Abwarten

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 6. Mai 2025

Was tun wir jetzt?

– Wieso sollten wir etwas tun?

Wir müssen doch etwas tun, angesichts der Lage der Welt.

– Was müssten wir deiner Meinung nach denn tun?

Das weiss ich auch nicht so genau.

– Eben.

Und darum tun wir nichts?

– Wir tun nicht nichts. Wir beobachten die Lage.

Wir schauen zu, wie die Welt den Bach hinunter geht?

– Nein. Wir beobachten die Lage. Egal, in welche Richtung sie sich entwickelt.

Und wie lange tun wir das?

– Am besten, bis die Lage vorüber ist.

Also, bis die Welt den Bach hinunter gegangen ist?

– Was hast du auch immer mit deinen Bächen? Alles ist im Fluss. Auch die Lage. Und die beobachten wir sehr genau.

Und tun nichts?

– Wir tun nicht nichts. Wir tun, was wir können. Und beobachten können wir besonders gut.

Damit wir jederzeit auf die Lage reagieren können?

– Nein, damit wir im Nachhinein wissen, was wir hätten tun können, wenn wir etwas getan hätten.

Und wieso tun wir dann nichts, um Himmelswillen?

– Wenn wir etwas täten, würden wir ja eventuell die Lage verändern.

Eben!

– Und würden damit von Beobachtern zu Beeinflussern der Lage.

Genau!

– Und das missfiele eventuell dem einen oder anderen Lager, was die Lage für uns ungemütlich machen könnte. Darum müssen wir das sehr genau beobachten.

Du meinst, wegschauen?

– Aber sehr genau.

Aber wenn wir jetzt nichts tun, ist es zu spät!

– Zu spät wofür?

Um etwas zu tun.

– Was möchtest du denn tun?

Das weiss ich doch auch nicht so genau.

– Eben. Darum beobachten wir die Lage.

Und das machen wir immer so?

– Immer.

Damit wir nachher wissen, was wir hätten tun können?

– Genau.

Aber dann könnten wir jetzt doch etwas tun, mit all dieser Erfahrung vom Nichts tun?

– Diesmal ist die Lage ganz anders.

Also tun wir nichts?

– Wir beobachten und warten, bis sich die Lage entspannt.

Im Ernst? Abwarten und Tee trinken?

– Tee ist fakultativ. Hilft aber. Ich empfehle Baldrian. Das beruhigt.

Die Lage?

– Die eigene Gemütslage.

Fühlst du dich denn nicht auch ohnmächtig, wenn du nichts tust?

– Bei Ohnmacht empfehle ich die stabile Seitenlage.

Und das hilft?

– Das müssen wir natürlich genau beobachten.

2 Gedanken zu „Abwarten“

  1. Prima Text. Das liest sich wie eine Aktualisierung eines Theatertextes, der am 5. Januar 1953 seine Uraufführung hatte: „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett

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