«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 31. Januar 2024
Marketing ist alles. Haferbrei zum Beispiel war früher «bäh», seit er als Porridge verkauft wird, ist die Pampe der neue heisse Scheiss. Diesen Trick mache ich mir jetzt auch zunutze. Denn ich habe ein Problem. Als Vollzeitmensch mit Teilzeitstelle passiert es mir nämlich ab und an, dass mitten an einem Werktag weder mein Chef noch meine Familie nach mir verlangen, und auch der Haushalt nicht gemanagt werden will (faul rumliegen kann der Staub auch ohne mich). Dann sitze ich so da, sehe die Sonne vor dem Fenster und denke: Ein Spaziergang wäre jetzt ganz schön. Den mache ich dann auch, aber mit schlechtem Gewissen. Denn während ich dem unproduktiven Müssiggang fröne, müssen die andern doppelt schuften, damit das Bruttosozialprodukt nicht in den Keller rauscht.
Deshalb sage ich seit Neustem nicht mehr «ich gehe spazieren», sondern «ich kümmere mich um mein Start-up». Da sind immer alle gleich ganz Ohr: Oha, Start-up, cool! Wenn ich dann aber sage «Ich habe eine Vitamin-D-Manufaktur am Laufen», blicke ich erstmal in angewiderte Haferbrei-Gesichter. Was, du machst Lebertran? Iwo, entgegne ich, mein Start-up habe einen revolutionär anderen Ansatz. Die Disruption des Vitaminpülverli-Businesses sei der Purpose, für den ich am Ende des Tages die Extrameile gehe (Start-ups reden wirklich so, achten Sie mal drauf). Mein Geheimnis? Artisanal hergestelltes Craft-Vitamin-D, nach altem Familienrezept sorgfältig fermentiert in der körpereigenen Mikrobrauerei, radikal nachhaltig produziert mit hautgepflückten und regional zertifizierten Sonnenstrahlen, klimapositiv und kaloriennegativ. Koscher, halal und römisch-katholisch. Der Porridge unter den Vitaminen.
Produziert wird fortlaufend unter freiem Himmel, Vitamine on the go, sozusagen. Only the sky is the limit: Vom Oktober bis März sind Betriebsferien – was übrigens super ist für die Work-Life-Balance. Und natürlich exklusive Produktion, personalisierte Kleinmengen, limited special Edition, also eigentlich nur Eigenbedarf. Wie sich damit Geld verdienen lässt? The idea is the product, stupid. Franchising natürlich: Jeder seine eigene Vitamin-D-Manufaktur, jede eine Filiale von «my D & me» – übrigens, cooler Brand, oder? Hautsache Sonne, dann läufts. Tscheggsch?
Spätestens dann schaut mich mein Gegenüber kopfschüttelnd an: «Du solltest dringend wieder mal an die frische Luft, Stephan. Geh doch mal spazieren.»
Was mir einmal mehr beweist, wie genial meine Idee ist.
Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich meine durchgelatschten Schuhsohlen dem Steueramt als Arbeitsspesen verkaufen kann.
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Bild: Sara Kauten/Unsplash