Bewertungswut

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 24. August 2024

Wie bewerten Sie eigentlich die allgegenwärtige Bewertungswut? Ständig wollen alle, dass man sie bewertet. Das letzte Stück Pizza ist kaum gegessen, da bettelt der Lieferdienst schon per Mail um eine Bewertung – wie ein schwanzwedelnder Hund, der’s Stöckchen gebracht hat. Wenn Sie dieses «Übrigens» online lesen, will die Friburgera am Schluss wissen, ob dieser Artikel nützlich für Sie war (was mich, ehrlich gesagt, wundern würde). Und neulich, ohne Scheiss, forderte mich ein Touchscreen in einer Einkaufscenter-Toilette auf, meinen WC-Besuch zu bewerten. Was mich in eine Zwickmühle stürzte, weil ich nicht wusste, was ich höher gewichten sollte: meinen Ekel vor Touchscreens in öffentlichen Bedürfnisanstalten oder mein Bedürfnis, ebendiesen Ekel mitzuteilen. Am Schluss gabs eine neutrale Bewertung – mit spitzen Fingern.

Die ewige Bewerterei nervt. Also hab ich neulich den Spiess umgedreht und meinen Internetanbieter angerufen. «Hallo, Moser mein Name, von der Bestandsanbieterpflege. Sie sind schon seit Jahren mein treuer Internetanbieter, herzlichen Dank dafür. Um meine Kundenqualität weiter zu verbessern, hätte ich nur eine kurze Frage: Auf einer Skala von 0 bis 10, wie wahrscheinlich ist es, dass Sie mich einem anderen Internetanbieter als Kunden weiterempfehlen würden?»

 «Häh? Der Konkurrenz weiterempfehlen? Ich bin doch nicht blöd.»

«Also eine Null. Darf ich nach dem Grund für diese schlechte Bewertung meiner Kundenqualität fragen: Ist es meine mangelnde Leidensfähigkeit in der Hotlinewarteschlaufe? Dass ich zu wenige unnötige und teure Zusatzoptionen kaufe? Oder liegt es an meiner Freundlichkeit? Wenn ja, wie würden Sie meine Kundenfreundlichkeit bewerten, auf einer Skala von O bis 10?»

«Also…»

«Oder liegt es an der Impertinenz, mit der ich Sie dränge, mich zu bewerten? Auf einer Skala von 0 bis 10?»

«Wenn ich ganz ehrlich sein darf? Es…»

«… nervt gewaltig, nicht wahr? Da bin ich ganz bei Ihnen. Und darum kann ich Ihnen ein tolles Loyalty-Angebot machen. Ich beende dieses Gespräch jetzt sofort und lasse sie die nächsten 24 Monate in Ruhe, und dass alles für nur 69.90 pro Monat abzüglich dem Shut-up-Rabatt von 29.90, und die einmalige Aufhänggebühr, die schenk ich Ihnen natürlich. Deal? Nur eine kurze Frage, um meinen Service als Kunde weiter optimieren zu können. Auf einer Skala von 0 bis 10, wie wahrscheinlich ist es jetzt, dass Sie mich einem anderen Internetanbieter…»

Was soll ich sagen? Seither habe ich einen neuen Anbieter. Der mich kurz danach darum bat, den Wechsel zu bewerten. Höchste Zeit, dass ich da mal anrufe.

Lesung in Düdingen, 5. September 2024

Le Kaff

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 2. August 2024

Ich wohne in einem Kaff. Das sage nicht ich, das sagt mein Göttibub. Er muss es wissen, er hat nämlich eine eigene Skala für die Ermittlung von Kaffigkeit entwickelt. Sein wichtigstes Kriterium: Dönerbuden. Wünnewil mit Null Dönerladen ist für ihn ein schlimmes Kaff. Zu seiner Verteidigung: Er wohnt in der Nähe des Sonnenplatzes in Emmenbrücke, dort gibt es im Umkreis von 100 Metern gefühlt mehr Dönerbuden als in ganz Berlin-Neukölln. So kommt es zumindest mir vor, aber ich bin auch leicht zu beeindrucken, ich komme ja aus einem Kaff.

Vor kurzem machten wir Ferien in einem Ort im Waadtländer Jura, für den mein Göttibub seine Skala ins Negative erweitern müsste: Le Lieu. Ich glaube, das ist französisch für «Kaff». Jedenfalls gibt es dort nicht nur keinen Döner. Sondern auch nur einen einzigen Dorfladen, der zudem dieselbe Idee hatte wie wir: Ferien. Betriebsferien hatte auch die einzige Beiz. Da standen wir mit unseren Koffern im ausgestorbenen Dorf und überlegten uns einen Moment lang, ob wir nicht einfach wieder in den nächsten Zug steigen sollten – der nur einmal in der Stunde fährt.

Wir blieben dann doch. Zum Glück. Denn der Lac de Joux hatte keine Betriebsferien. Gleich am ersten Abend versöhnte er uns mit unserer Feriendestination. So klar und angenehm frisch. Und wie das kitzelte, wenn einem die neugierigen kleinen Fischchen beknabberten, wenn man nur lange genug ruhig sitzen blieb (zum Ausgleich knabberten wir ihre ausgewachsenen und filetierten Verwandten später im Restaurant drei Zughaltestellen weiter).

In den nächsten Tagen merkten wir, dass die Menschen im Vallée de Joux die Strukturschwäche mit Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft kontern und dass sich Kaff auf Naturschönheit reimt. Diese Aussicht vom Dent de Vaulion. Die Gämsen, die sich auf einer vernieselten Wanderung von Le Lieu nach Le Pont durch uns in keiner Weise stören liessen und fast in Streicheldistanz friedlich ästen. Dieses Gefühl von Schwerelosigkeit, wenn wir auf dem Stand-up über den See glitten – und kein Mensch weit und breit.

Am letzten Abend spazierten wir nach Einbruch der Dunkelheit vom abendlichen Bad im See nach Hause. Es raschelte im Laub, wir zückten unsere Handylampen und entdeckten auf Schritt und Tritt Frösche und Kröten, und versteckt zwischen den Steinen am Ufer Flusskrebse. Und während am Himmel die ersten Sterne aufgingen, zündeten im Gebüsch die ersten Glühwürmchen ihren Leuchtpopo an.

Spätestens da wurde uns klar, dass wir Le Lieu falsch übersetzt hatte. Das hiess nicht «Kaff», sondern «The place to be» – zumindest einige schöne Sommertage lang.

Wenn Weltherrschaft, dann Löwenzahn

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 7. Mai 2024

Die SVP hätte wohl keine Freude an meinem Gärtchen. Da gibt es keine sauber gezogenen Grenzen, dafür freier Pflanzenverkehr von Topf zu Topf. Viel Einheimisches zwar, aber kein Geranium. Und Eingewandertes. Ich bin da sehr liberal: Was wächst, darf bleiben. Auch Zwitter, die sich selbst bestäuben. Ganz divers eben. Also biodivers. Quasi LGBTQ+ im Beet: Löwenzahn, Günsel, Brennnessel, Taubenskabiose, Quendel und, und, und.

Auf den ersten Blick sieht mein Garten vielleicht chaotisch aus. Verwildert. Vernachlässigt gar. Dabei habe ich sehr wohl Pläne für meinen Garten, bloss hält sich der nicht dran. Zum Beispiel bepflanzte ich mal einen Trog mit verschiedenen Farnen und setzte dazwischen Zymbelkraut. Die Idee stammte aus einem Buch. Das Konzept funktionierte wunderbar – den ersten Sommer. Dann war der Wurmfarn so mächtig geworden, dass das zarte Zymbelkraut keine Chance mehr hatte. Zum Glück hatte es sich rechtzeitig aus dem Pflanztrog abgeseilt und in den Ritzen der Gartenplatten Asyl gefunden. Dort legt das Mauerblümchen jetzt jedes Jahr einen grandiosen Auftritt hin und verwandelt den Plattenweg in einen blühenden Laufsteg. Schöner hätte ich mir das nicht ausdenken können.

Wenn es um Gartengestaltung geht, hat die Natur eine blühende Fantasie. Darum sieht mein Garten auch jedes Jahr anders aus. Denn die meisten Pflanzen, die in den über 50 Töpfen, Kisten und Harassen auf der Terrasse wachsen, nutzen ihren Topf als Trampolin. Ungeniert hüpfen sie von Topf zu Topf, den kleinen Rasen haben sie schon längst zur Wildblumenwiese gemacht. Fröhlich streunen die Glockenblumen durch den Garten, und wenn irgendwo mal etwas eingeht, ist die Wilde Möhre schon da. Oder der Oregano. Wenn ich sehe, wo der heuer überall ins Kraut schiesst, weiss ich, was mir diesen Sommer blüht.

«Wie sieht das denn aus!», höre ich die Kirschlorbeerstutzerinnen und Terrassenkärcherer empört rufen. Dabei sind Faulheit und Gelassenheit doch die Königstugenden im Garten. Natürlich könnte ich Stunden damit zubringen, das Moos aus den Fugen zu kratzen und mit dem Flammenwerfer dem letzten Gänseblümchen den Garaus zu machen, das sich erfrecht, noch in der kleinsten Ritze wachsen zu wollen. Aber wieso? Selber ein Haus besitzen, aber dem genügsamen Ritzengrün die paar Quadratmillimeter missgönnen? Es hat doch Platz für alle.

Sowieso ist der Kampf auf Dauer nicht zu gewinnen. Wenn die Pflanzen nämlich eines können, dann die Welt erobern. Ritze für Ritze. Spalt für Spalt.

Und ich finde: Wenn Weltherrschaft, dann Löwenzahn.

Bild: Pixabay

Lesung in Murten, 23. April 2024

Meine liebsten Kolumnen. Und Kaffee und Kuchen. Ich freu mich.

Saldo ergo sum

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 30. März 2024

Wer weiss, was aus mir geworden wäre, wenn meine Mutter Löwenbändigerin im liechtensteinischen Nationalzirkus gewesen wäre und mein Vater Podologe am Jura-Südfuss.

Vielleicht wäre ich Buchhalter geworden.

Ich glaube, man muss sich Buchhalter als glückliche Menschen vorstellen. Ich vergrüble meine Zeit oft mit philosophischen Fragen übers Sein, über das woher, wohin, warum – und bleibe unterm Strich doch nur dumm. Ausser Thesen nichts gewesen. Buchhalter hingegen chillen voll, für sie zählt nur Haben und Soll. Saldo ergo sum. Ich habe Saldo, also bin ich. Und auch für diese Position haben sie natürlich einen sauber abgehefteten Beleg. Wie immer.

Ich beneide Buchhalter. Wenn sie Hunger haben, kacken Sie Korinthen. Nie ist ihre Hausbar leer, denn sie wissen immer, wie viel flüssige Mittel sie haben. In ihrer Freizeit machen sie Zenmeditation und zählen Erbsen. Ommhh. Darum sind sie Ende Jahr auch so ausgeglichen. Unkompliziert im Unterhalt sind sie obendrein: sie müssen nur einmal im Jahr in Revision. Niemand beschuldigt sie des Plagiats, obwohl sie ständig abschreiben. Von ihnen verlangt auch keiner, proaktiv zu sein, ihr Metier ist auch etwas für die Passiven.

Und diese beneidenswerten Lebensläufe, so gradlinig wie die Zahlenkolonnen in ihren Geschäftsbüchern. Doppelte Buchführung, Doppelbett, Doppeleinfamilienhaushälfte mit Doppelgarage (weil Doppelverdiener), Doppelkinn, doppelter Bypass, Doppelgrab. Und auf dem Grabstein steht: «Keine Auffälligkeiten festgestellt. Die Revisoren.»

Ich wollt ich wär ein Buchhaltär.

Buchhalter finden Profite toll, ich verspekulier mich mit Profiterolles. Sie schreiben nette Rendite, ich mutier zur fetten Niete. Übrigens: Wie hoch ist aktuell der Hüftgoldpreis?

Für Buchhalter ist die Börse ein offenes Buch. Wo ist nur meine Börse?, lautet hingegen mein täglicher Fluch.

Sie haben mit Bitcoins mega Erfolg, ich sammle Märkli vom Volg.

Negativ zu Buche schlägt bei Buchhaltern lediglich ihre Nüchternheit. Sie sind eher Excel statt Exzess, Tabellen statt Tabletten. Lieber Six, Dax und rote Null statt Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Wobei, vielleicht stimmt das gar nicht? Wahrscheinlich haben Buchhalter es sogar faustdick hinter ihren Debito(h)ren. Immerhin kennen sie sich aus mit Amor-tisieren.

Da tönt plötzlich auch das Wort Rück-Stellung gar nicht mehr so unschuldig. Müsste man vielleicht mal im Kamasutra nachschlagen. Und ausprobieren, ob sich diese Position in der Erfolgsrechnung verbuchen lässt.

Symbolbild Pixabay

Übrigens: Am 23. April lese ich meine liebsten Kolumnen in der Stadtbibliothek Murten. 19.30 Uhr.

Dü-Da-Do

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 23. März 2024

Dü-Da-Do, so klingt für mich Liebe. Deinem Dreiklang, liebes Postauto-Horn, bin ich schon als Knirps hoffnungslos verfallen. Und jetzt, wo du deinen 100. Geburtstag feierst, sage ich offen: Ich bin verknallt in dich – bis über beide Ohren. Oder wie die Engländer sagen würden: You make me horny, Posthorn.

Die Post führte dich 1924 als Warnhupe ein, weil auf den Passstrassen immer wieder Privatautos und Postbusse karambolierten. Dein wahrer Daseinszweck aber, das weisst du, mein süsses Dü-Da-Do, ist ein ganz anderer. Dü-Da-Do, du, du, du bist die Sehnsuchtsmelodie von uns Mittellandgeplagten. Der Herzschrittmacher für uns Alltagsermatteten. Balsam für unsere Düdelidü-Klingelton-müden Ohren.

Wie uns das Herz im Leibe hüpft, wenn wir uns im Postauto aus unserem flachen Dasein empor serpentinen in die lichten Höhen der Berge und du uns in der ersten Haarnadelkurve mit lawinenauslösenden 120 Dezibel froh verkündest: Du bist angekommen.

Dü-Da-Do. Du, du bist der Soundtrack der Heldinnen und Helden in Gelb, die mit an Todesverachtung grenzender Gelassenheit auch noch die stotzigsten Bergpoststrassen hochkurven und an der gächsten Stelle, da wo kein Zentimeter Strasse mehr ist zwischen Postauto und der 300 Meter senkrecht abfallenden Steilwand, freundlich übers Mikrofon mitteilen, man schaue doch bitte mal nach rechts. Dort habe es Gämsen. Und dann dem entgegenkommenden Holländer den Schrecken seines Lebens einjagen. Dü-Da-Do.

Dü-Da-Do, das ist der Sound des Service public. Wo du erklingst, gibst du uns dein Versprechen: Mit mir kommt ihr auch in den hintersten Chrachen. Und auch wieder zurück.

Dü-Da-Do. Welch Einfachheit, welch Schönheit. Cis-e-a. Dein Dreiklang wurde aus der Ouvertüre zu Rossinis «Wilhelm Tell» entlehnt. Ein Meisterwerk. Aber man braucht kein Loriot’sches Jodeldiplom, um dich singen zu können. Denn du bist kein «du dödel di diri diri dudel dö». Du bist Dü-Da-Do. Und darum kennt dich jedes Kind. Dü-Da-Do, Poschtauto!

Ein Wermutstropfen bleibt, mein liebes Posthorn. Nur etwa jedes dritte Postauto besitzt dich. Das mussten meine Frau und ich an unserer Hochzeit schmerzlich erfahren, als das gemietete Postauto auf der Fahrt zur Kirche partout nicht hornen konnte. Wie gross die Enttäuschung. Und wie gross die Freude, als kurzerhand die versammelte Hochzeitsgesellschaft einsprang. Von den Pfüdis bis zu den vereinigten Grossmüttern sangen alle vielstimmig «Dü-Da-Do». Bei jeder Kurve.

Liebes Posthorn, alles Gute zum Geburtstag. Bleib im Dreiklang. Und jetzt ist es höchste Zeit, die 100 Kerzen auf deiner Torte auszupusten.

Eins, zwei, drei: Dü-Da-Do.

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Bild: Postauto AG

Vitamine on the go

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 31. Januar 2024

Marketing ist alles. Haferbrei zum Beispiel war früher «bäh», seit er als Porridge verkauft wird, ist die Pampe der neue heisse Scheiss. Diesen Trick mache ich mir jetzt auch zunutze. Denn ich habe ein Problem. Als Vollzeitmensch mit Teilzeitstelle passiert es mir nämlich ab und an, dass mitten an einem Werktag weder mein Chef noch meine Familie nach mir verlangen, und auch der Haushalt nicht gemanagt werden will (faul rumliegen kann der Staub auch ohne mich). Dann sitze ich so da, sehe die Sonne vor dem Fenster und denke: Ein Spaziergang wäre jetzt ganz schön. Den mache ich dann auch, aber mit schlechtem Gewissen. Denn während ich dem unproduktiven Müssiggang fröne, müssen die andern doppelt schuften, damit das Bruttosozialprodukt nicht in den Keller rauscht.

Deshalb sage ich seit Neustem nicht mehr «ich gehe spazieren», sondern «ich kümmere mich um mein Start-up». Da sind immer alle gleich ganz Ohr: Oha, Start-up, cool! Wenn ich dann aber sage «Ich habe eine Vitamin-D-Manufaktur am Laufen», blicke ich erstmal in angewiderte Haferbrei-Gesichter. Was, du machst Lebertran? Iwo, entgegne ich, mein Start-up habe einen revolutionär anderen Ansatz. Die Disruption des Vitaminpülverli-Businesses sei der Purpose, für den ich am Ende des Tages die Extrameile gehe (Start-ups reden wirklich so, achten Sie mal drauf). Mein Geheimnis? Artisanal hergestelltes Craft-Vitamin-D, nach altem Familienrezept sorgfältig fermentiert in der körpereigenen Mikrobrauerei, radikal nachhaltig produziert mit hautgepflückten und regional zertifizierten Sonnenstrahlen, klimapositiv und kaloriennegativ. Koscher, halal und römisch-katholisch. Der Porridge unter den Vitaminen.

Produziert wird fortlaufend unter freiem Himmel, Vitamine on the go, sozusagen. Only the sky is the limit: Vom Oktober bis März sind Betriebsferien – was übrigens super ist für die Work-Life-Balance. Und natürlich exklusive Produktion, personalisierte Kleinmengen, limited special Edition, also eigentlich nur Eigenbedarf. Wie sich damit Geld verdienen lässt? The idea is the product, stupid. Franchising natürlich: Jeder seine eigene Vitamin-D-Manufaktur, jede eine Filiale von «my D & me» – übrigens, cooler Brand, oder? Hautsache Sonne, dann läufts. Tscheggsch?

Spätestens dann schaut mich mein Gegenüber kopfschüttelnd an: «Du solltest dringend wieder mal an die frische Luft, Stephan. Geh doch mal spazieren.»

Was mir einmal mehr beweist, wie genial meine Idee ist.

Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich meine durchgelatschten Schuhsohlen dem Steueramt als Arbeitsspesen verkaufen kann.

Übrigens: 60 meiner Kolumnen gibt es im neuen Sammelband «Eins zu Müll für Aebischer». Das Buch bringe ich für 22 Franken persönlich zur Post. Zur Bestellung gehts hier lang.

Bild: Sara Kauten/Unsplash

Restjahreswünsche

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 9. Januar 2024

Jedes Jahr dieselbe Frage: Wie lange nach Silvester darf, kann, soll und muss man sich ein gutes neues Jahr wünschen? Für die deutsche Benimm-Expertin Ulrike-Ebba Gräfin von Sparr ist klar: «Bis zum 6. Januar ist der Wunsch völlig in Ordnung. Ab dem 10. Januar würde ich aber eher darauf verzichten.» Das sagte sie der deutschen Zeitung «Bild», und die kennt sich mit Anstand und Manieren schliesslich aus.

Als Benimm-Laie ohne von und zu vertrete ich, mit Verlaub Frau Gräfin, eine andere Meinung. Denn am 10. Januar dauert das neue Jahr ja immer noch 355 Tage, heuer sogar 356. Das ist eine sehr lange Zeit. Ob ein paar Neujahrswünsche, Anfang Jahr in Champagnerlaune ausgesprochen, für so viel Alltag ausreichen? Ich habe da meine Zweifel. Denn Neujahrswünsche sind wie Silvesterfeuerwerk, viel Glitzer, aber schnell verpufft.

Wären Wünsche für ein gutes Jahr nicht viel angebrachter Ende Januar, wenn die erste Krankenkassenrechnung ins Haus flattert und man realisiert, dass die Prämie mehr aufgeschlagen hat als der Teuerungsausgleich auf dem Lohnzettel? Da käme ein bisschen Zuversicht, dass das Jahr trotz allem gut wird, gerade recht – und ein Gläschen Schampus obendrein (vom billigen), um zu vergessen, dass es mit der Prämie nur noch schlimmer wird.

Wie gut täte es uns, wenn uns jemand mitten im Jahr, wenn uns das Schicksal seine Arschlochfratze zeigt, in den Arm nehmen und sagen würde: «Ich wünsche dir, dass der Rest des Jahres wieder gut wird für dich.» Und wie schön, wenn er es auch so meinen würde. Und noch schöner, wenn dieser Mensch da wäre, um sich mit einem zu freuen, wenn das Jahr tatsächlich wieder gut würde. Oder weniger schlimm als befürchtet.

Und was für ein Geschenk, wenn er oder sie es nicht bei den guten Wünschen beliesse, sondern tatkräftig und warmherzig nachhelfen würde, dass die guten Wünsche auch tatsächlich in Erfüllung gingen. Oft brauchts dazu ja nicht viel.

Ich habe mir jedenfalls dieses Jahr fest vorgenommen, jedes Gespräch zu beenden mit den besten Wünschen für den Rest des Jahres. Und bei Menschen, die mir besonders nahestehen, werde ich fragen: «Was kann ich tun, damit der Rest des Jahres gut für dich wird?»

Andererseits: Die guten Vorsätze beginnen ja spätestens am 6. Januar zu nadeln wie der Christbaum in der warmen Stube. Und spätestens am 10. Januar entsorgt man sie mit leiser Wehmut und schlechtem Gewissen auf dem Komposthaufen des Werkhofes. Und es ist nur ein kleiner Trost, dass man damit nicht der einzige ist.

Von daher: Möge der Rest des angebrochenen Jahres gut zu Ihnen sein. Und Sie zum ihm.

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Bild: Pixabay

Die Medaille

«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 10. November 2023

Ich bin keine Sportskanone. Eher eine Chäpsli-Pistole. Wenig Pfupf. Und schnell ausgeschossen. In der Schule war ich der Schlechteste im Turnen. Ausser beim Kanon im Blockflötenunterricht, da kam ich immer als erster ins Ziel. Der Usain Bolt des Spöizknebels, ungeschlagen über Kanon und Refrain.

Meinen grössten sportlichen Triumph aber – der umso heller strahlt, weil er mein einziger geblieben ist – erlebte ich im August 1999. Als Praktikant der «Neuen Luzerner Zeitung» berichtete ich über die Luzerner Seeüberquerung. Ein 50-Zeilen-Job – und eine Grenzerfahrung. Als mich nämlich der Presseverantwortliche kurz vor dem Start fragte, ob ich im Begleitboot mitfahren oder lieber schwimmen wolle, antwortete ich wie aus der Chäpsli-Pistole geschossen: «Ich schwimme natürlich mit.» Obwohl ich gar keine Badehose dabei hatte. Und nach einem feucht-fröhlichen Fest kaum geschlafen hatte. Aber Leichtsinn ist der zweite Vorname junger Männer. Ausserdem hatte mein Mentor mir eingebläut: «Als Reporter musst du eintauchen in die Aktualität.»

Also stieg ich zuerst in die Badehose, die man mir aus der Fundkiste reichte, und dann in den See. In der Kanti hatten wir jedes Semester einen Kilometer schwimmen müssen. Ich hatte jede der 40 Runden gehasst. Aber ich fühlte mich gerüstet für die 960 Meter Seebecken.

Eine katastrophale Fehleinschätzung. Das merkte ich schon nach den ersten Schwimmzügen. Im Hallenbad konnte man sich alle 25 Meter am Rand festhalten, auf dem See hingegen sah ich zwar ständig das andere Ufer vor Augen, aber es kam und kam nicht näher. Und geheizt war der See auch nicht. Kühle 18 Grad hatte er. Für die Profis kein Problem. Die hatten sich dick mit Melkfett eingestrichen und stiegen nach zwölf Minuten schon wieder aus dem Wasser. Meine Zeit ist zum Glück nicht überliefert, aber es waren wohl die längsten 45 Minuten und 30 Sekunden meines Lebens. Mit jedem müden Hühnerbrustschwimmzug fror ich mehr. Und als ich endlich im Lido aus dem Wasser stieg, war mir so kalt wie einem Fischstäbli in der Tiefkühltruhe. Noch in der Redaktion schlotterte ich, als ich meinen Titel in die Tastatur haute: «Bei 18 Grad auch für Profis kein Plausch.»

Zu meiner Überraschung erhielt ich ein paar Tage später per Post eine Medaille zugeschickt. Ich war in meiner Kategorie Dritter geworden. Keine grosse Kunst bei nur drei Teilnehmern.

Den Plämpu habe ich bis heute. Als Erinnerung an meine jugendliche Selbstüberschätzung. Und als Lektion fürs Leben: Es ist keine Schande, Letzter zu werden. Man muss nur klug genug sein, in der richtigen Kategorie zu starten.

Übrigens: Für nur 22 Franken können Sie sich, mir und anderen eine Freude machen, indem Sie mein Buch «Eins zu Müll für Aebischer» mit 60 meiner Kolumnen kaufen. (mehr dazu hier)