Klomonokel

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 2. September 2025

Ständig muss man alles bewerten. Neulich kaufte ich in einem Onlineshop ein. Kaum war die Ware da, bekam ich auch schon eine E-Mail. «38‘885 Besucher warten auf deine Bewertung.» 38‘885 Besucher! Ich spürte einen immensen Druck und war gleich verstopft, also mental. Was ich bestellt hatte? Eine WC-Brille. Als gestandener Sitzpinkler möchte ich nicht ohne. Weshalb mir sofort klar war: In ihrer Not durft‘ ich die 38‘885 Wartenden nicht im Stich lassen. Bloss, wie bewertet man eine WC-Brille? Passt auf Schüssel wie Arsch auf Eimer, ist ja wohl nicht sehr hilfreich.

Während sich mein Magen verkrampfte, blähten sich meine Gehirnwindungen. Wieso heisst es überhaupt WC-Brille? Logisch, dass eine Schüssel, pardon my French, scheisswichtig ist. Aber weitsichtig? Oder wieso braucht sie eine Sehhilfe? Und wieso nennen wir das Ding überhaupt WC-Brille? Es besteht doch nur aus einem einzigen Ring, durch den man durchblicken kann. Und Brillenglas hats auch keines drin. Zum Glück. Sonst würde beim «Blick zurück» auch «ein Griff zum Besen» nichts mehr ausrichten können. Kurz, der Name ist eine sprachliche Flatulenz. Wenn schon, müsste es Klomonokel heissen, rumorte es «tutsuit» in mir. Während die Bewertung partout nicht rausflutschen wollte.

Immerhin warteten inzwischen nur noch 38‘884 darauf. P. Bidé aus Stühlingen hatte inzwischen, das verriet mir der Liveticker auf der Händlerwebsite, den Toilettensitz «Borkum» mit Absenkautomatik gekauft. Eines von – ohne Sch… – über 2000 Modellen, die der Onlinehändler feil bot. Wozu, im dreilagig feuchten Namen von Hakle, müssen wir aus über 2000 WC-Brillen aussuchen können? Ist das die Freiheit, für die Tell anno 1291 Gessler vom Klosomaten schoss?

Ich bin sonst nicht so, aber bei WC-Brillen befürworte ich eine sozialistische Planwirtschaft: Eine helvetische Einheitsklobrille, Modell «Hohle Gasse», gefertigt in der staatlichen Klomonokelfabrik in Ober-Hüslikon bei Kloten. In den immerwährenden Saisonfarben Neutralweiss, Bundesordner und Café Complet. Was für ein Segen. Statt Stunden zu verbringen mit dem Auswählen und Bewerten von WC-Brillen, endlich Zeit für die wirklich wichtigen Geschäfte.

Das schrieb ich dann auch genauso in meine Bewertung. Auf die inzwischen nur noch 38’883 Besucher warteten (L.A. aus Trin entspannte sich inzwischen auf dem WC-Sitz «Relax»). Und dazu noch: «Angenehm hart im Ansitz, mit langem Abgang, einfach wiederverschliessbar. Fünf Sterne.»

Das Überraschende? User «klosomat1291» fand meine Bewertung hilfreich.

Was mich irgendwie ungemein erleichterte.

Bild: Pixabay

Klasse Gesellschaft

Ich schreibe nicht nur Kolumnen für die «Freiburger Nachrichten» (die nächste erscheint übrigens am 2. September und ich habe noch keine Ahnung, worum es gehen soll). Zwischendurch beantworte ich für die Askforce auch Fragen aus der Leserschaft.

Heute will zum Beispiel Willy S. aus Sevilla wissen: «Was ist ein Erstklasspassagier in einem Transportmittel ohne Zweitklasspassagiere?» Rein statistisch gesehen: ziemlich unwahrscheinlich. Aber mit dieser zweitklassigen Antwort wird sich Willy wohl zu Recht nicht zufriedengeben. Denn seine erstklassige Frage berührt den Kern unseres Menschseins: Wer bin ich? Und brauche ich dazu die anderen?

Gespannt, wie es weiter geht? Die ganze Antwort gibt es hier. Und schon ab 36 Franken flattert Montag für Montag eine weitere Antwort der Askforce in deinen Briefkasten, wenn du das möchtest. Zum erstklassigen Abo geht es hier lang.

Handy im Weinberg

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 1. Juli 2025

Der Intercity schiesst aus dem Tunnel, und urplötzlich liegt einem der Genfersee zu Füssen, ein Teppich der Verheissung, gewoben aus glitzernden Träumen. Die Weinberge schmiegen sich an die Hänge, als hätten die Gletscher nur eins im Kopf gehabt, als sie diese Landschaft formten: Chasselas. Der Anblick ist überwältigend. Die Deutschschweizer sollen hier früher ihre Retourbillette zerrissen und aus dem Zugfenster geworfen haben. Sagt der Volksmund. Zum typischen Terroir des Weins dürften aber eher die zur damaligen Zeit noch offenen Zugtoiletten beigetragen haben. Sagen böse Zungen.

Tempi passati. Die Zugfenster lassen sich schon lang nicht mehr öffnen, und selbst wenn – das neue Handy mit dem Onlineticket aus dem Fenster zu schmeissen, auf diese Idee kommt kein Deutschschweizer, auch nicht nach vier Ballons Chasselas im Zugbistro.

Wobei, vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, seine Reise damit zu beginnen, das Handy zu entsorgen. Denn das steht dem wahren Erlebnis im Weg, der Entspannung sowieso. Weil es so praktisch ist, seine Timeslots ohne Wartezeiten fürs Museum online zu kaufen, bucht man gleich drei am Tag und weiss am Abend nicht mehr, was man gesehen hat.

Lassen wir doch Google Maps in der Tasche und verirren uns stattdessen fröhlich im Gassengewirr fremder Städte. Sich planlos treiben zu lassen, führt oft zu den schönsten Entdeckungen. Ganz nebenbei kommt man so auch locker auf seine 10’000 Schritte. Was sich allerdings nicht überprüfen lässt. Den Schrittzähler hat man ja nicht im Hosensack.

Den Föteler auch nicht. Weshalb man sich, statt von einem instagrammablen OMG-Fotospot zum nächsten zu hetzen, ruhig an den See setzen, den Aquarellkasten hervorkramen und ein Bild malen kann, das man nie, nie, nie irgendwo posten wird. Das einem aber das schöne Gefühl gibt, den See wirklich gesehen zu haben – und vom See zumindest bemerkt worden zu sein.

Statt stundenlang durch Restaurantbewertungen zu scrollen, einfach mal die Verkäuferin in der Bäckerei nach ihrem Geheimtipp fragen. Vielleicht wird’s ein Reinfall, vielleicht ein Abend, an dem alles passt – das Essen, der Wein und die Gespräche. Zeit dazu hat man auf jeden Fall, weil man das Essen nicht posten muss. Das Handy liegt ja im Weinberg und erschreckt mit seinem Gedudel die Vögel.

Und anstatt den Familienchat mit Ferienfotos zu fluten, schreibt man ganz altmodisch eine Postkarte: «Nur mit dir wäre es hier noch schöner.» Das kommt immer gut an.

Auf der Rückreise kann man sein Handy wieder aus dem Weinberg holen. Bestenfalls merkt man: Verpasst habe ich nichts.

Bild: Oksana Bürki/Unsplash

Eisenbahn für Autokraten

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 3. Juni 2025

Ist das jetzt die Midlife-Krise? Muss wohl. Anders kann ich mir nicht erklären, wieso ich mir aus einer Laune heraus im Internet eine gebrauchte – nein, keine Harley Davidson, so gut sollten Sie mich inzwischen kennen –, eine gebrauchte Modelleisenbahn gekauft habe. Für die Kenner unter Ihnen (also die Werners, Bernhards und Ottos ums Pensionsalter rum): Märklin, Spur HO, analog, M-Geleise, also richtig old school.

Ich weiss, was Sie jetzt vielleicht denken (ausser die Werners, Bernhards und Ottos). Modelleisenbahn? Das ist doch ein Hobby für Chnuschtis, die mit der Komplexität der modernen Welt nicht zurechtkommen und sich daher im Hobbykeller eine überschaubare Welt im Massstab 1:87 erschaffen, in der sie gottgleich schalten und walten können. Na und? Gerade deshalb würde ich dieses Hobby gewissen Männern ans Herz legen.

Stellen Sie sich vor, Donald Trump würde seine Pippi Langstrumpf’schen Allmachtsphantasien («Ich mach‘ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt») nicht im ovalen Büro in Washington ausleben, sondern im Modelleisenbahnkeller seines Golfhotels. Die einzigen Menschen, die dabei zu Schaden kämen, wären daumennagelgrosse Plastikfigürchen. Die Welt wäre ein besserer Ort. Und um eine Touristenattraktion reicher – «the biggest, best and most beautiful modelleisenbahnanlage». Drunter würde es Trump nicht machen. Wäre das ein passendes Geschenk, wenn Sie mal ins Weisse Haus geladen werden, liebe Karin Keller-Sutter? Kein Jumbo, sondern eine Eisenbahn für den Autokraten.

Aber ich schweife ab. Anders als mein Märklin-Zug. Der bleibt schön in der Spur, auch wenn ich ihn mit Karacho über die Weichen jage. Höchstens ein paar Funken schlägt er dann. Was meinem doch eher biederen neuen Hobby einen willkommenen Ruch von Gefährlichkeit verleiht.

Während meine Gotthard-Lok Ae 6/6 mit ihren Güterwaggons unbeirrt ihre Runden dreht, tschägeräng, tschägeräng, tschägerang, lasse ich meine Gedanken kreisen. Dazu lädt die Eisenbahn als Metapher fürs Leben geradezu ein. Bin ich noch im Takt unterwegs? Oder in Routinen festgefahren? Welche Züge habe ich verpasst, und welche haben einfach Verspätung? Muss ich die Weichen neu stellen, um nicht auf dem Abstellgleis zu landen? Brauche ich vielleicht doch eine Harley Davidson? Fragen, die man sich in der Lebensmitte halt so stellt.

Wenn sich meine Gedanken dabei festfahren, drehe ich den Märklin-Trafo auf, bis die Funken sprühen.

Midlife-Krise? Der nächste Fahrplanwechsel kommt bestimmt. Mal schauen, was er bringt.

Abwarten

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 6. Mai 2025

Was tun wir jetzt?

– Wieso sollten wir etwas tun?

Wir müssen doch etwas tun, angesichts der Lage der Welt.

– Was müssten wir deiner Meinung nach denn tun?

Das weiss ich auch nicht so genau.

– Eben.

Und darum tun wir nichts?

– Wir tun nicht nichts. Wir beobachten die Lage.

Wir schauen zu, wie die Welt den Bach hinunter geht?

– Nein. Wir beobachten die Lage. Egal, in welche Richtung sie sich entwickelt.

Und wie lange tun wir das?

– Am besten, bis die Lage vorüber ist.

Also, bis die Welt den Bach hinunter gegangen ist?

– Was hast du auch immer mit deinen Bächen? Alles ist im Fluss. Auch die Lage. Und die beobachten wir sehr genau.

Und tun nichts?

– Wir tun nicht nichts. Wir tun, was wir können. Und beobachten können wir besonders gut.

Damit wir jederzeit auf die Lage reagieren können?

– Nein, damit wir im Nachhinein wissen, was wir hätten tun können, wenn wir etwas getan hätten.

Und wieso tun wir dann nichts, um Himmelswillen?

– Wenn wir etwas täten, würden wir ja eventuell die Lage verändern.

Eben!

– Und würden damit von Beobachtern zu Beeinflussern der Lage.

Genau!

– Und das missfiele eventuell dem einen oder anderen Lager, was die Lage für uns ungemütlich machen könnte. Darum müssen wir das sehr genau beobachten.

Du meinst, wegschauen?

– Aber sehr genau.

Aber wenn wir jetzt nichts tun, ist es zu spät!

– Zu spät wofür?

Um etwas zu tun.

– Was möchtest du denn tun?

Das weiss ich doch auch nicht so genau.

– Eben. Darum beobachten wir die Lage.

Und das machen wir immer so?

– Immer.

Damit wir nachher wissen, was wir hätten tun können?

– Genau.

Aber dann könnten wir jetzt doch etwas tun, mit all dieser Erfahrung vom Nichts tun?

– Diesmal ist die Lage ganz anders.

Also tun wir nichts?

– Wir beobachten und warten, bis sich die Lage entspannt.

Im Ernst? Abwarten und Tee trinken?

– Tee ist fakultativ. Hilft aber. Ich empfehle Baldrian. Das beruhigt.

Die Lage?

– Die eigene Gemütslage.

Fühlst du dich denn nicht auch ohnmächtig, wenn du nichts tust?

– Bei Ohnmacht empfehle ich die stabile Seitenlage.

Und das hilft?

– Das müssen wir natürlich genau beobachten.

Prioritäten setzen

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 1. April 2025

Täglich aufs Neue setze ich Prioritäten. Das Problem: Trotz grünem Daumen wollen sie nicht so recht spriessen in meinem Gedankengärtchen. Was daran liegen mag, dass ich vielseitig interessiert bin. Sprich, mich gerne ablenken lasse. Wo war ich noch gerade? Genau, Prioritäten setzen. Staubsaugen zum Beispiel hätte aktuell höchste Priorität. Unter dem Sofa tanzen die Staubmäuse. Und auf dem Fensterbrett liegt noch der Saharastaub vom letzten Jahr.

Doch kaum nehme ich den Staubsauger zur Hand, sehe ich durch die Terassentür einen Vogel im Garten sitzen, den ich noch nie gesehen habe. Schwupps, schon macht die Priorität Staubsaugen die Flatter. Unbedingt will ich jetzt wissen, was das für ein Federvieh ist. Ein Bluthänfling, bin ich nach dem Studium verschiedener Bestimmungsbücher sicher. Und schon vertiefe ich mich in den Gesang des Bluthänflings, der meist mit wiederholtem «gigigigi» beginnt, denen der Finkenvogel dann ein hastiges Gemisch von kurzen Lauten und Trillern hinterherschickt wie «piuu», «trrrüh» und «tu-ki-Jüü».

Ornithologie wäre ein schönes Hobby für die zweite Lebenshälfte, denke ich, und mache mich im Internet kundig, ob ein Spektiv oder ein Fernglas besser geeignet ist für die Vogelbeobachtung. Und weil Ricardo nur einen Mausklick entfernt ist, suche ich gleich nach einem geeigneten Second-Hand-Feldstecher. Lasse mich dann aber von den eingeblendeten Inseraten ablenken. Wieso will mir das Internet einen Staubsaugerroboter andrehen? Ich widerstehe dem Kaufreflex und google stattdessen, was Saharastaub anrichtet (er macht das Amazonasbecken fruchtbar und lässt als Kondensationskeime Hurrikane entstehen)). Diese Frage trieb mich schon lange um. Wieso eigentlich?

Als ich mein Handy weglege, sehe ich den Staubsauger und packe ihn wieder zurück in den Schrank. Ordnung hat bei mir immer oberste Priorität. Ausser bei den Prioritäten. Weshalb ich erst jetzt merke, was meine eigentliche Priorität für heute gewesen wäre: Ein neues «Übrigens» für die «Freiburger Nachrichten» zu schreiben.

Ich öffne die Terrassentüre: Frische Luft bringt frische Ideen. Ich setze mich an den Laptop, pfeife gedankenverloren «Gigig-gigi-gigi-gigi, piuu, trrrüh, tu-ki-jüü, tu-ki-jüü» vor mich hin (wo habe ich das nur wieder aufgeschnappt?) und merke gar nicht, wie der Frühlingswind so heftig durch die Terrassentür bläst, dass er die Staubmäuse unter dem Sofa in einem Wohnzimmerorkan aufwirbelt und mit sich fortträgt. Vielleicht nicht gleich bis ins Amazonasbecken. Aber weg ist meine vermeintliche Top-Priorität auf jeden Fall.

Vom Winde verweht.

Bild: Pixabay

Memento mori

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 4. März 2025

Es dauert nicht mehr so lange, wie es schon gedauert hat. Wie oft habe ich diesen Satz als Kind gehört. Er gehörte zu unseren Wanderungen dazu wie die Landjäger und die Sportmint-Bonbons. Und ich mochte ihn genauso wenig wie den lauwarmen Pfefferminztee, der mit jeder Stunde mehr nach Plastikflasche schmeckte.

Unsere Familienferien waren eine endlose Wanderung. So kam es mir als zehnjähriger Knirps jedenfalls vor. Im Frühtau aus den Federn und mit dem ersten Bähnli jeden Tag auf neue Höger hoch. Das Wandern ist des Mosers Lust, das Wa-a-andern! Fand zumindest mein Vater. Mein Bruder und ich sehnten uns meistens eher nach Siestaspass als nach Sustenpass. Wenn wir zu stöhnen begannen, kam von der Spitze der Wanderkolonne der Satz «Es dauert nicht mehr so lange, wie es schon gedauert hat». Und von hinten ein Sportmint.

Das ist Jahrzehnte her. Inzwischen brauche ich den Satz selbst ständig. Denn er ist das Schweizer Sackmesser der deutschen Sprache – multifunktional und in jeder erdenklichen Situation hilfreich. Der Chef drängt auf eine Deadline? Es dauert nicht mehr so lange, wie es gedauert hat. Der Zahnarzt fuhrwerkt schon seit einer Stunde im Mund herum? Es dauert bestimmt nicht mehr so lange, wie es gedauert hat. Müssen wir Trump noch lange als Präsidenten ertragen? Es dauert nicht mehr so lang… Gut, das stimmt nicht. Aber das ist ja das Schöne an diesem Satz. Als Motivations-Sugus hilft er uns, durchzuhalten, weiterzulaufen, nicht aufzugeben – auch wenn «die Strassen ohne Wende, und was wir lieben fern» (Lieder singen war auch so ein Trick meiner Pfadfindereltern).

In den letzten Jahren hat der Satz für mich eine neue Bedeutung bekommen. Rein statistisch gesehen habe ich die Hälfte meines Lebens schon hinter mir. Es dauert nicht mehr so lange, wie es schon gedauert hat. Der Satz ist ein Memento mori, das mich daran erinnert, wie flüchtig das Leben ist und wie prägend Erlebnisse. Denn eigentlich waren unsere Wanderferien toll. Wie weich doch das Bett war damals auf der Schynigenplatte nach der siebenstündigen Wanderung, und wie kühl das «Goggi». Was für ein Abenteuer, beim Planplatten mitten im Sommer ein Schneefeld zu traversieren. Und dieser Adrenalinkick, als wir mit schlotternden Knien den Hang hinab seckelten, um das letzte Postauto ins Tal nicht zu verpassen.

Höchste Zeit, meine Familie im Frühtau aus den Federn zu klopfen. Das erste Bähnli wartet nicht, und es gibt noch so viele Höger zu entdecken. Und wenn meine Kinder nach ein, zwei Stunden zu maulen beginnen, weiss ich zum Glück schon, was ich Ihnen sagen werde.

Lob der Schleimerei

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 10. Februar 2025

Die Hain-Schnirkelschnecke ist das Tier des Jahres – und ich bin ganz aus dem Häuschen. Denn ich liebe Schnecken. Mit Zimt, nicht mit Knoblauchsauce. Am liebsten aber mag ich sie in freier Natur. Faszinierende Geschöpfe. Einzig bei den Nacktschnecken hört meine Liebe auf. Da bin ich prüde. Beziehungsweise von meinem Vater sozialisiert, einem passionierten Gärtner, der diesen FKKlern mit einer rostigen Schere den Garaus machte.

Die Hain-Schnirkelschnecke aber, die ist mir sympathisch. Ich denke, wir könnten uns einiges von ihr abgucken. Sie macht nämlich, wie alle Schnecken, einen äusserst wertvollen Job. Sie verwandelt verwelkte Pflanzenteile, Aas oder Tierkot in wertvolle Erde und hält damit unsere Böden fruchtbar. Oft sind es eben die Stillen und scheinbar Unscheinbaren, die wir gerne übersehen, die unsere Aufmerksamkeit und unseren Applaus verdient hätten. Und nicht die Lautsprecher, Muskelprotze und Plagööris, die andere gerne zur Schnecke machen.

Natürlich läge es nahe, hier das Lob der Langsamkeit zu singen. Die Hain-Schnirkelschnecke als Vorbild der Entschleunigung und Achtsamkeit. Schneckentempo statt Tempoteufel. Aber mal ganz ehrlich? Sich nur noch 3,5 Meter pro Stunde fortbewegen? Da käme ich nie auf meine 10000 Schritte am Tag und würde angesichts meiner Ernährung (Zimtschnecken!) bald so fett, dass ich nicht mal mit tüchtig Knoblauchsauce geniessbar wäre.

Inspirierender als ihr Tempo finde ich das Hilfsmittel, mit dem sich Schnecken fortbewegen: ihren Schleim. Damit bauen sich Schnecken ihre eigene Strasse, auf der sich unbeschadet auch über spitze Sachen und rauen Untergrund kriechen können. Ihr Schleim ist so stark, dass sie damit sogar senkrechte Mauern hochkommen.

Eine solche Schleimspur bräuchten wir in Zeiten wie diesen, wo die Menschen wieder Mauern hochziehen und sich in ideologischen Schützengräben verschanzen. Und wo orange-braune Machtschnecken mit dem Fein- und Mitgefühl einer Dampfwalze die zarten Pflänzchen Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte platt machen.

Natürlich könnten wir angesichts der garstigen Welt in unser Häuschen zurückziehen. Aber wie wäre es, wenn wir stattdessen diesen Widerwärtigkeiten begegneten, indem wir uns eine fette Schleimspur legen würden? Eine Schleimspur aus Anstand, Höflichkeit, Rücksicht und Liebe, auf der wir langsam, aber unbeirrt vorankämen. Und dabei auch die eine oder andere scheinbar unüberwindbare Mauer bezwingen würden.

Ich glaube, das wäre nicht die schlechteste Art, durchs Leben zu gehen.

Danke, liebe Hain-Schnirkelschnecke, fürs Vormachen.

PS: Am Mittwoch, 12. Februar, lese ich meine Lieblingskolumnen im Senslerhof in St. Antoni. Beginn: 13.30 Uhr

Bild: Mad Max/Wikipedia

Gnägi und Gnagi

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 1. Februar 2025

Der oberste Schweizer Bauer will Verteidigungsminister werden. Das ist nur logisch. Als Ritter versteht Markus etwas von Rüstung. Feldherr ist er als Bauer schon per Definition. Und den angestrebten Branchenwechsel kennt der Mitte-Politiker aus der Bibel. Schon Jesaja empfahl bekanntlich, «Pflugscharen zu Schwertern» zu machen und «Sicheln zu Spiessen». Oder war es umgekehrt? Egal.

Markus Ritter glaubt, zu haben, was es fürs Amt braucht. Bei der Ankündigung seiner Kandidatur sagte er, er habe noch nie ein Haus verlassen, dass er zuvor nicht picobello aufgeräumt habe. Was im Klartext wohl so zu verstehen ist, dass er jeden Stall auszumisten weiss. Und sich nicht zu schade ist, dafür in die Gummistiefel zu steigen. Wie man milliardenschwere Budgets im Parlament durch feindliches Sparfeuer bringt, hat er zur Genüge bewiesen. Unter ihm dürfte es definitiv zu Ende sein mit der geizigen Landesverteidigung.

Böse Zungen behaupten, der Bauernpolitiker Markus Ritter würde bei einer Wahl ins VBS bei der erstbesten Gelegenheit ins Wirtschaftsdepartement wechseln, um wieder Landwirtschaftspolitik zu machen. Dabei ist das gar nicht nötig. Als bAdA im BuRa – als bäuerlicher Angehöriger der Armee im Bundesrat – hätte er es in der Hand, die Synergien zwischen Landwirtschaft und Landesverteidigung offensiv zu nutzen, die bislang brach liegen.

Denken Sie nur an das bäuerliche Waffenarsenal. Hagelraketen und Chriesichlöpfer wären im Ernstfall eine willkommene Komplettierung der Munitionsvorräte der Armee. Umgekehrt könnten Zivilschützer ihren Dienst künftig als lebende Vogelscheuchen in Schweizer Obstkulturen verrichten. Spannender als die heutigen Einsätze wäre das allemal.

Doch damit nicht genug: Statt am Lauberhorn Pisten zu präparieren, könnten WK-Soldaten Spargel stechen und Erdbeeren pflücken. Die Panzertruppe pflügt die Felder und die Artillerie nimmt die Schafe reissenden Wölfe ins Visier. Und das Obligatorische könnte man künftig auch auf Bauernhöfen absolvieren – bei Hofschlachtungen.

Um die Schweizer Urproduktion zu fördern, würde das Trikothemd 75 aus heimischem Flachs gesponnen statt aus importierter Baumwolle. Und in den Kasernen gäbe es statt Tofu-Curry fleischlastige Landfrauenküche. Ganz nach dem Motto: Schweizer Gnägi, Schweizer Gnagi.

Und wenn Trump plötzlich Lust bekäme, nach Grönland noch die Schweiz zu annektieren, könnte Ritter seine Geheimwaffe einsetzen. Nein, nicht seinen St. Galler Dialekt (dieser Witz ist wirklich zu plump).

Nein, ein gezielter Einsatz des Güllegeschwaders – und schon gehört die Lufthoheit uns.

PS: Meine Kolumnen und mich gibts wieder mal live. Am Mittwoch, 12. Februar 2025, trete ich um 13.30 Uhr im Restaurant Senslerhof in St. Antoni auf.

Am Po der Kalypse

Askforce-Beitrag 1162 vom 20. Januar 2025

Was würde eigentlich passieren, wenn wir uns den Mond auf die Erde holten? Diese Frage habe ich für die Askforce beantwortet. Um es kurz zu machen: Wir wären am Po der Kalypse. Weiterlesen

Und wenn Sie gerne etwas über die Suchtproblematik unseres Trabanten lesen möchten, könnte Ihnen vielleicht dieses «Übrigens» aus dem Archiv gefallen: Der Mond ist voll

Viel Spass.