser Schmierling, sonst bringe ich dich vors Pilzgericht. Und überhaupt», giftelt der Zärtling maliziös, «soll deine Herkuleskeule ja keinen Pfifferling wert sein. Sagt zumindest der Jungfernschirmling

«Na warte, aus dir mach ich Pilzragout, du Misttintling», schreit der Wulstling blind vor Wut und will dem Zärtling an den Kragen. Doch da taucht der Bärtige Ritterling auf, der seiner Striegeligen Tramete derart die Sporen gibt, dass sein Goldgelber Ziegenbart im Wind flattert. «Mach ne Fliege, Pilz», herrscht der Ritterling den Wulstling an, «oder ich mach dich zum Schneckling.»

«Dann komm doch her, du Stumpfhütiger Wasserkopf, du Gekrümmthaariger Scheinhelmling», lacht der Wulstling verächtlich, «dann werden wir ja sehen, wer der zähere Saftling ist.»

«Shii-ta-ke», ruft darauf der Ritterling, denn er ist Champignon in Karate und versetzt dem Wulstling mit einem gekonnten Hallimasch einen derartigen Schlag an den Holzrübling, dass er seinen Schirm zuklappt und zu Boden geht. Lorchel, Lorchel, röchelt er und macht sich vom Ackerling und ward seither nicht mehr gesehen im Forst.

Und wenn sie nicht gepflückt worden sind, leben der Ritterling und der Zärtling noch heute glücklich miteinander. Dass es sich beim Ritterling in Tat und Wahrheit nicht um den Bärtigen, sondern um den Unverschämten Ritterling, Tricholoma lascivum, handelt, stört den Zärtling übrigens nicht im Geringsten.

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«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 30. September 2017

Vor kurzem wurde ich 40. Darum lasse ich mich jetzt umschulen. Damit ich auch die verbleibenden 35 Jahre bis zur Pension noch fit bleibe für den Arbeitssklavenmarkt. Ich lerne jetzt Roboter. Mit Diplomabschluss. Man muss eben mit der Zeit gehen. Es heisst ja immer, die Roboter würden künftig die Hälfte unserer Jobs wegnehmen. Dagegen kann man wohl nichts machen – aber man kann auf der richtigen Seite stehen. Deshalb werde ich jetzt eben Roboter. Und ich hab Talent.

Als Teilzeithausmann bringe ich nämlich die besten Voraussetzungen fürs Roboterdasein mit. Ich bin es gewohnt, zuverlässig stundenlang die immer gleichen monotonen Arbeiten zu verrichten, ohne zu murren: Putzen, aufräumen, Geschirrspüler ausräumen, Geschirrspüler einräumen, staubsaugen, Wäsche waschen und zum tausendsten Mal das Pony- und das Piraten-Pixi vorlesen.

Von meinen Usern, also meinen Kindern, weiss ich auch, wie es ist, mit unlogischen Befehlen gefüttert zu werden und trotzdem zuverlässig Output zu liefern. Und (fast) nie gibt es eine Error-Meldung. Höchstens die Reset-Taste muss zwischendurch mal gedrückt werden. Auch die etwas hüftsteifen Roboterbewegungen kriege ich ganz locker hin. Mein Rücken und die Knie sind halt auch schon 40.

Die künstliche Intelligenz der Roboter toppe ich mit natürlicher Intelligenz und gesunder Neugier. Ausserdem bin ich komplett selbstlernend und damit den Blechkameraden aus Silicon Valley noch mindestens eine Prozessorengeneration voraus. Wenn die Akkus noch einigermassen voll sind, kann man mit mir ausserdem durchaus intelligente Gespräche führen, die nicht nach einprogrammierten Floskeln tönen. Und ich erkenne Ironie. Daran scheitern die Maschinen ja noch zuverlässig. Das ist aber auch mein grösstes Manko auf dem Weg zum Roboter: Das binäre Denken will einfach nicht in mein Gehirn rein. 0, 1, Strom, kein Strom, wahr, falsch – so ticken die Roboter. Meinen Schaltkreisen aber, korrumpiert durch ein geisteswissenschaftliches Studium, ist das alles zu einfach gestrickt. Aber ich besuche jetzt einen Intensivkurs bei den Populisten, dann klappt’s sicher auch mit dem schablonenhaften Denken.

Eigentlich wäre ich also bereit, mich als Roboter zu verdingen. Es gibt da nur zwei kleine Probleme: Meine Lohnvorstellung hat für den Markt zu viele Nullen hinter der 1.

Und meine Familie sagt, sie möchte mich nicht mehr hergeben.

Unverklärte Vergangenheit

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 13. September 2017

Ich möchte ja nicht pauschalisieren, aber ich glaub schon, dass früher alles schlechter war, unter dem Strich. Einmal barfuss auf einen rostigen Nagel getreten – zack, Blutvergiftung und Exitus. Überhaupt brachte einen früher alles gleich ins Grab: Lungenentzündung, eine komplizierte Geburt, Kuchenteig aus der Schüssel naschen (oder war das Fake News meiner Eltern?). Man arbeitete 60 Stunden die Woche, fast die Hälfte des Einkommens ging fürs Essen drauf, und die meisten starben, bevor sie ins AHV-Alter kamen – und das war auch gut so, denn die AHV gab es früher noch gar nicht. Und die katholische Kirche konnte mit ihrer Barmherzigkeit ganz schön grausam sein.

Nein, früher war es nicht besser. Früher war alles schlechter.

Homosexuelle kamen in den Knast, Dienstverweigerer auch, Frauen durften nicht wählen und abstimmen, und wenn der eigene Ehemann sie vergewaltigte, dann war das nicht strafbar. Sondern etwas, das halt zu den Haushaltspflichten dazugehörte. Kinder wurden geschlagen oder verdingt oder verdingt und geschlagen. Und alle fanden das okay. «Tatzen» in der Schule und wollene Strümpfe waren allgegenwärtig. Und Sie hätten sich mit dieser Kolumne den Hintern abgewischt. Auf einem Plumpsklo ohne fliessend Wasser. Was ich sagen will: Ich hätte nicht früher leben wollen. Also, natürlich habe ich auch schon früher gelebt, und darum kann ich aus meiner eigenen beschränkten Anschauung sagen: Früher war alles schlechter.

Man musste zum Beispiel vom Sofa aufstehen, um den Fernsehsender zu wechseln, und davon gab es weniger, als man Finger hat. Und das Aufregendste am Programm war die Frage, welch schrillen Fummel Thomas Gottschalk diesmal trägt im «Wetten, dass …?». Zum Wandern trug man im Hochsommer lange Jeans, füllte die Plastikfeldflasche mit Tiki-Brausepulver und strich Melkfett statt Sonnencreme ein, um ja schön braun zu werden. Denn braun war schick. Aber dunkelhäutige Menschen kannte man nur aus «Globi in Afrika» und aus «Wetten, dass …?», wo Roberto Blanco auftrat. Und man fand es lustig, dass ausgerechnet ein Schwarzer Blanco heisst. So war das damals. Schlimm.

In den Büchsenravioli war Hirn drin, dafür in den Köpfen der Kalten Krieger keins. Und man hielt Mirácoli-­Spaghetti für italienisches Essen. Im Sommer klebte man an den Plastiksitzen der SBB – das schmatzende Geräusch, wenn man sich erhob, habe ich bis heute im Ohr –, und seine Notdurft verrichtete man direkt auf die Schienen, was angeblich dem Wein im Lavaux seine besondere Note gab.

Nur etwas war früher besser: die Zukunft.