«Übrigens» in den «Freiburger Nachrichten» vom 1. Juli 2025
Der Intercity schiesst aus dem Tunnel, und urplötzlich liegt einem der Genfersee zu Füssen, ein Teppich der Verheissung, gewoben aus glitzernden Träumen. Die Weinberge schmiegen sich an die Hänge, als hätten die Gletscher nur eins im Kopf gehabt, als sie diese Landschaft formten: Chasselas. Der Anblick ist überwältigend. Die Deutschschweizer sollen hier früher ihre Retourbillette zerrissen und aus dem Zugfenster geworfen haben. Sagt der Volksmund. Zum typischen Terroir des Weins dürften aber eher die zur damaligen Zeit noch offenen Zugtoiletten beigetragen haben. Sagen böse Zungen.
Tempi passati. Die Zugfenster lassen sich schon lang nicht mehr öffnen, und selbst wenn – das neue Handy mit dem Onlineticket aus dem Fenster zu schmeissen, auf diese Idee kommt kein Deutschschweizer, auch nicht nach vier Ballons Chasselas im Zugbistro.
Wobei, vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, seine Reise damit zu beginnen, das Handy zu entsorgen. Denn das steht dem wahren Erlebnis im Weg, der Entspannung sowieso. Weil es so praktisch ist, seine Timeslots ohne Wartezeiten fürs Museum online zu kaufen, bucht man gleich drei am Tag und weiss am Abend nicht mehr, was man gesehen hat.
Lassen wir doch Google Maps in der Tasche und verirren uns stattdessen fröhlich im Gassengewirr fremder Städte. Sich planlos treiben zu lassen, führt oft zu den schönsten Entdeckungen. Ganz nebenbei kommt man so auch locker auf seine 10’000 Schritte. Was sich allerdings nicht überprüfen lässt. Den Schrittzähler hat man ja nicht im Hosensack.
Den Föteler auch nicht. Weshalb man sich, statt von einem instagrammablen OMG-Fotospot zum nächsten zu hetzen, ruhig an den See setzen, den Aquarellkasten hervorkramen und ein Bild malen kann, das man nie, nie, nie irgendwo posten wird. Das einem aber das schöne Gefühl gibt, den See wirklich gesehen zu haben – und vom See zumindest bemerkt worden zu sein.
Statt stundenlang durch Restaurantbewertungen zu scrollen, einfach mal die Verkäuferin in der Bäckerei nach ihrem Geheimtipp fragen. Vielleicht wird’s ein Reinfall, vielleicht ein Abend, an dem alles passt – das Essen, der Wein und die Gespräche. Zeit dazu hat man auf jeden Fall, weil man das Essen nicht posten muss. Das Handy liegt ja im Weinberg und erschreckt mit seinem Gedudel die Vögel.
Und anstatt den Familienchat mit Ferienfotos zu fluten, schreibt man ganz altmodisch eine Postkarte: «Nur mit dir wäre es hier noch schöner.» Das kommt immer gut an.
Auf der Rückreise kann man sein Handy wieder aus dem Weinberg holen. Bestenfalls merkt man: Verpasst habe ich nichts.
Bild: Oksana Bürki/Unsplash