Auf Facebook

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 19. Juni 2018

Einer hat immer Geburtstag. Auf Facebook. Zwei heiraten immer. Auf Facebook. Eine hat immer grad ein Kind bekommen. Oder eine Katze. Oder süsse Katzenkinder. Auf Facebook. Und sicher ist es immer grad bei einem kompliziert. Auf Facebook.

Immer erlebt einer einen tollen Urlaub. Auf Facebook. Oder eine hat grad die Zeit ihres Lebens. Auf Facebook. Und einer teilt bestimmt seine #magic moments mit seinen #kids im #europapark. Auf Facebook. Und wer ein langweiliges Leben hat, der teilt eben Katzenvideos. Immer hat es Katzenvideos. Auf Facebook. Von Katzen, die aussehen wie Hitler. Von Katzen, die Angst haben vor Gurken. Von Hitler-Katzen in Star-Wars-Kostümen, die Angst haben vor Gurken, die aussehen wie Laserschwerter. Wenn Sie es mir nicht glauben, gucken Sie nach. Auf Facebook.

Zwischendurch postet eine, sie mache jetzt mal Facebookpause; sie sage das nur, damit ihre Facebookfreunde nicht besorgt nachfragten, wieso sie nichts mehr poste. Auf Facebook. Und dann fragen besorgte Facebookfreunde gleich, warum sie seit zwei Minuten nichts mehr gepostet habe (besorgtes Smiley), worauf sie antwortet, sie wolle sich einfach mal auf die wichtigen Dinge konzentrieren (Zwinkersmiley), und eine Stunde später postet sie ein Foto einer Gemüsewähe, die sie selbst gebacken hat. 32  Daumen hoch, fünf Herzen, drei erstaunte Smileys.

Immer sind alle auf Facebook. Und wenn wir mal nicht auf Facebook sind, reden wir drüber, was wir gesehen haben. Auf Facebook. Hast du’s auch gesehen? Ein Foto von einer Kassette und einem Bleistift mit dem Kommentar «Teile das nur, wenn du noch weisst, wie die beiden Sachen zusammengehören». Und natürlich wissen wir das alle noch. Sind ja alle über 40. Auf Facebook.

Immer kocht einer ein Fondue. Auf Facebook. Immer trinkt einer irgendwo ein Weissbier. Auf Facebook. Immer steht einer barfuss an irgendeinem Strand. Oder auf einem Viertausender (selten barfuss). Und immer, immer, immer teilt eine ein buddhistisches Zitat, das auch nicht wahrer wird, nur weil es mit einem abgesofteten Sonnenuntergang hinterlegt ist. Einer warnt bestimmt immer: «Hilfe, mein Konto wurde gehackt.» Und man denkt, schön wär’s, dann wäre wenigstens mal Leben in deinen Posts. Auch wenn’s nur ein Virus ist.

Nie sieht man auf Facebook Menschen, die ihr Face in ein gutes Book stecken. Vergeblich scrollt man, um einen zu finden, der die AGB von Facebook laut vorliest. Punkt für Punkt. Und auf dem Sterbebett wird niemand sagen: Hätte ich doch nur mehr Zeit auf Facebook verbracht.

Vielleicht sollte ich das mal notieren?

Und teilen. Auf Facebook.

Entspannen bis zum Umfallen

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 5. Juni 2018

«Lassen Sie mal Ihre Seele baumeln, Herr Moser.» Das schrieb mir neulich ein Reiseveranstalter in einer Werbemail. Baumeler Reisen, wahrscheinlich. Und ich dachte, nein, ich möchte das nicht, meine Seele baumeln lassen. Allein schon aus ästhetischen Gründen. So wie ich meine Seele kenne, hat die nämlich gar keine Bikinifigur (zu viel Soulfood), und wenn die dann so schlaff herunterhängt beim Baumeln, wäh, dann kommt bestimmt einer und will mir ein Lifting verkaufen. Für Leib und Seele.

Und überhaupt, wie soll das gehen, die Seele baumeln lassen? Knüpfe ich sie an einen Baum? Und was, wenn meine Seele beim Baumeln eine andere Seele kennenlernt, eine Seelenverwandte? Und merkt, dass es viel mehr Spass macht, mit der herumzuhängen als mit mir? Dann lässt sie mich hängen. Keine schöne Vorstellung, denn ohne Soul kriege ich den Blues. Nein, ich will meine Seele nicht baumeln lassen. Und ich will auch meine Batterien nicht aufladen. Das ist ja auch so ein Satz, den seelenlose Marketingfritzen erfunden haben, die ihr Hirn ein bisschen zu lang haben baumeln lassen. «Schalten Sie ab und laden Sie Ihre Batterien auf – mit dem Energy-Weekend, für nur 850  Franken!» Ich bin doch kein Smartphone, das man an den Tropf hängen kann, und nachher gehe ich wieder ab wie ein Duracell-Häschen. Es läuft und läuft und läuft. Das hätte unser neoliberaler Turbokapitalismus ja gerne, dass wir alle unermüdliche Duracell-Häschen wären. Und wenns dann doch mal nicht mehr reicht mit der Kraft, einfach mal ein Wochenende lang die Seele baumeln lassen. Und die Batterien aufladen. Für teures Geld.

Aber wissen Sie was? Mein Akku ist ein altes Modell. Mit Memory-Effekt. Der wird nicht mehr ganz voll. Irgendwann reichts nur noch fürs Nichtstun. Aber nichts tun, das geht gar nicht. Nichtstun ist schlecht. Wer rastet, der rostet. Nur Loser haben Zeit. Entspannen hingegen, Entspannen ist super. Weil sich damit prima Geld ­machen lässt. Und wer entspannt ist, lässt sich nachher auch besser wieder einspannen ins Hamsterrad, das sich so schnell dreht, bis sich mancher die Seele aus dem Leib kotzt. Oder das mit dem Baumeln­lassen auf sich selbst bezieht. Die arme Seele.

Aber wir entspannen uns bis zum Umfallen. Meditation, ­Floating, Auszeit im Kloster, Tiefenatmung, Neunfinger- Kakaobutter-Massage auf dem heissen Stein – wir entspannen uns von Pontius zu Pilates. Und was kommt dabei heraus? «Tut mir leid, Schatz, ich kann mich nicht zu dir ins Gras legen und den Wolken zuschauen, ich bin schon spät dran fürs Yoga, und du weisst doch, wie dringend ich mich entspannen muss.»

Verrückt, oder? Ich jedenfalls, ich mach jetzt einfach mal nichts. Das mit den Rostflecken auf meiner Seele – das sehe ich ganz entspannt.

Pjöngjang 2030

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 17. Mai 2018

«Ist ja irre. Sie sehen aus wie dieser Diktator. Aus Nordkorea. Wie heisst er noch gleich?»

«Kim Jong-un.»

«Genau. Wirklich verblüffend. Aber egal, was können wir von der Fifa für Sie tun?»

«Ich will die Fussball-WM 2030 nach Nordkorea holen.»

«Haha, der war gut. Versteckte Kamera, oder?»

«Muss ich meinen roten Knopf rausholen, damit Sie mir glauben?»

«Sie sind es wirklich? Nichts für ungut, aber eine WM in Nordkorea? Das ist keine Bombenidee, hahaha, fürchte ich.»

«Wieso? Sie ist von mir.»

«Jetzt nicht gleich beleidigt sein, Herr Kim. Lieber kühles Köpfchen statt rotes Knöpfchen. Sehen Sie, wir von der Fifa haben hohe ethische Standards an die Gastgeber der WM, und Ihr Land hat da, wie soll ich es sagen, ein paar demokratische Defizite.»

«Die hat die Fifa auch. Und Katar. Und Russland.»

«Putin ist doch ein lupenreiner Demokrat.»

«Platz 135 auf dem Demokratieindex.»

«So schlecht ist das doch gar nicht.»

«Stimmt. Katar schneidet noch schlechter ab. Platz 136.»

«Und was ist mit Nordkorea?»

«Tabellenletzter. Platz 167. Nur konsequent, dass nach den anderen beiden autoritären Regimes auch ich mal darf.»

«Nana, Herr Kim. Wir wollen jetzt nicht faule Äpfel mit faulen … Ich meine, zwischen Russland und Nordkorea, da liegen schon noch Welten. Bei Ihnen gibt es doch zum Beispiel keine freien Medien.»

«Gibt es die in Russland?»

«Ähm, das müsste ich jetzt im Bewerbungsdossier 2018 nachschlagen. Aber in Nordkorea, da werden politische Dissidenten einfach in Lager weggesperrt.»

«Das macht Putin auch.»

«Aber Sie, Herr Kim, Sie sind wirklich ein schlimmer Finger. Haben Sie nicht Ihren Halbbruder im Ausland vergiften lassen? Ich meine, so etwas würde Russland doch nie … Gut, das war jetzt ein schlechtes Beispiel. Aber Ihr Regime ist einfach menschenverachtend. Sie haben Zehntausende Ihrer Bürger als Zwangsarbeiter ins Ausland verschachert.»

«Auch auf die WM-Baustellen in Russland und Katar, um genau zu sein. Wir haben also schon das nötige Know-how, wie man Stadien baut.»

«Aber sehen Sie, Herr Kim. Fussball, das sind Emotionen. Und bei Nordkorea geht die Stimmung einfach gleich in den Luftschutzkeller.»

«Vielleicht hebt ja das Ihre Stimmung?»

«Tja, wenn Sie da noch zwei, drei Nullen hinten dransetzen, dann ist das ein ziemlich bestechendes Argument. Wissen Sie, für mich war von Anfang an klar: Eine Fussball-WM in Nordkorea, das ist eine tolle Idee. Die Kraft des Sports zur Völkerverständigung, Fussball als Friedensstifter. Wunderbar. Sie werden auf jeden Fall von uns hören.»

Einfach einmal

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 2. Mai 2018

Vielleicht sollten wir uns einfach einmal trauen mutig zu sein. Einfach mal das Rückgrat haben zu sagen: Hier stehe ich und kann nicht anders. Und dann einfach mal raus damit. Nicht aufs Maul hocken, wie sonst immer. Sondern einfach einmal Klartext twittern. Dem anderen ins Gesicht schauen und sagen, was man schon immer sagen wollte. Was sich aufgestaut hat über die Jahre.

Ungeschönt. Unverblümt. Einfach mal raus damit. Die ungeschminkte Wahrheit, whamm, mitten ins Gesicht. Scheiss auf die Konsequenzen. Ungefiltert einfach mal Herzklappe auf und Hirnschleuse hoch und rauslassen, was raus muss. Davon träumen wir doch alle. Oder? Der Chefin, dem Mann, den Kindern, den Nachbarn einfach mal reinen Wein einschenken.

Der eigenen Mutter, nach all den Jahren. Dem Schwieger­vater. Vor allem dem Schwiegervater. Der hätte das verdient. Und all die andern auch. Wie gerne würden wir die Gesichter sehen, wenn wir einfach einmal – der Schock und die Verblüffung. Es wäre eine wahre Freude.

Aber wir tun es nicht. Aus Angst. Aus Scham. Weil es sich nicht gehört. Lieber beissen wir uns die Zunge ab, als das, was uns auf der Zunge liegt und auf dem Herzen, einfach mal auszuspucken. Rauszurotzen. Wir schlucken es runter. Aber das tut uns nicht gut. Das Unge­sagte verschlägt uns die Sprache. Von innen her frisst es uns auf. Gallensteine kriegen wir davon und Herzinfarkte und schon früh diesen verkniffenen Ausdruck um den Mund herum, wie die Zalando-Kundinnen, die jeden Samstag ihre Lebenszeit in der Schlange am Postschalter verrinnen sehen, weil schon wieder nichts von den Kleidern gepasst hat.

Es ist zum Schreien. Es ist nicht schön. Und gesund ist es auch nicht.

Doch heute ist ein guter Tag, um das zu ändern. Fassen Sie sich ein Herz. Takten Sie den Schrittmacher ein bisschen höher. Suchen Sie sich einen Mitmenschen aus, einen, der schon lange verdient hat, dass Sie ihm mal sagen, was Sache ist. Stellen Sie sich breitbeinig vor ihm auf, und dann sagen Sie einfach mal, aber fadengerade, dass er sich noch Jahre später daran erinnert, sagen Sie dem einfach mal, was Sie wirklich von ihm halten: «Du, ich finde dich total toll und ­übrigens hab ich dich wahnsinnig lieb.» Und dann, bevor ihr Gegenüber fliehen kann, einfach mal umarmen. Und feste drücken. Ruhig auch ein paar Sekunden länger, als das allgemeine sittliche Empfinden als zulässig erachtet.

Dann werden Sie merken: Das ist ja gar nicht so schwer. Und gar nicht so peinlich. Und vor allem tut es wahnsinnig gut. Ihnen und der Welt. Probieren Sie es aus.

Icons von Freepik, www.flaticon.com

Arena

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 24. April 2018

Lassen Sie mich. Jetzt lassen Sie mich doch. Ich habe Sie vorher auch. Jetzt lassen Sie mich bitte. Lassen Sie mich doch bitte endlich auch. Ausreden. Nichts als Ausreden. Wer hat denn? Wer hat denn damals? Wer? Wer denn? Wir von der. Wir von der. Immer haben wir von der. Aber Sie. Sie. Und alle anderen. Wie immer. Unter den Teppich. Auf den Tisch. Einfach mal ins Auge. Das Blaue vom Himmel. Dem Volk. Unter den Nägeln. Brennts. Brandgefährlich. Brandstifter? Selber Brandstifter. Biedermänner wie Sie. So ist es doch. Habe meinen Dürrenmatt. Noch ganz frisch. Was sagen Sie denn jetzt dazu?

Die Zahlen? Bitte. Schauen wir doch mal. Ganz nüchtern. Die Zahlen. Sind doch eindeutig. Alleine letztes. Das schleckt keine Geiss. Sie haben andere Zahlen? Ich möchte mal wissen, woher Sie Ihre. Gut. Lassen wir die Zahlen mal beiseite. Es ist doch einfach so. Und das ist kein Einzelfall. Nur ein Beispiel. Jetzt lassen Sie mich doch. Nur ein Beispiel. Ich könnte noch dutzende. Aber das würde. Ich meine, es ist doch einfach so. Oder etwa nicht? Und was, bitteschön, ist denn mit den? Im Prinzip. Schön und gut. Aber. Aber. Aber. Da zeigen sich eben. Wieder. Die Grenzen. Die Grenzen wieder. Nicht einfach. Aber nicht einfach jeden. Ich bin kein. Aber. Das muss einfach einmal.

Alleine schon kulturell. Schlecken Ziegen. Ich meine, das wird kein Schleck. Und da müssen sich die in Bern. Also, alle ausser uns. Müssen sich die schon einmal. An der Nase. Denn das Volk. Also das Volk. Das Volk ist ja nicht. Und wenn das Volk. Dann nur. Weil Sie. Wie oft haben Sie denn schon? So kann es doch. Viel zu lange. Endlich wieder. Auch wenn das nicht allen.

Und darum frage ich Sie. Jetzt. Ganz offen. Frage ich Sie jetzt. Ich will von ihnen jetzt. Eine Antwort. Können Sie sich. Sparen. Sparen. Das Gebot der Stunde. Fünf vor zwölf. Wenn nicht. Dann guet Nacht am Sächsi. Nicht ewig melken. Das schleckt doch. Solange die Geiss noch heiss. Den Gürtel. Je enger, desto. Oder gleich ganz. Sonst stehen wir mit abgesägten. Und ein Hosenlupf ohne Trumpf im Ärmel? Da können Sie noch lange.

Die Bauern? Wieso denn die Bauern? Wir reden hier nicht von. Typisch. Wenn Ihnen die, dann gleich mit den. Dabei. Was wäre die Schweiz ohne? Übrigens, habe ich schon gesagt? Ich hab’ schon gesagt? Ich sag’s gerne noch einmal. Bis auch Sie. Und wenn nicht. Wird halt das Volk. Schallend. Darauf können Sie.

Darum lehnen. Wir von der. An der Urne. Ein wuchtiges. Damit die in Bern. Schliesslich geht es. Um mehr, als nur. Sondern auch. Und deswegen. Damit das mal. Ganz klar. Gesagt ist.

Stars und Sternchen

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 21. März 2018

Haben Sies auch gesehen, neulich Abend? Ganz grosses Kino. Ein Wahnsinnsaufgebot an Stars und Sternchen, die meisten hatte ich bis dahin noch gar nie gesehen. Ein himmlisches Spektakel. Wo das lief? Auf Sky TV. Nein, nicht dem Bezahlfernsehen. Gratisgucking. Openair. Mit diesem atemberaubenden halbkugelförmigen Bildschirm in Ultra-HD-Qualität. Man musste sich nur warm anziehen – und warten, bis der Wind die Wolken weggezappt hatte. Und dann zurücklehnen und staunen.

Sie sagen jetzt vielleicht, naja, so ein Sternenhimmel, das ist ja ganz nett, aber vom Unterhaltungswert her eher Dia-Abend bei Onkel Heinz als Netflix: voll gähn. Wenn Sie so denken, legen Sie die Fernsehbedienung weg und gehen Sie raus. Sie irren sich nämlich. Ich jedenfalls könnte nächtelang einfach durchgucken, vom ersten Aufscheinen des Abendsterns in der Dämmerung bis zum Abspann in den frühen Morgenstunden. Denn der Sternenhimmel explodiert ja regelrecht vor Geschichten, hinter jedem Sternbild steckt ein Mythos, eine Legende, Stoff genug für eine ganze Serie. Und es hat für jeden Geschmack etwas dabei: Helden und Monster für Fans von Hollywood-Blockbustern und Geschichten von Gier, Niedertracht und Machthunger für Freunde der psychologisch raffinierten Kammerspiele. Und Sex. Da ist zum Beispiel Orion, der notorische Himmelsschürzenjäger, der den sieben Plejaden nachstellt, um mit ihnen schändliche Dinge anzustellen. Ein ewiges #metoo.

Einen Oscar verdient haben natürlich auch die Spezialeffekte. Sterne sind ja nichts anderes als Sonnen, die fortlaufend Wasserstoff verbrennen, sich also selbst verzehren, um strahlend hell zu leuchten. So schön kann also ein Burnout sein. Und wenn man erst einmal versucht, sich die kosmischen Dimensionen vorzustellen, dann merkt man ganz schnell, was man ist: ein unbedeutender Fliegenschiss im Kosmos.

Apropos Schiss. Man sieht nachts auch die Internationale Raumstation vorüberschweben, die ISS, auf ihrer Bahn um die Erde. Ein helles Pünktchen, das sich von West nach Ost bewegt. Erst kürzlich habe ich gelesen, was die Astronautinnen und Astronauten an Bord mit dem machen, was ihr Verdauungstrakt in die Schwerelosigkeit entlässt. Sie entsorgen ihre Fäkalien nämlich einfach ins Weltall. Dort kreisen die schockgefrorenen Häufchen so lange um die Erde, bis sie in die Erdatmosphäre eintreten und verglühen – als Sternschnuppen.

Aus Scheisse wird Schönheit. Himmelskino vom Feinsten.

In diesem Sinne: zappendustere Nächte und einen klaren Himmel wünsch ich Ihnen.

40 881 Kilometer für ein Mittagessen

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 15. März 2018

Manchmal bin ich richtig einfallslos. Im Moment zum Beispiel fällt mir einfach gar nichts ein. Darum gibts heute ein Kochrezept. Rezepte gehen immer, finde ich. Manche Autorinnen und Autoren füllen ganze Bücher damit, weil ihnen sonst nichts einfällt. Und die verkaufen sich dann auch noch wahnsinnig gut. Weil vielen Menschen noch nicht mal ein Rezept einfällt. Also wirds für eine Kolumne schon reichen.

Item. Was kochen wir heute zusammen? Ich hab da an was Saisonales, Frühlingshaftes gedacht. Sie haben doch sicher auch langsam genug vom Winterspeck (und dem Sauerkraut dazu, kleiner Scherz), jetzt zaubern wir etwas Leichtes auf den Teller. Ein gluschtiges Pouletbrüstli, dazu Frühkartöffelchen, und natürlich ein paar Spargeln. Was? Spargeln sind nicht Saison, sagen Sie? Ich bitte Sie. Irgendwo haben die Dinger bestimmt Saison. Sonst gäbe es sie ja nicht bereits in allen Läden, und dazu noch im Sonderangebot.

Also, los, schnappen Sie sich ein Einkaufskörbchen. Und weil Kalorienzählen langweilig ist, zählen wir heute, einfach so aus Spass, mal die Kilometer. Einverstanden? Also, ein Pfund Spargeln brauchen wir. Woher kommen die? Aus Peru. Wahrscheinlich aus der Anbauregion La Libertad. Nehmen wir da mal eine Stadt, Ascope. Ascope–Düdingen, das macht 10 368 Kilometer. Luftlinie. Und weiter gehts. Frühkartoffeln. Kommen im Moment aus Ägypten. Macht aber nichts. Ist ja Bioqualität. Macht 2789 Kilometer. Plusminus. Ganz genau wollen wir es ja eigentlich gar nicht wissen. Oder?

Fehlt noch die Pouletbrust. Die gibts aus der Region. Kostet aber deutlich mehr als die tiefgefrorene aus Brasilien. Und wir kaufen schliesslich bewusst ein. Kostenbewusst. Das Samba-Hühnchen schlägt mit 8991 Kilometern zu Buche.

Haben Sie noch Lust auf Nachtisch? Ja? Wunderbar. Die Erdbeeren sehen so schön rot aus. Also gleich zwei Schälchen, kommen ja auch nur aus Spanien. Praktisch um die Ecke. 1579 Kilometer. Dazu natürlich Schlagrahm. Und weils so schön «Pfff» macht, kaufen wir heute mal Rahm in der Sprühdose. Kommt ja aus der Schweiz. Der Rahm. Wird aber in Belgien in die Aludose abgefüllt. Zweimal 667 Kilometer.

Macht total 25 061 Kilometer.

Und wir haben noch nicht mal den Wein aufgemacht. Ein australischer Shiraz würde gut passen (leichte Erdölnote, nachhaltig im Abgang). Und schon ist das Mass voll: 40 881 Kilometer. Einmal um die ganze Welt mit einem Mittagessen.

Dazu fällt mir jetzt nicht mal eine lustige Schlusspointe ein. So einfallslos bin ich heute. Oder sollte ich besser sagen, gedankenlos?

En Guete mitenand.

#NoBeilag

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 7. März 2018

«NoBillag» ist an der zwangssteuerfinanzierten Staatsurne versenkt worden. Gut so. Aber uns beschäftigen dieses Jahr noch weit brisantere politische Initiativen.

Schon in den nächsten Tagen will etwa die Fleisch­lobby Schweiz ihre Initiative «NoBeilag» lancieren. Die Berufskarnivoren fordern, dass ab 2020 an allen öffentlich-rechtlichen und privaten Kantinen jeden Mittwoch ausschliesslich Fleisch serviert wird, und sonst gar nichts. Service Schüblig. No Beilage. Nicht mal Pommes. Der «Meat-woch», so die Initianten, soll ein Zeichen sein im Kampf gegen den internationalen Veganismus und den staatlich verordneten Gemüseterror, die nichts anderes seien als ein «Totalangriff auf unsere christlich-abendländischen Cholesterinwerte».

Ähnliche Töne schlägt auch der bisher weitgehend unbekannte rechtsnationale Lyriker-Verband «Le Pen» an, der unter der Füllfederführung von Oskar Freysinger fordert: «Keine fremden Dichter». Verdichtung sei zwar auch in der Lyrik das Gebot der Stunde, argumentiert der Verband, das gesunde Versmass sei heute jedoch bei Weitem überschritten, die Dichterdichte zu gross, der Dichte(r)stress unerträglich geworden. Selbstbesinnung auf den heimischen Knittelvers tue not. Der Bundesrat schlägt als direkten Gegenvorschlag ein neues Reimabkommen mit der EU vor.

Weitgehend chancenlos dürfte das Begehren aus der Küche der Evangelikalen sein, die sich starkmachen für ein nationales «Furka-Verbot». Wie jeder wisse, so die frommen Christen, stamme der Name Furka vom lateinischen furca her, was zweizinkige Gabel heisse – ein Besteck, das klar auf den Satan verweise. Übrigens sei es ja wohl kein Zufall, dass die Furka-Bergstrecke genau 666 teuflische Spitzkehren zähle, was zwar nicht stimmt, aber hey, wen kümmern heutzutage noch Fakten?

Den Littering-Teufel an die Wand malen die Jungen Grünen. Sie sammeln bereits Unterschriften für ihr «Vermüllungsverbot» und finden es gar nicht lustig, wenn man sie fragt, wieso sie dafür ausgerechnet Wegwerfkugelschreiber verwenden. Der Gewerbeverband denkt über eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit nach und will frischgebackenen Vätern erlauben, sieben Tage die Woche durchzuarbeiten («Urlaub vom Papi-Sein», lautet der Slogan).

Und dann gibts da noch die Initiative «Mehr Transparenz beim Hornvieh»: Wenn ichs richtig verstanden habe, fordert sie, dass öffentlich-rechtliche Parteien offenlegen, von wem sie Spenden erhalten. Damit das Stimmvieh erkennt, von welchen Hornochsen es an der Nase herumgeführt wird. Oder so ähnlich.

Das kann ja heiter werden.

Bauer Gredig flucht

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 21. Februar 2018

Es hatte ihn ziemlich viel Überwindung gekostet, sich für diese Verkupplungsshow im Fernsehen anzumelden, für «Bauer, ledig, sucht». Vor der halben Schweiz sein Herz zu öffnen, das war noch weniger sein Ding als Subventionsanträge auszufüllen. Aber er hatte sich einen Ruck gegeben. Umso hässiger wurde Gredig deshalb, als er vom Sender eine schnöde Absage per Mail erhielt. Es tue ihnen leid, teilte ihm eine Frau Gabathuler mit, aber sie hätten erst gerade einen Bio-Poulet-Bauern aus dem Bündnerland in der Staffel gehabt, deshalb könnten sie ihn vorerst nicht berücksichtigen; sie würden ihn aber gerne auf die Warteliste setzen.

Er könne aber nicht warten, erklärte Gredig der überraschten Frau Gabathuler kurz darauf am Telefon. Schon früh habe er nämlich den Hof von seinen Eltern übernehmen müssen, weil es ihnen gesundheitlich schlecht gegangen sei. Dann habe er den Hof bewirtschaftet und zu seinen kranken Eltern geschaut – da sei halt keine Zeit geblieben, um unter die Leute zu kommen. Und in die Disco gehe er sowieso nicht gerne; dieses Herumgehüpfe, schlimmer als aufgescheuchte Hühner. Letztes Jahr seien dann seine Eltern gestorben, und jetzt sei es halt schon wahnsinnig einsam auf dem Hof, so alleine mit tausend Hühnern – und die Sendung sei seine letzte Hoffnung gewesen. Quasi.

Und dann schickte Gredig noch einen Fluch hintendrein. Aber nicht einfach ein «Gopffriedstutz» oder ein «Herrgottstärne», sondern eine anderthalbminütige Fluchtirade. Einfach so, aus dem Bauch heraus improvisiert, verreckt wüst, aber irgendwie auch unverschämt schön war dieser Fluch, von einer poetischen Wucht, die sich Gredig selber nicht zugetraut hätte. Es war, als hätten all der Frust und Schmerz, die sich über die Jahre hinweg in ihm angestaut hatten, endlich aus ihm rausmüssen.

Als Gredigs Fluchlawine ins Tal gedonnert war, blieb es einen Moment lang still in der Leitung. Wow, sagte dann Frau Gabathuler, ob er noch mehr derartige Flüche auf Lager habe? Daraus könnte man nämlich eine supercoole Mini-Serie fürs Internet machen. Die Jungen würden voll auf so was abfahren. Sie hätte auch schon den passenden Titel dafür: «Bauer Gredig flucht».

Und dann lachte sie, so charmant und herzerwärmend, dass der Ärger von Gredig auf einmal weggeblasen war wie der letzte Schnee vom Föhn.

Sie heisse übrigens Lisa, sagte sie, und falls er Lust habe, würde sie ihn gerne mal treffen. Ganz privat.

Seither flucht Gredig nur noch, wenn er gefragt wird, wie seine Frau und er sich eigentlich kennengelernt haben.