Das letzte Tabu

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 20. Januar 2015

Es gibt drei zuverlässige Methoden, an einer Party in Sekundenschnelle zum sozial Aussätzigen zu werden: Man wirft nonchalant in die angeregte Runde, man halte Roger Federer für einen überbewerteten Langweiler und überhaupt sei Tennis ein Sport für Bekloppte. Man pinkelt vor allen Augen ins Goldfischglas des Gastgebers und greift nachher – ohne die Hände zu waschen – in die Schale mit den Wasabi-Nüsschen. Oder man fragt sein Gegenüber schlicht, wie viel es pro Monat verdiene.

Es ist schon seltsam. Wir leben in schamlosen Zeiten: Je peinlicher, desto berühmter und umgekehrt, und ungeniert breiten wir auf dem digitalen Marktplatz unser Seeleninnerstes aus. Aber die Zahl auf unserem Lohnausweis, die verraten wir nur dem Steueramt. Und das auch nur, weil wir müssen.

Dabei wäre es doch alles viel einfacher, wenn in Sachen Lohn völlige Transparenz herrschen würde. Beim ersten Date zum Beispiel: «Hallo, ich bin die Julia und verdiene 8000 brutto. Und du?» Und schon wäre klar, wer den nächsten Drink spendiert. Und beim Vorstellungsgespräch würde der peinliche Eiertanz um die Lohnfrage wegfallen («Was haben Sie sich denn vorgestellt?» – «Was können Sie denn zahlen?» – «Sie zuerst!» – «Nein, Sie!»).

Denn das Lohn-Tabu ist völlig unbegründet. Es hat ja niemand etwas zu befürchten, wenn alle wissen, wie viel er verdient. Lohn zu bekommen, ist nichts Peinliches oder Unanständiges. Sondern etwas ganz Faires: Man wird für seine Arbeit entlöhnt. Und je schmutziger, anstrengender oder gefährlicher eine Arbeit ist, desto mehr Lohn … Ach, nein, so funktioniert das ja nicht. Aber vielleicht so: Je länger einer die Schulbank drücken musste für einen Job und je mehr Verantwortung er trägt, desto höher sein Gehaltsscheck.

Wobei das ja auch nur bis zu einer bestimmten Gehaltsstufe gilt. Ab dann sind die Löhne reine Fantasie: Der Verwaltungsratspräsident zählt still in 100 000er-Schritten vor sich hin, und der neue CEO sagt möglichst spät «Stopp». Und das ist dann der Jahreslohn. Zum Beispiel 11,9 Millionen Franken. So viel verdient Roche-Chef Severin Schwan. Ein anständiger Zapfen. Oderunanständig viel Geld? Schwan selbersagte dazu unlängst in einem Interview, er würde sich nicht schlechter fühlen, wenn er nur die Hälfte verdienen würde. Verzichtet hat er dann allerdings freilich nicht.

Und nach diesem Plädoyer für Lohntransparenz wollen Sie natürlich jetzt wissen, wie viel ich verdiene. Na gut. Achtung, Trommelwirbel: Deutlich weniger als ein Prozent von Schwans Jahreslohn. Und im Gegensatz zu Schwan würde ich mich ziemlich mies fühlen, wenn ich nur die Hälfte davon bekäme.

Lauter schlechte Vorsätze

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 2. Januar 2015

Das mit den guten Vorsätzen klappt ja sowieso nie. Deshalb habe ich fürs neue Jahr schlechte Vorsätze gefasst, und zwar gleich eine ganze Menge davon: Ich werde weniger Zeit mit meinen Kindern verbringen und dafür mehr arbeiten – auch am Wochenende. Das freut das Portemonnaie und schont die Nerven.

Meine Fingernägel werde ich nicht schneiden, sondern kauen, und die Zehennägel gleich mit – vorausgesetzt, ich kriege die Füsse hoch, was ich bezweifle, denn noch mehr als letztes Jahr werde ich im neuen Jahr keinen Sport treiben. Die Joggingschuhe, die ich letzten Januar gekauft habe und die seither im Keller verstauben, schmeisse ich in die Altkleidertonne. Und für die 500 Meter bis dorthin rufe ich mir ein Taxi. Überhaupt will ich mehr Geld für unnütze Dinge ausgeben. Gerade weil ich mir das eigentlich nicht leisten kann.

Ernähren will ich mich im neuen Jahr, so oft es mir passt, mit fettigen Fertiggerichten aus den Tiefkühlregalen der deutschen Discounter. Je billiger, desto besser. Mir doch egal, ob in der Lasagne für 2.90 Pferd, Känguru oder Sägemehl drin ist. Und ich werde darauf achten, das ganze Jahr über Peperoni zu essen und ganz viele Erdbeeren im Dezember – für etwas gibt es ja in Spanien geheizte Treibhäuser und afrikanische Pflücksklaven.

Viel weniger kluge Bücher will ich lesen, das nehme ich mir fest vor, und dafür schon vormittags deutsches Privatfernsehen gucken und mich nicht schämen dafür. Sondern stolz sein auf meine Ignoranz. Weder Italienisch, noch Arabisch noch Chinesisch werde ich im neuen Jahr lernen; soll doch Deutsch büffeln, wer etwas von mir will. Überhaupt will ich mich weniger interessieren für die Welt und die Politik und wie alles zusammenhängt, mein Bauchnabel ist mir Mysterium genug.

Und ja, dieses Jahr schaffe ich es ganz sicher – und fange mit dem Rauchen an.

Das Gute an diesen schlechten Vorsätzen: Niemand ist mir böse, wenn ich sie nicht in die Tat umsetze. Am allerwenigsten ich selber. Und das ist ungemein befreiend.

Ein gutes neues Jahr!

Und Friede den Menschen auf Erden

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 23. Dezember 2014

«Jesses Maria», entfuhr es mir, als ich in die Waschküche trat. Denn über die Waschmaschine gebeugt stand ein bärtiger Gotteskrieger im langen Gewand. Die Jihadisten basteln aus unserer Waschmaschine eine schmutzige Bombe, zuckte es mir durchs Gehirn. Aber bevor ich NSA auch nur denken konnte, drehte sich der Mann um, und ich erkannte meinen muslimischen Nachbarn. Grüss Gott, sagte er, und das sei ihm jetzt ein bisschen peinlich, aber ob ich wüsste, mit welchem Waschprogramm man Rotweinflecken am besten rauskriege.

«Schalom», sagte ich verdattert, und schämte mich für meinen Reflex, gleich das Schlimmste zu denken. Und aus meiner Zerknirschtheit heraus beschloss ich, dass es an der Zeit wäre, eine neue Religion zu gründen. Eine Religion, deren oberstes und einziges Gebot es wäre, im Gegenüber nicht den Fremden, den Andersgläubigen oder den Falschdenkenden zu sehen, sondern stets nach dem Gemeinsamen zu suchen, das Verbindende zu pflegen und das Mensch- lich-Allzumenschliche zu preisen.

Dazu bräuchte es ausdauernde Geduld, Liebe und Toleranz, bis es wehtut. Aber es würde sich lohnen. Denn statt uns die Köpfe einzuschlagen, weil wir uns uneins sind über die Details des Jenseits, würden wir das Beste aus dem Diesseits zu machen versuchen. Täglich würden wir unsere Gottesdienste der geschwisterlichen Nächstenliebe abhalten in Waschküchen, an Bushaltestellen und in Betriebskantinen. Und zwischendurch hätten wir einen Heidenspass beim Feiern feucht-fröhlicher Feste mit koscherem Schweinebraten, «gefilltem Fisch» nach Franziskanerart und bi-nationalem Couscous-Eintopf. Denn nur zwei Speisevorschriften hätte die neue Religion: Jeder isst, was ihm schmeckt, und niemand, niemand, niemand muss hungern.

Es gäbe keine heiligen Bücher, sondern nur gut oder schlecht erzählte Geschichten. Wir bräuchten keine Propheten und Schriftgelehrten und Heiligen und schon gar keine Märtyrer, denn für unseren Glauben würden wir nicht töten und sterben, sondern leben und lieben. Und die Fehlbarkeit wäre unser Dogma.

Dann erwachte ich aus meinem Traum. Die Kirchenglocken hatten mich geweckt, oder der Gebetsruf des Muezzins, vielleicht auch das heftige Flattern der tibetanischen Gebetsfähnchen auf dem Nachbarbalkon. Mein Radiowecker ging an–und in den Nachrichten: zerbombte Kirchen, Schiiten gegen Sunniten, Mord, Hass, Intoleranz.

Und ich dachte: Sie wäre einen Versuch wert, diese neue Religion.

Brokkoli-Auflauf für «Bruder Wolf»

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 11. Dezember 2014

Kinder brauchen Grenzen. Und Werte. So heisst es. Für uns Erziehungsberechtigte bedeutet das, wir müssen zu allem eine Haltung haben. Das ist einfach, wenn es um Brokkoli geht («Iss das!»), um Schlagen, Beissen und Kratzen («Lass das!») und um Süssigkeiten vor dem Mittagessen («Vergiss es!»).

Schwieriger wird es bei der religiösen Erziehung. Als durchschnittlich kirchenferner Katholik gerate ich regelmässig in Teufels Küche, wenn ich meine eigenen Zweifel mit den katholischen Dogmen und dem kindlichen Vorstellungsvermögen und Wunderglauben unter einen Hut zu bringen versuche.

Heikler ist eigentlich nur noch eine andere Glaubensfrage: der Wolf. Denn das Tier spaltet die Schweiz. Vergessen Sie den Röstigraben, der ist schon fast gegessen. Heute zieht sich die Wolfskluft durch das Land, und auch im Brückenkanton Freiburg ist noch kein Steg darüber geschlagen worden. Unversöhnlich stehen sich Wolfsschützer und Wolfsschützen gegenüber. Und zwischen den Fronten stehe ich und weiss nicht weiter. Als Vater.

Welches Bild vom Wolf soll ich meinen Kindern vermitteln? Darf ich ihnen weiterhin die Geschichte vom Rotkäppchen erzählen, auch wenn darin der Wolf als menschenfressende Bestie porträtiert wird, der man den Garaus machen muss? Als Ausgleich habe ich die Kleinen im WWF-Kinderclub angemeldet und tapeziere das Kinderzimmer mit den herzigen Wolfspostern aus den Pro-Natura-Heftli. Aber werde ich damit den Schafhaltern und ihrer Wut und Trauer über ihre gerissenen Tiere gerecht, die auch kein staatlicher Schadenersatz mildert?

Und ist es pädagogisch noch angebracht, «Chomm, mir wänd go Beeri sueche, s het jo gar kei Wolf im Wald» vorzusingen? Meine Kinder lieben das Lied – und die damit verbundene Angstlust. Sie wissen schon: «Am eis nid, am zwei nid, am drü nid … am zwölfi chonnt de Wolf!» Und dann jage ich die Kleinen zähnefletschend und knurrend durch die Stube. Geht das noch, oder muss sich künftig meine Frau bei diesem Spiel als Herdenschutzhündin vor die Kinder stellen?

Ich glaub, ich hab’s. Ich erzähle meinen Kindern die Geschichte vom heiligen Franziskus. Der zeigte «Bruder Wolf» ja bekanntlich die Grenzen der karnivoren Lebensweise auf, lehrte ihn den Wert des Lebens von «Schwester Schaf» und gewöhnte ihn an Brokkoli-Auflauf. Und wenn Isegrim doch einmal die Fleischeslust überkam, durfte er nur so viele Schafe reissen, wie er auch auf einmal aufessen konnte. Und keine süssen Lämmchen vor dem Mittagessen.

Damit mache ich sicher nichts falsch. Oder?

Steuersünder im Beichstuhl

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 2. Dezember 2014

Das Freiburger Kantonsparlament hat im November eine Amnestie für Steuersünder beschlossen. Daraufhin geht A. bei seinem Pfarrer zur Beichte.

A: Vergebt mir, Hochwürden, ich habe gesündigt.

Pfarrer: Was hast du denn gemacht, mein Sohn?

A: Steueramnesie.

P: Steueramnesie?

A: Ich habe vergessen, das Ausbildungskonto für meine Kinder bei den Steuern anzugeben: 100 000 Franken. Und da sind auch noch ein paar Wertpapiere in meinem Safe, von denen die Steuerbehörde nichts weiss.

P: Du hast also Steuern hinterzogen? Das ist keine Sünde …

A: Da bin ich beruhigt.

P:… sondern eine Straftat gemäss Artikel 175 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer.

A: Eine Straftat? Ist das nicht etwas hart ausgedrückt? Es sprechen doch alle von Steuersündern.

P: Aber niemandem käme es in den Sinn, einen Vergewaltiger «Sexualsünder» zu nennen, einen Dieb als «Eigentumssünder» zu betiteln oder einen Mord als Sünde an Leib und Leben zu bezeichnen. Oder?

A: Und die Temposünder?

P: Parksünder meinetwegen. Aber mit 80 durch ein Dorf zu brettern ist keine Sünde, sondern schlicht kriminell. Da ist es mit ein bisschen Asche aufs Haupt nicht getan.

A: Hoppla, Hochwürden. Müssten Sie nicht für Vergebung sein, immerhin sind sie Christ von Beruf?

P: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Und ausserdem: Ein echter Sünder bereut seine Tat und tut Busse, dann wird ihm vergeben. Bereust du deine Steuerhinterziehung, mein Sohn? Oder bist du einfach froh, dass du bisher nicht aufgeflogen bist?

A: Ähm.

P: Und hast du Busse getan?

A: Ich zahle die Steuern nach.

P: Die du sowieso hättest zahlen müssen. Das ist keine Busse.

A: Aber das ist doch der Clou einer Steueramnestie?

P: Dass der Staat sich kaufen lässt?

A: Wie bitte?

P: Straffreiheit gegen Steuergelder, die dem Staat sonst entgangen wären, das ist der Deal dahinter – das ist doch korrupt. Oder wie würdest du das nennen?

A: Pragmatisch. Der Staat muss an allen Ecken und Enden sparen. Da sind 46 Millionen Franken nicht zu verachten, die so in die Staatskasse fliessen.

P: Stimmt. Unsere Kirche könnte auch Geld brauchen, für die Renovation der Orgel und das Jugendlokal.

A: Dann kriege ich jetzt von Ihnen die Absolution?

P: Nein. Die musst du dir in diesem Fall beim Steueramt holen.

Pädagogisch wertvolles Leimschnüffeln

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 13. November 2014

Ich wurde in der ersten Klasse angefixt. Von «Fröili» Amrein, meiner Primarlehrerin. Und ich bin bis heute nicht ganz davon losgekommen. Von den Bastelbögen nämlich. Es war ein festes Ritual: Jeden Herbst legte unsere Lehrerin in einer Stunde auf den Pulten die lang ersehnte Ware aus. Wir prüften das Angebot, fachsimpelten und durften am Schluss unsere Bestellung aufgeben.

Unzählige Stunden verbrachte ich mit Ausschneiden, Falten und Kleben. Dass die bunten Kartonbögen pädagogische Wunderwaffen waren, ging mir erst später auf. Nicht nur sollten die Bögen bei den jungen Bastlern Ausdauer, Genauigkeit und handwerkliches Geschick schulen. Jede Bastelarbeit war auch eine anschauliche Lektion in Heimatkunde. Beim Basteln lernte ich spielerisch die regionalen Unterschiede der Schweizer Bauernhausarchitektur kennen, werkelte mich durch die Schweizer Burgenlandschaft und mühte mich mit den Marksteinen der Schweizer Mobilitätsgeschichte ab: Die Blériot von Bider kriegte ich noch halbwegs hin, aber an den filigranen Speichen der Gotthardkutsche oder den fiesen Rundungen der Spanisch-Brötli-Bahn scheiterte ich.

Meinen beschränkten bastlerischen Fähigkeiten zum Trotz hatte ich am Ende meiner Primarschulzeit einen halben Ballenberg und mein privates Verkehrshaus auf dem Bücherregal stehen. Denn die Bögen machten Spass. Wobei ich vermute, dass das Glücksgefühl, das sich beim Basteln zuverlässig einstellte, zumindest zum Teil den Dämpfen aus der Cementit-Tube geschuldet war.

Die Bastelbögen des pädagogischen Verlages des Lehrerinnen- und Lehrervereins Zürich gibt es seit fast 100 Jahren. Manche Sujets sind seit Jahrzehnten im Angebot und noch heute werden jährlich Hunderttausende Bögen verkauft. Ganze Generationen sind damit gross geworden. Die halbe Schweiz lässt sich zusammenkleben. Die halbe Schweiz hat sie zusammengeklebt. Da ist es nicht verwegen zu behaupten, dass die Bastelbögen der heimliche Klebstoff der Nation sind. Sollten eine vegane Wolfsfeministin aus Zürich mit einem SVP-Schafzüchter aus dem Oberland im Lift stecken bleiben, sie fänden wohl wenig Gemeinsamkeiten. Aber ich bin sicher, dass sie beide in ihrer Schulzeit die Kyburg zusammengebastelt haben.

Aus Nostalgie und als Beitrag zum nationalen Zusammenhalt habe ich mir deshalb im Internet einen Bastelbogen bestellt. Die Spanisch-Brötli-Bahn, vor der ich als Kind kapituliert habe. Eine extragrosse Tube Leim liegt schon bereit. Für ein paar glückliche Bastelstunden –, selbst wenn ich die Zylinder nicht perfekt hinkriege.

Bezugsquelle: www.paedag.ch

Wetten, dass Sie nicht gewinnen?

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 30. Oktober 2014

Ich habe im Lotto gewonnen. Nämlich die Einsicht, dass das Glück ein mieser Verräter ist. Und die Wahrscheinlichkeit ein eiskalter Killer von Träumen und Hoffnungen. Deshalb mein Gratis-Tipp für Sie: Lassen Sie es bleiben.

Natürlich ist es verlockend, auf den Jackpot zu hoffen. 5,5 Millionen Franken lagen gestern drin. Da kann es einen schon in den Fingern jucken. Aber ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, dass Sie nichts gewinnen werden. Die Chance, mit einem Feld sechs Richtige und die Glückszahl anzukreuzen, liegt bei 1:31 Millionen. Wenn Ihnen das zu abstrakt vorkommt: Viel eher werden Sie Freiburger Staatsrat als Lottomillionär. Selbst wenn Sie nicht in der CVP sind. Ja, es ist sogar sehr viel wahrscheinlicher, dass Gottéron noch den Meistertitel holt, als dass Sie das grosse Los ziehen. Mit anderen Worten: Vergessen Sie’s.

Sie können das Geld für den Lottoeinsatz genauso gut aus dem Fenster werfen. Oder gehen Sie einen Kaffee trinken, kaufen Sie Ihren Kindern eine Glace oder laden Sie Ihren Schatz ins Kino ein. Das Glück wird sich mit höherer Wahrscheinlichkeit einstellen als beim Lottospielen. Und länger halten. Denn so ein Millionengewinn ist ja vor allem eines – eine Last. Wie soll ich das Geld anlegen? Was darf ich mir damit leisten, ohne dass mein Reichtum allen auffällt? Und die vielen herzzerreissenden Bettelbriefe jeden Tag. Nichts als Kummer und Sorgen.

Darum mein gut gemeinter Rat: Finger weg. Seien Sie vernünftig. Rational. Glück erspielt man sich nicht, man muss es sich hart erarbeiten.

Wenn Sie sich trotzdem unbedingt ins Unglück stürzen wollen, dann unterstehen Sie sich wenigstens, meine Zahlen zu tippen: 1, 18, 22, 26, 31, 36 und die Glückszahl 2. Die gehören mir ganz allein. Denn wenn Gewinnen schon so schwierig ist, will ich mein Glück wenigstens nicht teilen müssen. Dafür dürfen Sie den Staatsratsposten haben. Oder neuer Gottéron-Trainer werden.

Viel Glück.

Fröhliche Weihnachten

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 16. Oktober 2014

Selbst auf Halloween ist kein Verlass mehr. Als der Grusel-Import in den 90ern auch auf die Schweiz überschwappte, war der Hype so gross, dass die Läden den ganzen Oktober über den Horror zelebrierten – mit Kürbisfratzen, Totenkopfmasken und Marzipanhexen. Das einzig Gute daran: Die Weihnachtsdeko blieb bis November im Keller.

Wenn mich heute im Manor das Grauen überkommt, dann nicht wegen der paar verschämt platzierten Halloweenrequisiten. Sondern weil die fleissigen Dekorationselfen die Spielzeugabteilung schon Anfang Oktober in ein glitzerndes Weihnachtswunderland verwandelt haben. Vor der Migros-Kasse verdreht bereits seit Wochen der Playmobil-Adventskalender meinen Kindern den Kopf und die Rollschinkli gab es schon mal als Sonderangebot, damit man sie einfrieren kann für Heiligabend. Und es wird nicht lange dauern, bis «Jingle Bells» aus den Warenhauslautsprechern tönt.

Wem jetzt nicht adventlich ums Herz wird, dem stehen schlimme Zeiten bevor.

Vorfreude ist etwas Tolles. Und auf ein Fest wie Weihnachten muss man sich einstimmen. Dazu gibt es den Advent: ein Kranz mit vier Kerzen, ein Kalender mit 24 Türchen. Jeden Tag ein Türchen, jeden Sonntag eine weitere Kerze. Eine simple, aber effektive Dramaturgie, um Spannung aufzubauen und Freude zu wecken.

Aber leider diktieren heute die Marketingabteilungen der Grossverteiler unseren Festkalender und der Countdown auf Weihnachten beginnt fast volle drei Monate im Voraus. Ich mag es den Detailhändlern ja gönnen, wenn ihre Kassen süss klingen zur Weihnachtszeit. Aber Weihnachtsstimmung im Oktober? Und Fasnachtschüechli, kaum ist Silvester vorbei? Und dann acht Wochen lang Osterfreude?

Geht das so weiter, wird irgendwann alles verschmelzen zu einem grossen Festtagseinerlei, und unsere Konsumtempel feiern das ganze Jahr über Weihnachten und Silvester und Fasnacht und Ostern und Nationalfeiertag und Kilbi und Halloween. Am 1. August werden verkleidete Gemeindepräsidenten vor brennenden Christbäumen in fremden Zungen das Weihnachtsevangelium als patriotische Parabel nacherzählen, dazu intoniert die Guggenmusik «O Tannenbaum» und die Kinder suchen im Schein ihrer Räbenliechtli die versteckten Schoggi-Osterhasen. Als Sternsinger kostümierte Schulkinder ziehen am 1. Mai von Haustür zu Haustür und rufen «Süsses oder Saures», worauf sie Chlaussäckli mit Mandarinen und Ostereiern geschenkt bekommen. Und das ganze Jahr über kleben einem Konfetti an den Schuhen.

In diesem Sinne: Gesegnete Pfingsten und einen fröhlichen 1. August Ihnen allen.

Flou-Flou für den Weltfrieden

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 6. Oktober 2014

Manchmal komme ich mir im Sandkasten vor wie ein Blauhelmsoldat der Uno. Zwar spielen meine zwei Kinder meist einträchtig miteinander, aber der innerfamiliäre Frieden ist fragil. Oft genügt eine Kleinigkeit, und es kommt zum Ausbruch von offenen Feindseligkeiten zwischen den Kleinen.
Die Konfliktgründe sind klassisch: Die Ressourcen sind knapp (beide wollen unbedingt Bagger spielen, und zwar partout im selben Moment, wir haben aber nur einen), der Platz ist knapp (sie will einen Berg aufschütten, er ein tiefes Loch graben – und zwar beide auf demselben Fleckchen Sand) und Langeweile paart sich mit kindlichen Allmachtsfantasien («Das ist mein Sandkasten!» –«Neiiin. Meiner!»).

Wenn die Köpfe meiner Kinder immer röter werden, ziehe ich die emotionale Splitterschutzweste über und setze das ganze Arsenal an friedenserhaltenden Massnahmen in Gang. Ich appelliere an die Vernunft, was bei Zwei- und Vierjährigen nur bedingt Erfolg hat. Ich versuche zu vermitteln und unterbreite ausgeklügelte Friedenspläne: «Ein Berg? Ein Loch? Am selben Ort? Dann machen wir doch zusammen einen Vulkan – und zwar ohne Bagger.» Als Nächstes ziehe ich eine Demarkationslinie, setze mich demonstrativ zwischen die beiden und schaufle links einen Berg und grabe rechts ein Loch. Und ich verweise auf mein Mandat des Sicherheitsrates («Mama würde genau das Gleiche tun.»). Nützt alles nichts, drohe ich mit drakonischen Sanktionen («Wenn ihr jetzt nicht aufhört, gibt’s heute Abend kein Barbapapa-Filmchen.»).

Unberechenbar wird die Situation, wenn der Nachbarsbub dazu kommt. Manchmal beruhigt sich die Situation. Häufiger bilden sich aber unheilige Allianzen: Die zwei Grossen gegen den Kleinen. Die Buben gegen das Mädchen. Meine Kinder gegen den anderen. Alle gegen alle. Und ehe ich mich versehe, werden Schaufeln zu Schwertern und Fingernägel zu Nahkampfwaffen und ich sitze im Sandkasten mit heulenden Kindern um mich herum.

Dann hilft nur noch meine deeskalative Wunderwaffe. Reihum nehme ich die Kinder in den Arm, bis ihr Wehklagen in ein Naseschniefen übergegangen ist, und sage dann: «Zeit fürs Zvieri. Wer will ein Schoggi-Flou-Flou?» Die Wirkung ist überwältigend: Tränen trocknen. Der Bagger, um den eben noch alle stritten, ist plötzlich uninteressant geworden. Ohne grosses Tamtam zottelt die Bande nach Hause, wäscht sich die Hände und setzt sich an den Tisch. Und spätestens nach dem zweiten Löffel Schoggipudding sind alle wieder die besten Freunde.

Umarmen und Flou-Flou essen: Wenn das mit dem Weltfrieden doch nur auch so einfach wäre.

Sündige 12000 Kalorien

«Übrigens» in den Freiburger Nachrichten vom 18. September 2014

Völlerei ist ja eigentlich eine schwere Sünde. Das hat die katholischen Freiburger aber nicht daran gehindert, in ihren Brauchtumskalender eine kollektive kulinarische Orgie aufzunehmen: die Bénichon. Die Leibesfülle von Freiburger Priestern auf historischen Fotografien lässt vermuten, dass die hiesigen Kleriker nie von der Kanzel herab gegen das masslose Schlemmen wetterten, sondern dem herbstlichen Gelage ihren tatkräftigen Segen gaben. Denn die katholische Kirche hat zwar eine strikte Morallehre, ist aber klug genug, um zu wissen, dass der Geist ihrer Schäfchen zwar willig, deren Fleisch aber schwach ist. Und dass ein kontrollierter Exzess einmal pro Jahr das Masshalten während der übrigen Zeit erträglicher macht. Zudem ist das lustvolle Geniessen dessen, was Feld und Hof hergeben, ja auch ein schmatzendes Halleluja zu Ehren des Schöpfers. Und damit hat das Schlemmen auch theologisch seine Berechtigung.

Wie auch immer: Das traditionelle Freiburger Kilbi-Menü ist ein barockes Hochamt der Fülle, des Fleisches und des Fetts. Es wird gekocht und geschmaust, als gäbe es kein Morgen. Luftige Safranbrötchen, dick mit Butter und süss-saurem Kilbi-Senf bestrichen, eröffnen das opulente Mahl. Eine deftige Kohlsuppe zeigt Magen und Gedärmen, wo es langgeht. Und man tut gut daran, den Gurt jetzt schon ein wenig zu lockern.

Denn während man sich am Beinschinken labt, den Speck lobt und sich die Räucherwurst einverleibt, schmort in der Küche das Rosinen-Lammragout seiner Vollendung entgegen und die Büschelibirnen, diese harten Kerle, werden im Karamellsirup zu entzückend zuckersüssen Softies weich gekocht. Kaum ist der letzte Löffel Kartoffelstock mit Ragoutsauce im Mund verschwunden, werden Greyerzer und Vacherin aufgetragen. Schleckmäuler seufzen in freudiger Erwartung auf. Denn nach dem Käse kommt das Dessert: Meringues mit reichlich Double-Creme. Und weil es so gut schmeckt, gleich noch einen Löffel davon, bitte. Dazu Bretzeli – sie sind ja so hauchdünn, da dürfen es ruhig ein paar mehr sein–, Anisbrötli und, und, und. Mmhhh!

Natürlich ist der Kilbi-Schmaus ein diätetischer Irrsinn. Man nimmt geschätzte 12’000 Kalorien zu sich – Wein und Schnaps nicht mitgerechnet. Ernährungsberaterinnen fallen in Ohnmacht, wenn sie nur schon das Menü lesen. Und die Cholesterin-App auf dem Smartphone alarmiert noch vor dem Dessert den Notarzt. Und doch ist das Kilbi-Essen eine gesunde Sache. Weil damit den freudlosen Fitnessfanatikern die lange Nase gedreht und das tyrannische Diktat des perfekten Körpers mit der Freude an der Fülle gebodigt wird. Und eine Sünde wert ist es allemal. Amen.