«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 20. Januar 2015
Es gibt drei zuverlässige Methoden, an einer Party in Sekundenschnelle zum sozial Aussätzigen zu werden: Man wirft nonchalant in die angeregte Runde, man halte Roger Federer für einen überbewerteten Langweiler und überhaupt sei Tennis ein Sport für Bekloppte. Man pinkelt vor allen Augen ins Goldfischglas des Gastgebers und greift nachher – ohne die Hände zu waschen – in die Schale mit den Wasabi-Nüsschen. Oder man fragt sein Gegenüber schlicht, wie viel es pro Monat verdiene.
Es ist schon seltsam. Wir leben in schamlosen Zeiten: Je peinlicher, desto berühmter und umgekehrt, und ungeniert breiten wir auf dem digitalen Marktplatz unser Seeleninnerstes aus. Aber die Zahl auf unserem Lohnausweis, die verraten wir nur dem Steueramt. Und das auch nur, weil wir müssen.
Dabei wäre es doch alles viel einfacher, wenn in Sachen Lohn völlige Transparenz herrschen würde. Beim ersten Date zum Beispiel: «Hallo, ich bin die Julia und verdiene 8000 brutto. Und du?» Und schon wäre klar, wer den nächsten Drink spendiert. Und beim Vorstellungsgespräch würde der peinliche Eiertanz um die Lohnfrage wegfallen («Was haben Sie sich denn vorgestellt?» – «Was können Sie denn zahlen?» – «Sie zuerst!» – «Nein, Sie!»).
Denn das Lohn-Tabu ist völlig unbegründet. Es hat ja niemand etwas zu befürchten, wenn alle wissen, wie viel er verdient. Lohn zu bekommen, ist nichts Peinliches oder Unanständiges. Sondern etwas ganz Faires: Man wird für seine Arbeit entlöhnt. Und je schmutziger, anstrengender oder gefährlicher eine Arbeit ist, desto mehr Lohn … Ach, nein, so funktioniert das ja nicht. Aber vielleicht so: Je länger einer die Schulbank drücken musste für einen Job und je mehr Verantwortung er trägt, desto höher sein Gehaltsscheck.
Wobei das ja auch nur bis zu einer bestimmten Gehaltsstufe gilt. Ab dann sind die Löhne reine Fantasie: Der Verwaltungsratspräsident zählt still in 100 000er-Schritten vor sich hin, und der neue CEO sagt möglichst spät «Stopp». Und das ist dann der Jahreslohn. Zum Beispiel 11,9 Millionen Franken. So viel verdient Roche-Chef Severin Schwan. Ein anständiger Zapfen. Oderunanständig viel Geld? Schwan selbersagte dazu unlängst in einem Interview, er würde sich nicht schlechter fühlen, wenn er nur die Hälfte verdienen würde. Verzichtet hat er dann allerdings freilich nicht.
Und nach diesem Plädoyer für Lohntransparenz wollen Sie natürlich jetzt wissen, wie viel ich verdiene. Na gut. Achtung, Trommelwirbel: Deutlich weniger als ein Prozent von Schwans Jahreslohn. Und im Gegensatz zu Schwan würde ich mich ziemlich mies fühlen, wenn ich nur die Hälfte davon bekäme.